FC Bayern: Die Bosse dürfen sich nicht mehr wegducken
Julian Nagelsmann war in seiner Premierensaison beim FC Bayern nicht nur Trainer, sondern auch "Außenminister" und Sprachrohr des Klubs. Während sich die Bosse um den Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic in den vielen Bayern-Krisen (Katar-Diskussion auf der Mitgliederversammlung, Corona) zu oft wegduckten oder zumindest den von Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge vermissten Klartext vermissen ließen, ging Nagelsmann auch außerhalb seines Kerngeschäfts voran.
Statt Fragen abseits des Platzes auszuweichen, bezog der Trainer bereitwillig Stellung zu jedem Krisenherd innerhalb des Vereins. "Ich sehe den Job eines Trainers ganzheitlich. Ich finde, dass du eine gewisse Vorbildfunktion hast", blickte Nagelsmann auf diese spezielle Phase seiner ersten Bayern-Saison zurück. "Ich versuche, die Meinung des Sportvorstandes zu transportieren und mich auch mit Oli Kahn abzusprechen, um die Einheit nach außen zu demonstrieren. Da gehört es dazu, auch mal Dinge zu beantworten, die nicht zum Kerngeschäft gehören." Vorbildlich, doch auch die Chefetage muss verbal endlich wieder vorangehen.
Der Auftritt von Hasan Salihamidzic bei Sky 90 am Sonntag war deshalb ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Sportvorstand wählte deutlich Worte in Richtung des enttäuschenden Leroy Sane ("Jetzt muss er kommen. Wir erwarten alle von ihm, dass es auf dem Platz knallt, dass er explodiert und Gas gibt"), schloss einen vorzeitigen Abgang von Robert Lewandowski im Sommer klar aus ("Sein Vertrag läuft bis 2023, jetzt werden wir darüber reden, was danach passiert"), formulierte eine Kampfansage für die neue Saison ("Wir werden jeden Stein umdrehen und nächstes Jahr richtig attackieren") und bestätigte selbstbewusst das Interesse an Ajax Amsterdams Ryan Gravenberch ("Wir sind in Gesprächen").
Kein Herumgeeiere, sondern Klartext.
Einzig als er über die Probleme auf dem Transfermarkt sprach und bemängelte, dass durch ablösefreie Abgänge der Fußball kaputt gehe ("Ablösefreiheit macht uns Vereine - nicht nur Bayern München - immer schwächer"), verrannte sich Salihamidzic in seiner Argumentation. Denn natürlich lassen nicht nur Spieler, sondern auch viele Klubs Verträge bewusst auslaufen. Wie Bayern womöglich auch kommende Saison bei Lewandowski. "Nach der Pandemie ist das Mode geworden, sogar Mbappe lässt seinen Vertrag auslaufen", sagte Salihamidzic. Vergaß dabei aber, dass es Paris Saint-Germain war, dass auf Vertragserfüllung pochte und den Superstar eben trotz eines Mega-Angebots nicht vorzeitig zu Real Madrid verkaufte.
Die Mannschaft muss Nagelsmanns Fußball verinnerlichen
Mit der Ankunft von Julian Nagelsmann beim FC Bayern hielt auch eine kleine taktische Revolution Einzug an der Säbener Straße. Anders als Vorgänger Hansi Flick, der praktisch immer aus einer 4-2-3-1-Formation heraus spielen ließ, setzte Nagelsmann neue Impulse, implementierte "sein" aus Hoffenheim und Leipzig bekanntes System - Aufbau über die Dreierkette, offensive Außenverteidiger - nach und nach situativ auch beim Rekordmeister. Nach Informationen von SPOX und GOAL kommt die neue taktische Flexibilität in der Mannschaft zwar grundsätzlich gut an.
Dennoch gibt es nach wie vor einige Stars, die sich mit der Umstellung zumindest schwer tun und sich noch nicht so wirklich damit anfreunden konnten. Beispiel: Stürmer Robert Lewandowski fiel in dieser Saison nicht nur einmal damit auf, dass er seine Position vorne im Sturmzentrum verließ, um sich stattdessen die Bälle aus dem Mittelfeld abzuolen. Dadurch fehlte er natürlich vorne als Anspielstation.
"Wir haben Julian geholt, weil wir eine neue Ära starten wollen. Unsere Arbeit ist sehr gut, wir unterhalten uns viel", sagt Salihamidzic über seinen Trainer. "Er ist ein sehr kommunikativer und offener Trainer. Es macht unheimlich viel Spaß mit ihm zu arbeiten. Das ist ein Prozess für die Mannschaft. Die Jungs wissen, dass er ein großes Know-How hat."
Will der FC Bayern mit Nagelsmann wirklich eine neue Ära starten, sollten die Spieler seine taktischen Ideen noch besser verinnerlichen.