"Wir haben Weidenfeller ein paar reingehauen"

Taime Kuttig spielt in der Blindenfußball-Bundesliga für den BVB
© Blindenfußballbundesliga
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SPOX: Im Spätsommer fand die Europameisterschaft im eigenen Land in Berlin statt. Die hat Ihnen für Blindenfußball-Verhältnisse ein großes mediales Interesse eingebracht. War das eher förderlich oder hat es Ihre Mannschaft ein Stück weit gehemmt?

Kuttig: Ein paar waren im Tunnel und haben das Zuschauerinteresse eher ignoriert. Ich habe das schon eher genossen von der Atmosphäre her. Auf mich ist aber medial relativ viel eingeprasselt, das hat während des Turniers vielleicht schon etwas abgelenkt. Dennoch habe ich das Heimturnier sehr genossen. Schade, dass wir nicht noch etwas weiterkommen sind.

SPOX: Sie haben die WM-Qualifikation im Spiel um Platz fünf im Siebenmeterschießen denkbar knapp verpasst. Wirft das den deutschen Blindenfußball zurück?

Kuttig: Fördertechnisch ist es in Deutschland ja so, dass man mehr erhält, wenn man mehr erreicht. Was ich merkwürdig finde, weil Sportler ohne Förderung auch nicht unbedingt mehr erreichen können. Ich weiß auch, dass wir viel mehr Zuwendungen erhalten hätten, wenn wir ins Finale eingezogen wären. Aber es ist eben jetzt so, wie es ist. Trotzdem haben wir uns gesteigert und daher ist es definitiv kein Rückschritt. Allein dass die EM in Deutschland war, hat uns sehr viel gebracht. Wegen der verpassten WM-Qualifikation haben wir nun zwei Jahre Zeit bis zur nächsten EM. Und das müssen wir positiv sehen und uns verbessern und vorbereiten, weil dort wollen wir uns für die Paralympics in Tokyo qualifizieren. Trotz viel Pech haben wir gesehen, dass wir noch viel verbessern können. Ein Umbruch wurde bereits eingeleitet.

EM-Aus gegen die Türkei im Video

SPOX: Der Teammanager der Nationalmannschaft sagte, Sie seien der talentierteste Spieler im Team: Wo stehen Sie im Vergleich mit den besten Spielern der Welt?

Kuttig: Das ist eine schwierige Frage. Von Außenstehenden höre ich schon ab und zu, dass ich einer der Besten sei - auch in Europa. Das liegt aber weniger am Talent, als am unbedingten Willen und Einsatz, den ich immer mitbringe. Ich kann mich wirklich bis zur totalen Erschöpfung verausgaben. Ich glaube, das fällt einfach vielen auf. In der Welt bin ich auf gar keinen Fall vorne dabei. Auf der DFB-Homepage gab es mal ein Interview von mir mit der Überschrift: "Ich möchte der beste Spieler der Welt werden". Das habe ich so nie gesagt. Das ist auch unrealistisch. Dafür sind die Brasilianer und Argentinier im Blindenfußball einfach zu gut. Da bin ich mehrere Klassen schlechter. Die schießen europäische Teams mitunter zweistellig ab, mir gelangen jetzt gerade mal zwei Tore.

SPOX: Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich? Gibt es in diesen Ländern Profis?

Kuttig: Der deutsche Blindenfußball ist in Europa mit vorne dabei. Wir haben noch viel mehr Potential. Wir müssen mehr Wettkampfhärte erlangen und im mentalen Bereich aufholen. Die Defizite liegen aber an finanziellen und organisatorischen Rückständen von Förderungsseite. Brasilien und Argentinien sind am Besten und arbeiten auf einem professionellen Niveau.

SPOX: Das heißt konkret?

Kuttig: Die Nationalspieler dort sind Vollprofis mit Verträgen und erhalten umgerechnet mehrere tausend Euro im Monat. Das ist auf die dortigen Verhältnisse bezogen sehr, sehr gutes Geld. Die trainieren täglich und werden von Ärzten und Physiotherapeuten regelmäßig betreut. Davon können wir nur träumen. Die Türken und Engländer sind semiprofessionell aufgestellt, weil die Blindenfußball-Nationalmannschaften in die Fußballverbände integriert sind.

SPOX: Wie läuft die Zusammenarbeit hierzulande mit dem DFB?

Kuttig: Wir gehören noch nicht zur DFB-Familie, aber da wollen wir natürlich hin und aufgenommen werden. Zum Vergleich: Die FA schüttet in England umgerechnet circa eine Millionen Euro in die Förderung des dortigen Blindenfußballs. Der deutsche Etat liegt bei 24.000 Euro. Der Unterschied ist gewaltig. Nicht verwunderlich, dass das auch die Teams sind, die mit den vorhandenen Strukturen am erfolgreichsten sind.

SPOX: Was muss denn passieren, dass der DFB den Blindenfußball integriert?

Kuttig: Ich glaube einfach, dass so ein Schlagwort "Inklusion" die Gesellschaft noch immer überfordert. Und an unserem Beispiel, dass wir noch nicht zum DFB gehören, sieht man das am besten. Inklusion bedeutet, dass man Seite an Seite agiert in einem Verband. Aber wir sind noch immer in einem eigenen Verband organisiert und hinken noch sehr weit hinterher. Was ich schade finde, da der DFB ja schon das in oder andere Mal für integrative Projekte ausgezeichnet wurde.

SPOX: Gibt es denn Kontakt?

Kuttig: Ja, erste Annäherungsversuche gab es jetzt. DFB-Präsident Reinhard Grindel hat auch die Auslosung der Europameisterschaft besucht und uns da als "seine Mannschaft" bezeichnet. Also als eine DFB-Mannschaft. Mal schauen, wie lange es noch dauert, bis dieser Aussage Taten folgen.

SPOX: Sie leben in Köln und absolvieren ihren Master in Sportmanagement. Was sind Ihre größten Herausforderungen im Alltag?

Kuttig: Leider ist es nicht selten die mangelnde Offenheit der Menschen gegenüber uns Blinden und generell gegenüber Behinderten. Das berichten auch viele Kollegen. Auf dem Campus oder auf der Straße laufen mich Leute um, weil sie auf ihre Smartphones starren. Ab und zu werde ich dann gefragt, ob ich keine Augen im Kopf hätte. (lacht) Aber im Ernst: Unsere Mitmenschen sind diesbezüglich manchmal etwas unbeholfen. Das hängt damit zusammen, dass in Deutschland nicht genug auf die Situation von Blinden eingegangen wird. Wenn wir mit dem Team im Ausland sind, merke ich immer wieder, dass dort die Menschen besser mit der Situation umgehen können. Ganz praktisch ist es die Gabe, sich in neuen Umgebungen zurechtzufinden. Beim ersten Mal hilft nur eine Begleitperson oder ich frage mich komplett durch: Wenn ich etwa einen Kurs in einem neuen Gebäude habe, bedarf es einer guten Vorbereitung, um da pünktlich anzukommen. Das wird irgendwann Alltag und das bekomme ich hin.

SPOX: Wo möchten Sie beruflich später hin?

Kuttig: Ich möchte dem Sport abseits der aktiven Karriere in jedem Fall erhalten bleiben. Ich könnte mir Marketing ganz gut vorstellen: Sponsoren organisieren oder große Events veranstalten, um den Sport voranzubringen. Ob das im Verband, bei der Stadt oder in einer anderen Organisation ist, da bin ich für vieles offen.