SPOX: Sie sind nicht nur Kommentator bei DAZN, sondern auch Co-Trainer beim FC Ingolstadt. Wie kam es dazu?
Gunesch: Nach meiner aktiven Zeit habe ich bei der U23 mittrainiert. Stefan Leitl war damals dort noch Trainer, ich habe mich fitgehalten und währenddessen immer mal wieder auch in der Trainerarbeit unterstützt. Dann hat Stefan mich gefragt, ob ich ihn nicht auch im Bereich der Videoanalyse unterstützen möchte. Also habe ich Videos vom kommenden Gegner bekommen, analysiert und für ihn zusammengefasst. Dann ist Stefan zu den Profis gewechselt und sein alter Co-Trainer und neuer U23-Trainer, Ersin Demir, und ich haben beschlossen, dass wir das so weitermachen. Ende 2017 hat er mich schließlich gefragt, ob ich ihn nicht als Co-Trainer unterstützen möchte, weil er zu dem Zeitpunkt keinen hatte. Zuerst ein bisschen inoffiziell, zum 1. Januar 2018 wurde ich dann offiziell beim Verein angestellt und war bis Saisonende dann Co bei der U23. Jetzt zur neuen Saison bin ich Co-Trainer der U17 Bundesligamannschaft des FC Ingolstadt. Hin und wieder, wenn jemand im Training beim Abschlussspiel fehlt, kann ich den Jungs noch zeigen, wie das so ist, wenn man doppelt so alt ist wie sie. (lacht)
SPOX: Das klingt insgesamt nach einer eher zufälligen Trainerkarriere.
Gunesch: Nein, ich wollte schon immer in diese Schiene und arbeite auch weiter an meinen Trainerscheinen. Ich habe Anfang des Jahres meine Jugend-Elite-Lizenz gemacht und werde demnächst die A-Lizenz angehen. Sobald ich mich für den Fußballehrer bewerben kann, werde ich das auch tun. Es ist auf jeden Fall mein Ziel, irgendwann Cheftrainer zu werden.
SPOX: Wie läuft der Spagat zwischen Trainer- und Kommentatorenjob?
Gunesch: Das ist eine Frage der Organisation. Wir spielen meistens um 11 Uhr morgens, samstags oder sonntags, das Training ist abends um 18 Uhr. Das heißt, das 13-Uhr-Spiel der Premier League kann ich nicht kommentieren, aber die übrigen Spiele sind kein Problem.
SPOX: Und jetzt, wo DAZN die Rechte an der Champions League und der Europa League hält?
Gunesch: Sobald ich meine Termine habe, werde ich das mit dem Cheftrainer abklären. Aber darüber haben wir im Vorfeld schon geredet, da habe ich die Unterstützung des Trainerteams. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie das ein Stück weit mittragen.
Gunesch: "Ich möchte meine Stimme erheben und ein Bewusstsein für Menschlichkeit schaffen"
SPOX: Sie haben sich immer sozial engagiert, zum Beispiel gegen Rassismus und Homophobie, und haben damit auch nie hinter dem Berg gehalten. Wie kam es dazu?
Gunesch: Das habe ich vom FC St. Pauli mitgenommen. Wir sind in einer Phase, da sind Dinge salonfähig geworden, für die man vor einigen Jahren sprichwörtlich noch geteert und gefedert worden wäre. Heute wird im negativen Sinne mehr toleriert, das macht mir große Sorgen. Da wären wir wieder am Punkt der sozialen Verantwortung. Leute, die eine Stimme haben, sollten diesen Tendenzen Einhalt gebieten, tun es aber leider nicht. Auch wenn ich bei weitem nicht die größte Reichweite habe, möchte ich meine Stimme erheben und ein Bewusstsein für Menschlichkeit schaffen. Heutzutage ist das Schlimme: Nur weil du zum Beispiel gegen Rassismus bist, heißt es plötzlich du bist linksradikal. Da ist etwas mit unserem Kompass völlig falsch gelaufen.
SPOX: Wie haben Sie die Diskussion um Mesut Özil erlebt?
Gunesch: Über das Thema Özil wurde sehr breit kompetent und inkompetent diskutiert. Was mich vor allem in der öffentlichen Diskussion gestört hat, und das geht bis ganz nach oben, ist dass unheimlich viele Dinge miteinander vermengt wurden, die nichts miteinander zu tun hatten bzw. die Mesut Özil gar nicht angesprochen hat.
SPOX: Sie sind in den sozialen Medien sehr präsent: Hätten Sie Özil geraten, sein Statement auf diese Art und Weise zu veröffentlichen.
Gunesch: Die Frage in seiner Situation war, welche Möglichkeiten er hat, um seine Message zu verbreiten. Gibst du eine Pressekonferenz? Niemand wird eine solche PK immer vollständig senden. Das heißt, du hast immer einzelne Aussagen, die ein Stück weit aus dem Kontext gerissen werden - nicht einmal böswillig, aber anders funktioniert das Format nicht. Mit seinem Statement hatte er die Möglichkeit, seine Aussage ungefiltert und ungeschnitten für jeden jederzeit abrufbar abzugeben. Ob das wie eine Soap mit verschiedenen Episoden und dergleichen ablaufen muss, das ist eine Frage der Umsetzung. Das darf jeder finden, wie er möchte.
Ralph Gunesch: Mats Hummels bei Twitter ist ein positives Beispiel
SPOX: Haben Spitzensportler die sozialen Medien schon "entziffert"?
Gunesch: Generell eignen sich soziale Netzwerke für Sportler dazu, eigene Statements in eigenen Worten abzugeben. Für mich steckt in vielen Fällen zu viel Agentur dahinter und zu wenig echte Meinung. Aber die Sportler haben entdeckt, dass sie es nutzen können. Das werden wir nicht zurückdrehen können. Im Umgang damit können wir aber noch sehr viel lernen. Es kann sehr viel mehr sein als Monetarisierung der eigenen Reichweite.
SPOX: Inwiefern?
Gunesch: Es muss sich organisch entwickeln, und vor allem muss es von den Spielern selbst kommen. Ein positives Beispiel ist Mats Hummels bei Twitter. Er macht das alles selbst, weil er Lust darauf hat. Vor kurzem etwa mit einer Stunde, in der die Fans Fragen stellen durften. Wenn wir über den großen Teich gehen: Die Sportler dort sind deutlich aktiver, meinungsstärker und kommunizieren das auch. Ich glaube, dass jeder Fußballer hier auch eine Meinung zu verschiedenen Themen hat, nur kommuniziert er es nicht. Aus welchen Gründen auch immer. Das wird sich mit der Zeit ändern, weil immer mehr Spieler nachkommen, die damit aufgewachsen sind. Man kann nicht von einem Miro Klose erwarten, dass er bei Twitter herumhängt. Aber die 15- und 16-Jährigen, die in ein paar Jahren Profi sind, sind damit aufgewachsen und gehen damit ganz anders um.
SPOX: Mussten Sie im Training schon einschreiten, wenn das Smartphone nicht weggelegt wird?
Gunesch: Da braucht es konkrete Regeln. Ich sage immer als Faustregel: Sobald die Fußballschuhe vor dir liegen, legst du das Handy weg. Dann zählt nur das Eine. Eins darf man nicht vergessen: In den allerwenigsten Fällen bekommst du einen Profivertrag, weil du gut bei Twitter oder Instagram bist. Du musst in erster Linie Fußball spielen.
SPOX: Aber es wird doch trotzdem immer wichtiger, oder? Im Zweifelsfall wird lieber der mit einer Million Fans verpflichtet als der ohne Twitter-Account, oder?
Gunesch: Die Frage ist halt: Kann der mit der Million auch kicken? Mir hilft es als Verein nicht, wenn er viele Follower hat, aber nicht kicken kann. Das Geld kann ich auch in die Marketing-Abteilung stecken und mir für den Rest einen guten Fußballer kaufen. Das klingt vielleicht ein bisschen altmodisch, aber ich bin der festen Überzeugung: Am Ende zählt das, was auf dem Platz passiert.
SPOX: Wurden Sie von Mitspielern angesprochen und um Tipps gebeten?
Gunesch: Das kam schon vor, dass Spieler gefragt haben: "Hey, ich habe jetzt auch eine Facebook-Seite, die betreuen mein Berater und ich, kannst du mal gucken?" Dann habe ich ein paar Basics an die Hand gegeben, Tipps für den Anfang. Das Schöne ist: Ich kann selbst entscheiden, was ich kommuniziere. Bei meinen Seiten mache ich alles selbst, ich habe keine Agentur oder einen Ghostwriter. Ich lese auch alle Kommentare.