Die Frage, die die Süddeutsche Zeitung am Freitag an die Linken-Vorsitzende Katja Kipping richtete, wird in den kommenden Wochen vermutlich wieder deutlich häufiger gestellt werden:
"Finden Sie es gerecht, dass Bundesliga-Spiele stattfinden, während Schulsport und Breitensport pausieren müssen?"
Es ist die Gretchen-Frage, die über nicht weniger als den Fortbestand des deutschen Fußballs entscheiden könnte. Bei der Beantwortung spielten Emotionen und persönliche Betroffenheit bislang eine weit größere Rolle als die Fakten.
So war im Frühjahr beim ersten strikten Lockdown lange Zeit eine große Mehrheit gegen die Wiederaufnahme des Mitte März unterbrochenen Spielbetriebs. Die Ausnahmeregelung für den hochbezahlten Profisport wurde in einer Phase, in der fast alle anderen zurückstehen mussten, abgelehnt.
"Wenn die Spielplätze für die Kinder geschlossen sind, dürfen die Stadien für die Millionäre in kurzen Hosen nicht geöffnet werden", lautete das am häufigsten vorgebrachte Argument - auch wenn kein Kinderspielplatz schneller geöffnet worden wäre, wenn die Bundesliga nicht gespielt hätte.
Auch jetzt im zweiten Lockdown, der ab nächster Woche noch einmal deutlich verschärft wird, sind Kinder und Jugendliche (und deren Eltern) diejenigen, die am meisten zu leiden haben: durch die Schulschließungen, die verschärften Kontaktsperren und natürlich das Verbot jeglichen Mannschaftssports.
Auf diesen Widerspruch wies auch Kipping hin: "Ich finde, das macht ziemlich transparent, wie die Spielregeln in unserer Gesellschaft sind", sagte die Bundestagsabgeordnete: "Das wird in der Summe an Infektionen im Profifußball nicht so viel ausmachen. Aber es ist natürlich ein Symbol. Und es zeigt: Hallo, wir sind in einer Zweiklassengesellschaft."
Kritiker der jetzigen Verschärfungen wie Kipping monieren vor allem die massiven Einschränkungen im privaten und schulischen Bereich, während gleichzeitig in der freien Wirtschaft weiter fast alles erlaubt ist - also auch im Profifußball.
Corona-Lockdown: "Bundesliga als Ausnahme schwer begründbar"
"Schärfere Maßnahmen sind notwendig. Und wenn der Handel eingestellt werden soll, dann ist die Bundesliga als Ausnahme schwer begründbar", forderte der Virologe Hartmut Fikenscher daher bereits Mitte Dezember.
Doch kurz darauf widersprach ihm ausgerechnet der Bundesgesundheitsminister. "Man muss immer dazu sagen, dass es sich bei Profisport um Berufsausübung handelt", nannte Jens Spahn das Hauptargument der Befürworter. Zumal das Hygienekonzept der DFL bislang erfolgreich umgesetzt worden sei:
"Für das Infektionsgeschehen ist die Frage, ob in Deutschland am Wochenende in verschiedenen Stadien gespielt wird oder nicht, eine Größenordnung, mit der man - insbesondere mit den Tests und Schutzmaßnahmen - umgehen kann", sagte Spahn.
Corona: Bisher nur ein Spielausfall in der zweiten Liga
Faktisch kann man Spahn nicht widersprechen, denn bislang hält sich die Zahl der Ansteckungen in engen Grenzen und in der ersten und zweiten Liga wurden erst zwei Spiele abgesagt, beide mit Beteiligung der Würzburger Kickers. Trotz des extrem engen Spielkalenders und einigen Corona-bedingten Ausfällen von Spielern sind die 36 Klubs der DFL gut durch die Saison gekommen, von Wettbewerbsverzerrung kann bisher keine Rede sein.
Wie schnell die vermeintliche Sicherheit aber hinfällig ist, zeigt der Blick nach England, wo die weit ansteckendere Virus-Mutante offenbar auch die Krankheitsfälle in der Premier League rasant steigen lässt: Allein in der ersten Januarwoche wurden 40 Spieler und Teammitglieder positiv auf das Coronavirus getestet, mehr als doppelt so viele wie zuvor.
Corona: DFL-Testkonzept steht auf wackeligen Beinen
Auf wackeligen Beinen steht auch der vielleicht wichtigste Pfeiler des DFL-Hygienekonzepts: Die hohe Anzahl an Testungen bei den Profis. Mindestens zwei pro Woche sowie einer vor jedem Spiel werden bei den Profis durchgeführt. Daher hatten die Bundesligisten immer betont, sie würden niemandem diese Tests wegnehmen, der sie dringender benötige. "Sollte es durch künftige Entwicklungen - zum Beispiel eine zweite Corona-Infektionswelle - tatsächlich Engpässe geben, wird die DFL die Versorgung der Bevölkerung selbstverständlich nicht beeinträchtigen", hieß es vor dem Restart.
Anfang November war es fast so weit, als die akkreditierten Labore überlastet waren, doch inzwischen sind wieder ausreichend Kapazitäten vorhanden. Dennoch könnte sich das Problem bald wieder stellen, denn nach wie vor beklagen Kranken- und Aktenpfleger, Polizisten oder Lehrer, sie fühlten sich aufgrund der wenigen Tests nicht ausreichend geschützt.
Besserungen wird es wohl erst durch die gerade begonnenen Impfungen geben - immerhin hält sich der Profifußball hier mit Forderungen zurück. "Wir werden uns artig hintenanstellen", erklärte Kölns Manager Horst Heldt.
Mediziner warnt: Langzeitfolgen durch Corona auch für Fußballprofis
Allerdings gibt es renommierte Mediziner, die trotz engmaschiger Überprüfung und hohem Fitnesslevel gerade in Kontaktsportarten ein hohes Risiko sehen. "Was ist mit Langzeitfolgen, die man nicht kennt? Das Virus ist auch für gesunde Menschen kein Spaß", sagte der Epidemiologe Prof. Dr. Markus Scholz von der Universität Leipzig im Dezember in der ARD: "Man kann gar nicht verhindern, dass Infektionen von außen kommen. Infektionsketten können teilweise nicht mehr verfolgt werden. Das Risiko wird immer größer, das kann man auch mit dem Hygienekonzept nicht komplett verhindern."
Was dem Fußball aber noch mehr auf die Füße fällt, ist sein schlechtes Image - und daran hat sich allen Sonntagsreden zum Trotz seit dem Frühjahr wenig geändert. Zwar behauptete Bayern-Präsident Herbert Hainer kürzlich, man sei insgesamt viel demütiger geworden. Nur: Zu sehen ist davon nichts.
Robert Lewandowski: Umstrittener Flug ins Corona-Risikogebiet
So flog Robert Lewandowski Ende Dezember zu einer Preisverleihung ins Corona-Risikogebiet Dubai, absolvierte aber nach seiner Rückkehr statt der für Normalreisenden vorgeschriebenen Zehn-Tages-Quarantäne wenig später das Mannschaftstraining beim FC Bayern, weil es sich bei dem Trip um eine erlaubte Geschäftsreise gehandelt habe.
Union Berlin spielte trotz der stetig wachsenden Infektionszahlen bis Ende Oktober vor dicht gedrängtem Publikum und mehrfach rotteten sich Dutzende Anhänger bei Geisterspielen ohne Abstand vor der Alten Försterei zusammen, zuletzt beim Geisterspiel gegen die Bayern Mitte Dezember.
Und Borussia Dortmund beschwerte sich in einem Offenen Brief und mit einem Ton, den so mancher als wehleidig empfand, über den erneuten Ausschluss der Fans. Es sei "schwierig zu akzeptieren, dass Fakten nicht zählen", hieß es da unter anderem. Nun ja.
Gleichzeitig geht das Millionen-Business weiter, als gäbe es keine Pandemie, wie unter anderem der anhaltende Vertragspoker von David Alaba und seinem Berater Pini Zahavi zeigen. Von der groß angekündigten DFL-Taskforce zur Zukunft des Profifußballs ist hingegen nicht mehr viel zu hören, Reduzierungen bei Gehältern und Ablösesummen sind gar kein Thema mehr. "Was den Bundesliga-Machern manchmal abgeht, ist womöglich eine Empathie, die über das Bejammern der eigenen Situation hinausgeht", kommentierte Sport1 diese Woche.
Profifußball wird kein zweites Mal freiwillig Spielbetrieb einstellen
Womit wir beim Kern der Diskussion sind: Im Gegensatz zum Frühjahr wird der Profifußball kein zweites Mal freiwillig den Spielbetrieb einstellen. Weil die Angst viel zu groß ist, dass Politik und Gesellschaft diese Situation angesichts des anhaltend schlechten Images der Branche dann nutzen könnten, um jegliche Wiederaufnahme bis zu einer Normalisierung der Gesamtlage zu verhindern. Schon der Restart Mitte Mai hing bekanntlich am seidenen Faden.
Damals allerdings zeigte sich sehr schnell, dass ein Großteil der Klubs angesichts des Verlustes der TV-Gelder nur wenige Wochen vor der Pleite entfernt war. Und seitdem ist die Situation nicht besser geworden, im Gegenteil werden die Millionenlöcher durch den anhaltenden Wegfall von Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen immer größer. Bei Schalke 04 etwa rechnen nicht wenige Insider damit, dass der Verein aufgrund seiner Verbindlichkeiten von mindesten 240 Millionen Euro bei einem Abstieg keine Lizenz für die Zweite Liga erhalten würde.
"Letzte Saison war bestenfalls ein laues Lüftchen, jetzt aber kommt der Sturm", kündigte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert vergangenen Monat an. BVB-Boss Hans-Joachim Watzke hatte zuvor schon die klare Marschroute ausgegeben: "Es muss weitergehen. Wir brauchen zumindest diese Geisterspiele. Wenn wir die auch nicht mehr haben sollten, dann wird es ganz eng."
Doch schon jetzt wird die Sorge in der Bundesliga täglich größer, dass die fehlende Stimmung in den Stadien zu einer massiven Entfremdung von den Fans führen könnte, die dann auch nach der Pandemie nicht mehr zurückkehren werden. Das Problem ist nur, dass der Profifußball nach wie vor übersieht, welchen großen Anteil er gerade in der momentanen Krise durch Jammern, Protzen und Tricksen an dieser Entfremdung hat.