Der Glanz der 1990er Jahre durchweht seit einer Woche wieder ein wenig die Bundesliga. Seit dem Transfer von Gladbachs Marco Reus zu Borussia Dortmund im kommenden Sommer fokussiert sich vieles auf ein enges Duell zwischen dem amtierenden Meister und Rekordchampion Bayern München. So wie damals, als der BVB zum größten Rivalen der Münchner aufstieg, den Bajuwaren ab und an einen Titel streitig machte und zwischen beiden Parteien auf und abseits des Platzes ordentlich die Fetzen flogen.
An jene Zeit fühlen sich einige spätestens seit dem Reus-Deal wieder zurückerinnert, ist die Borussia doch etliche Jahre später sportlich wieder drauf und dran, die einstige Dauerfehde erneut zum Leben zu erwecken.
Reus-Transfer als konsequentes Signal
Selbstverständlich sind die Personalie Reus und der damit verbundene finanzielle Aufwand ein Zeichen der Dortmunder. Ein Signal an die Liga, an die eigene Belegschaft und letzten Endes an den Dauertitelfavoriten aus Süddeutschland. Keiner der Beteiligten dementiert dies. Und selbstverständlich waren der Zeitpunkt der Bekanntgabe sowie die Tatsache, dass der BVB erstmals nach über zehn Jahren (25 Millionen Euro für Marcio Amoroso 2001) wieder dermaßen viel Geld für einen Spieler in die Hand nimmt, überraschend.
Schaut man sich jedoch die Entwicklung an, die Borussia Dortmund seit der Amtsübernahme von Trainer Jürgen Klopp vor dreieinhalb Jahren durchgemacht hat, erscheint der aktuelle Fingerzeig allerdings eher brutal - um ein von Klopp oft benutztes Wort zu gebrauchen - konsequent.
Mit dem ersten Tag der Zusammenarbeit des Triumvirats Hans-Joachim Watzke, Michael Zorc und Klopp setzte man unbeirrt eine Vorgehensweise um, von der trotz der jüngsten Erfolge und der damit einhergehenden, veränderten Wahrnehmung des Klubs keinen Zentimeter abgerückt wurde. Diese stoische Federführung betrifft sowohl solides Wirtschaften, als auch geradlinige Personalentscheidungen und spieltaktische Ausrichtung.
"Fast jeder junge Spieler will zu uns"
BVB-Fußball proklamiert Klopp für sein Team - mittlerweile kann jeder Fußballinteressierte etwas mit diesem Begriff verbinden. "Jungen Spielern ein erstklassiges Gesamtpaket inklusive homogener Umgebung zu bieten" - Watzkes Umschreibung für das Faustpfand des Klubs trifft nicht erst seit der Meisterschaft den Kern.
Das verantwortliche Trio hat den Fußballstandort Dortmund kontinuierlich in einen Hort mit Perspektive verwandelt, durch den "fast jeder junge Spieler, der auf diese Reise gehen will, zu uns möchte" (Klopp).
Die über die Jahre vorangetriebene Entwicklung des Kaders hin zu einer aus stillen (Personal-)Reserven gespeisten Top-Mannschaft, die dem Klub auf Dauer internationales Flair und somit den Erhalt der Finanzstrukturen zu garantieren scheint, stand für die Verantwortlichen von Anbeginn als eines der Ziele auf der reformierten Agenda.
Bayern-Angriff kann kein ernsthaftes Ziel sein
Die schnellen Erfolge, die die Anfang 2008 noch abstiegsbedrohte Borussia unter Klopp einfuhr, hievten den Verein sportlich wie finanziell zwangsläufig auf eine neue Ebene. Die Rolle des Außenseiters, der nach dem Motto "Alles kann, nichts muss" unbekümmert durch die Bundesliga fegt, ist der breiten Öffentlichkeit zu wenig. Man möchte die 90er wieder zurück, das Duell zwischen Bayern und Dortmund, dem neuen erfolgreichen Herausforderer.
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Doch auch Meisterschaft, Champions League und Reus-Transfer bringen die Dortmunder nicht von ihrer Linie ab. Die jüngste Aussage von FCB-Sportdirektor Christian Nerlinger, das Understatement der Westfalen müsse durch das 17-Millionen-Investment in Reus nun unvermeidlich ein Ende haben, wird sich womöglich als Irrglaube entpuppen.
Der Ansatz, den die Dortmunder in dieser Hinsicht verfolgen, erscheint schon aufgrund traditioneller Faktoren ebenfalls nur konsequent. Die sportliche wie wirtschaftliche Stahlkraft des FC Bayern ist und bleibt unmöglich einzuholen. Bayern München anzugreifen kann kein ernstgemeintes Ziel eines deutschen Klubs sein.
Watzke: "Mehr ist für uns nicht drin"
Die Borussia verfolgt den Anspruch, dank finanzieller Renaissance und sportlicher Kontinuität "den Abstand noch ein wenig zu verkürzen", wie Watzke sagt. Denn: "Mehr ist für uns nicht drin. Uns trennen vom FC Bayern noch immer Welten." Aber: "Das heißt nicht, dass man nicht versucht, gegen sie auch mal ein Spiel zu gewinnen. Und das heißt auch nicht, dass sie jedes Jahr Meister werden."
Vielmehr definiert der BVB seine eigenen, linear zum sportlichen Erfolg wachsenden Ambitionen. Die Klasse der einzelnen Spieler und somit der Mannschaft weiter zu erhöhen wird dabei ebenso verfolgt wie den Kader durch gezielte Transfers qualitativ weiterzuentwickeln und den Klub finanziell attraktiver werden zu lassen. "Die Strahlkraft dieses Vereins muss wachsen, wachsen, wachsen", betont Klopp.
Dortmund befindet sich dabei auf einem ausgezeichneten Weg, dessen Ende noch längst nicht abzusehen ist - für Klopp sind bisher lediglich zehn Prozent der anvisierten Wegstrecke zurückgelegt. So war beispielsweise die Diskrepanz zwischen internationalen Auftritten und denen auf nationaler Ebene extrem.
15 Millionen für 18-Jährigen? "Haben lange nachgedacht"
Laut Klopp ist dies quasi ein Abfallprodukt des rasanten Fortschritts: "Wir sind mit einer sehr jungen Mannschaft sehr schnell sehr erfolgreich geworden. Aufgrund dieses Erfolges wurden wir international in außergewöhnlicher Art und Weise wahrgenommen. Dem konnten wir nicht standhalten", lautet seine Analyse, der er ein Versprechen folgen lässt: "Wir werden es besser machen. Wir sind dabei, zu lernen. Es klappt halt nicht, heute das Abi zu schreiben, morgen das Physik-Studium abzuschließen und übermorgen eine Rakete zu bauen."
Die Chance, den Lernprozess in Europa in der kommenden Saison auf höchster Ebene zu vertiefen, hat der BVB. Die Entwicklung des Vereins und seiner Spieler befindet sich derzeit auf dem Stand, dass regelmäßige Champions-League-Teilnahmen in Aussicht stehen - und durch den hochklassigen Kader auch zu einem sportlichen Muss geworden sind. Damit würde sich der finanzielle Spielraum logischerweise wieder erhöhen und "die Zukunft sogar noch schöner aussehen als die Gegenwart" (Klopp).
Und übrigens: Bereits im vergangenen Sommer enthüllte Klopp in einem Interview Gedankenspiele über den Transfer eines namentlich nicht genannten 18-Jährigen, der 15 Millionen Euro gekostet hätte. "Über den haben wir lange nachgedacht. Wir haben uns dagegen entschieden", sagte Klopp im Juli. Insofern erscheint das jetzige Vorpreschen gar nicht mehr so wild - sondern eben konsequent.
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