SPOX: Bei DAZN arbeiten Sie als Experte mit einem Hauptkommentator zusammen. Was sehen Sie als Ihre Hauptaufgabe an?
Gunesch: Der Hauptkommentator hat definitiv die größere Arbeit in der Vorbereitung, weil er das Spiel quasi begleitet und dem Zuschauer die Hintergrundinformationen liefert. Meine Rolle ist eher die Live-Analyse dessen, was auf dem Platz passiert. Oftmals fällt ein Tor nicht nur, weil der Abwehrspieler den Fehler gemacht hat, sondern das entsteht schon in den Situationen davor. Oder auch taktische Umstellungen und dergleichen.
SPOX: Gibt es ein festes Gespann oder wechselt Ihr Partner öfters?
Gunesch: Ich habe zwei, drei Jungs, mit denen ich die meisten Spiele kommentiere: Marco Hagemann, Uli Hebel und Jan Platte. Ein fixes Duo gibt es nicht. Natürlich bist du mit dem einen oder anderen etwas besser eingespielt, aber normalerweise findet man schnell eine gemeinsame Wellenlänge und dann funktioniert das ganz gut.
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SPOX: Hat sich Ihr Blick auf Kommentatoren verändert?
Gunesch: Rein handwerklich war ich nie ein großer Kritiker, weil jeder seinen eigenen Stil hat. Jetzt sehe ich, was dahintersteckt, habe einen anderen Einblick. Mich hat nur die sportliche Einschätzung manchmal geärgert, weil ich mir dachte: Wenn du da mal gestanden hättest, dann wüsstest du ... Aber auch ich mache alles falsch, wenn ich ab und zu die Reaktionen lese. (lacht) Ich glaube, eine meiner großen Stärken ist die Sachlichkeit. Mir wurde auch schon vorgeworfen, dass ich zu sachlich bin. Aber ich habe es als langjähriger St. Paulianer auch schon geschafft, den HSV sachlich zu kommentieren, also alles gut.
SPOX: Haben Sie schon Spieler kommentiert, mit denen Sie zusammengespielt haben?
Gunesch: Das habe ich tatsächlich, das ist immer sehr angenehm. Es ist auch in der Vorbereitung ein großer Vorteil, weil ich sie dann anrufen kann und die Infos aus erster Hand bekomme. (lacht)
SPOX: Gibt es Pläne, irgendwann eine andere Sportart zu kommentieren?
Gunesch: Ich hätte richtig Bock, zum Beispiel mit Marco Hagemann mal die NFL zu kommentieren, als zweite Tonspur, nur zum Spaß auf Fußballer-Art. Da haben wir schon häufiger drüber geflachst. Ich bin seit ein paar Jahren Fan und kenne die Regeln, bin aber ganz weit weg davon, irgendwas davon zu verstehen. Oder Baseball, davon verstehe ich absolut nichts.
Ralph Gunesch über 50+1, den Videobeweis, Pyrotechnik und RB Leipzig
SPOX: Zum Schluss noch eine Schnellfeuerrunde: 50+1?
Gunesch: Bleibt. Ausrufezeichen!
SPOX: Videobeweis?
Gunesch: (lacht) Wie viel Zeit haben Sie? (überlegt) Ich bin großer Fan von technischen Hilfsmitteln bei Schwarz-Weiß-Entscheidungen: Ist der Ball im Tor oder nicht? Ist der Ball im Aus oder nicht? Das doppelte Netz bei diesen Grauzonen halte ich immer noch für extrem schwierig. Natürlich spricht es für den Videobeweis, dass man statt zehn nur noch zwei Fehler macht. Aber die Art und Weise, der Umgang damit sorgt immer wieder dafür, dass es nicht weniger, sondern nur noch mehr und noch hitzigere Diskussionen gibt und es zum Teil schwer nachvollziehbare Entscheidungen gibt.
SPOX: Pyrotechnik?
Gunesch: Es sieht total toll aus, wir loben ja auch immer die südamerikanische Stimmung und so. Aber auch hier ist es für mich kein schwarz-weiß, weil es ja de facto gefährlich ist. Die Dinge sind halt wirklich scheiße heiß. Sobald du dann in einer so großen Masse unterwegs bist, gibt es natürlich Risiken. Dennoch bin ich stark für einen Dialog, um Kompromisse zu finden. In Dänemark haben sie kaltes Pyro erfunden. Vielleicht wäre das eine Lösung.
SPOX: Die Diskussion oder kluge und dumme Fußballer?
Gunesch: Die Kabine ein ganz normaler Querschnitt durch die Gesellschaft. Man könnte auch in die Fußgängerzone gehen und sich 25 Menschen herauspicken. Da hätte man vom Schulabbrecher über den Abiturienten bis zum Kernphysiker alles dabei.
SPOX: Depressionen im Fußball?
Gunesch: Ich habe mit Andreas Biermann zusammengespielt. Wir haben lange Zeit nichts bemerkt, bis zum ersten Suizidversuch. Es ist ein unheimlich wichtiges Thema und ich finde es sehr gut, dass immer mehr mit Sportpsychologen zusammengearbeitet wird. Wir haben im NLZ auch eine Sportpsychologin, die sich um solche Themen kümmert, damit die Jungs sehr früh lernen und mental auf die Profikarriere vorbereitet werden. Das Körperliche ist das Eine, aber je höher du kommst, desto stärker musst du im Kopf sein. Als Co-Trainer ist es schwierig, weil die Spieler denken, sie müssten eine Schwäche zugeben gegenüber demjenigen, der über ihre Aufstellung entscheidet. Wichtig ist, dass es Leute sind, zu denen die Spieler Vertrauen haben und die nicht direkt am Trainerteam angeschlossen sind. Ob sie sich extern jemanden suchen oder der Verein einen Ansprechpartner stellt, ist mir völlig egal. Aber wenn jemand in diese Richtung Unterstützung braucht, sollte er sie auch bekommen.
SPOX: "Plastikklubs" a la RB Leipzig?
Gunesch: Ich hätte einmal zu RB wechseln können, aber ich hatte mir bei St. Pauli etwas aufgebaut, was ich damit umgestoßen hätte. Das wollte ich nicht, es war eine Prinzipiensache. Wie gesagt: 50+1 sollte bleiben.