Es ist schon skurril. Da tut man bei Borussia Dortmund seit Jahren alles dafür, um sich als Verein vom sportlichen Rivalen FC Bayern München abzusetzen, doch immer dann, wenn es gut hineinpasst, zieht man Quervergleiche zum Rekordmeister.
So tat es im letzten Halbjahr auch Hans-Joachim Watzke. Wurde der BVB-Geschäftsführer darauf angesprochen, ob es wirklich ausreiche, dass sein Klub in Paco Alcacer lediglich einen ausgebildeten Stürmer im Kader habe, hielt Watzke ein "Bayern-Argument" dagegen.
"Damit haben wir genauso viele gelernte Mittelstürmer wie Bayern München", sagte Watzke beispielsweise Mitte Juli im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. Schließlich sei es ja so: "Wir haben ja auch noch Mario Götze, Thorgan Hazard und Jacob Bruun Larsen, die diese Position spielen können. Deswegen ist die Stürmer-Diskussion eine Diskussion, die überwiegend von den Medien geführt wird und nicht von uns."
BVB: Stürmer-Vergleich mit FC Bayern reichlich schief
Dass dies nur die halbe Wahrheit war, stellte sich ein paar Monate später auf der Jahreshauptversammlung der Borussia heraus. Götze, Hazard und Bruun Larsen hatten zu diesem Zeitpunkt in der Bundesliga gemeinsam drei Törchen fabriziert. Alcacer immerhin fünf, der letzte Treffer des Spaniers datiert allerdings auch heute noch von Mitte September.
"Wir haben einen Fehler gemacht: Wir hätten definitiv eine zweite Nummer 9 verpflichten müssen", sagte Watzke Ende November zu den anwesenden Mitgliedern, ließ es sich bei seinen Ausführungen aber erneut nicht nehmen, in einem Nebensatz ein weiteres Mal auf die Angriffsbesetzung der Bayern zu verweisen.
Dass dieser Vergleich mit den Münchnern nicht nur inhaltlich irrelevant, sondern auch reichlich schief ist, belegt neben der Tatsache, dass deren Stürmer Robert Lewandowski zu den weltweit besten seiner Zunft gehört, auch ein simpler Blick auf die Torjägerliste. Dort thront der Pole mit 19 Toren nach 17 Spielen auf Platz eins.
Alcacer auf der Suche nach Wettkampfrhythmus
Neben dem Qualitätsunterschied ist dabei weniger die Zahl 19, als die Zahl 17 ausschlaggebend: Dortmunds einziger Stürmer Alcacer kam in dieser Hinrunde auf sechs Startelfeinsätze und damit auf fast ein Drittel weniger als Lewandowski, der lediglich 29 aller möglichen Minuten verpasste.
"Wir dachten, das Wechselspiel zwischen Paco Alcacer und Mario Götze, das in der Vorsaison hervorragend geklappt hat, funktioniert erneut", gestand auch BVB-Sportdirektor Michael Zorc die Fehleinschätzung ein. Letztlich eine schwerwiegende, denn man hätte antizipieren müssen, dass gerade Götze bei Trainer Lucien Favre einen unverändert schweren Stand hat. Nur fünf Bundesligapartien von Beginn an sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache.
Das größere Problem jedoch, das allerdings etwas schwerer zu antizipieren war, ist Alcacer und dessen mittlerweile ellenlange Krankenakte. Auf insgesamt schon sieben Ausfälle kommt der 26-Jährige in seinen eineinhalb Jahren in Dortmund. Zuvor saß er beim FC Barcelona meist nur auf der Bank, so dass sich der Angreifer im Grunde seit mehreren Jahren schon auf der Suche nach einem gesunden Wettkampfrhythmus befindet.
Keine Garantie auf regelmäßige Einsätze bei Alcacer
Noch im Sommer sah es danach aus, als könne Alcacer endlich von vorn beginnen. Dortmunds bester Torjäger der Vorsaison (18 Treffer) kam verletzungsfrei durch die Vorbereitung und drahtig wie nie daher. Das damalige Zwischenzeugnis: sieben Tore nach sechs Pflichtspielen, dazu drei Treffer für die spanische Nationalmannschaft.
Doch Ende September ging es mit einer Achillessehnenreizung und anschließenden muskulären Problemen in der Wade wieder mit den Blessuren los. Zwei Monate nach seinem letzten Startelfeinsatz kam gegen Paderborn eine Knieverletzung hinzu.
"Paco hat seit langem nicht mehr trainiert", hieß es von Favre dann immer wieder. Alcacers bittere Bilanz: 425 Einsatzminuten an den ersten fünf Spieltagen, 104 Minuten an den Spieltagen sechs bis 17. Was die Dortmunder Verantwortlichen spätestens jetzt wissen: Eine Garantie auf regelmäßige Einsätze gibt es bei ihm nicht.
Neue Situation für Alcacer beim BVB
Allerdings wurde Alcacer auch Leidtragender des Dortmunder Mini-Aufschwungs nach der Systemumstellung auf 3-4-3 Anfang Dezember. In dieser Anordnung wird auf die klassische Mittelstürmerrolle verzichtet, stattdessen sind an vorderster Front viel Laufarbeit und Rochaden gefragt - nicht unbedingt Alcacers Spezialgebiet. Im letzten Spiel des Jahres in Hoffenheim wurde dies von Favres Maßnahme unterstrichen, erst Götze und später Bruun Larsen einzuwechseln.
Es ist somit eine neue Situation für den in Dortmund lange gefeierten Spanier eingetreten, die sich in der Rückrunde gar noch verschärfen könnte. Dann nämlich wird der BVB aller Wahrscheinlichkeit nach den zugegebenen Fehler korrigiert und einen zweiten Neuner verpflichtet haben.
Ob dies am Ende der heiß gehandelte Erling Braut Haaland oder Kaliber wie die gerüchteweise genannten Olivier Giroud oder Dries Mertens werden, spielt dabei keine Rolle.
Druck auf Alcacer wird sich weiter erhöhen
Klar ist: Der Neue wird auf Anhieb in der Lage sein (müssen), in den Konkurrenzkampf mit Alcacer einzutreten und auch die Hoffnung mitbringen, angesichts der häufigen Ausfälle des 26-Jährigen die neue Nummer eins im BVB-Sturm zu werden. Der ohnehin gestiegene Druck auf Alcacer wird sich zweifelsfrei weiter erhöhen.
Ob er diesem standhalten kann, steht augenscheinlich genauso in den Sternen wie seine Zukunft beim BVB. Bis 2023 hat sich Alcacer in diesem Jahr zwar an die Westfalen gebunden, doch neben seiner unklaren sportlichen Situation soll auch das Heimweh seiner Familie einen neuen Gedankenprozess angestoßen haben.
"Wo ich in Zukunft spielen werde, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was das Leben für mich bereithält. Aber ich würde in der Zukunft sehr gerne in LaLiga zurückkehren. An Spanien vermisse er vor allem das Wetter, das Essen sowie die Sitten und Bräuche des Landes", ließ Alcacer erst Ende November ausrichten.
Paco Alcacer: Seine Leistungsdaten beim BVB
Wettbewerb | Spiele | Tore | Assists | Spielminuten |
Bundesliga | 37 | 23 | 1 | 1731 |
Champions League | 7 | 1 | 2 | 469 |
DFB-Pokal | 2 | 1 | 1 | 164 |