"Wir haben Weidenfeller ein paar reingehauen"

Taime Kuttig spielt in der Blindenfußball-Bundesliga für den BVB
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SPOX: Chancenlos sind auch die meisten Sehenden, wenn diese sich in Ihrem Sport ausprobieren. Vier blinde Feldspieler, ein Metallplättchen im Spielball, je ein sehender Torwart und je ein sehender Guide hinter dem Tor. Fällt es Ihnen schwer, Blindenfußball Außenstehenden greifbar zu machen?

Kuttig: Jeder stellt sich das irgendwie anders vor, doch kaum einer liegt damit richtig. Ich wurde beispielsweise schon gefragt, ob wir in der Nationalmannschaft mit einem Blindenstock auf den Platz gehen, oder etwa mit einer Begleitperson. (schmunzelt) Bisher konnte sich keiner vorstellen, mit welchem Tempo wir agieren, bevor sie es nicht selbst gesehen haben. Hinterher ist das Erstaunen groß. Ich denke, viele übertragen ihr normales Bild von einem mitleidsbedürftigen Blinden im Alltag auf den Blindenfußball.

SPOX: Was hat es mit der "Voy"-Regel auf sich und was ist sonst noch typisch für Blindenfußball?

Kuttig: Das typischste sind sicherlich die "Voy"-Rufe. Die hört man, sobald man sich einem Blindenfußballspiel nähert. Das ist spanisch und bedeutet "ich komme" und dient der Verständigung auf dem Kleinfeld mit Banden, auf dem wir agieren. Der Ball rasselt ja dank der Metallplättchen im Ball. Der ballführende Akteur hört deswegen meistens in dem Moment ausschließlich das Spielgerät. Um Verletzungen durch schlimme Zusammenstöße zu verhindern, muss der Gegenspieler, wenn er den Ball abnehmen will, im Abstand von ungefähr drei Metern "Voy" rufen. Damit hat der Spieler am Ball die Möglichkeit, vorbeizudribbeln oder zu passen.

SPOX: Woher weiß der blinde Gegenspieler genau, dass er rund drei Meter entfernt ist?

Kuttig: Das können die Spieler dank der Geräusche im Ball sehr gut einschätzen. Deswegen muss es ja beim Blindenfußball auch leise auf den Rängen sein, damit wir Spieler Ball, Anweisungen und "Voy"-Rufe wahrnehmen.

SPOX: Ruft das jemand nicht, liegt es im Ermessensspielraum des Schiedsrichters, ein Foul zu pfeifen.

Kuttig: Genau. Das ähnelt dem Basketball. Es gibt persönliche Fouls und Teamfouls. Ab dem fünften persönlichen Foul muss ein Spieler vom Platz. Ab dem fünften Teamfoul pro Hälfte gibt es einen Strafstoß fürs gegnerische Team. Generell gilt: Wer die "Voy"-Regel missachtet, hat im Zweifel Pech, wenn er mal heftig umgerannt wird.

SPOX: Der Torwart darf sehen. Dürfen Ihre Trainer jeden nominieren oder gibt es Einschränkungen bei der Auswahl?

Kuttig: Nein, die gibt es nicht. Meistens läuft die Auswahl über Kontakte oder durch persönliche Neugier, die ins Training führt. Richtig gute Torhüter im Blindenfußball bringen natürlich Erfahrung aus dem Vereinsfußball mit. In den Nationalmannschaften ist das durchweg der Fall. In Marburg waren und sind das zum Beispiel Sportstudenten, die im Verein spielen und diese Rolle übernommen haben.

SPOX: Wäre es nicht dennoch ein riesiger Vorteil, wenn ein sehr guter Torwart das deutsche Tor hütet wie neulich bei der Europameisterschaft im eigenen Land?

Kuttig: Natürlich wäre es das. Vergessen wir aber nicht: Ein Torhüter im Blindenfußball muss andere Kompetenzen mitbringen als etwa im normalen Profifußball und es ist ein langer Lernprozess nötig, um wirklich eine Hilfe fürs Team zu werden. Er muss noch viel kommunikativer sein. Da gilt es nicht nur die Abwehrkette zu dirigieren, sondern zusammen mit dem Guide präzise Anweisungen zu geben, mit den richtigen Kommandos. Ein Bundesligatorhüter hilft nichts, wenn wir Spieler keine Abwehrarbeit verrichten können, weil die Anweisungen zu unpräzise sind.

SPOX: Hatten sie denn schon mal einen Bundesligatorhüter dabei?

Kuttig: Jens Lehmann wollte mal Torhüter bei uns werden, aber er hat es dann leider nie probiert. Aber wir hatten mal einen Keeper der SG Sonnenhof Großasbach, der zuvor auch für den VfB gespielt hat, der war sehr gut und hat sich auch auf das Spiel eingelassen. Er musste später aber wegen seiner beruflichen Situation aufhören.

SPOX: Entstehen im Blindenfußball auch auf höchstem Niveau mitunter manchmal "Slapstick"-Einlagen, über die Sie schmunzeln?

Kuttig: Generell würde ich sagen, dass es bei uns mehr Zweikämpfe und Körperkontakt gibt, als im normalen Fußball. Es ist halt so, dass wir den Gegner fühlen können müssen, weil wir ihn nicht sehen. Gegeneinander laufen ist auf hohem Niveau selten, da sich jeder an die Regel hält und die Reaktionsschnelligkeit vorhanden ist. Bei einem Spiel mit dem BVB in dieser Bundesligasaison in Halle ist mir aber unverhofft ein perfekter Torabschluss gelungen. Ich wollte einen Mitspieler anlupfen, habe mich allerdings verschätzt und ihn am Kopf getroffen. Sein Kopfball muss ziemlich gewollt ausgesehen haben. Jedenfalls legte er den Ball perfekt für mich ab und ich konnte schießen. Solche Dinge passieren schon ab und zu. (lacht)

Gemeinsames Training der BVB-Stars mit den BVB-Blindenfußballern

SPOX: Sie sprechen den BVB an. Sie spielen für die Blindenfußball-Mannschaft von Borussia Dortmund. Wie sieht dort das Training und die Förderung aus?

Kuttig: Wir trainieren als Team zweimal wöchentlich. Regelmäßiges Teamtraining war aber auch Grundvoraussetzung für den Wechsel von Marburg zum BVB. Das war davor noch nicht so. Das Niveau ist aber noch nicht so hoch wie in der Nationalmannschaft oder den Topteams aus Marburg und St. Pauli. Das liegt aber einfach am Erfahrungssatz. Die Förderung ist rein finanziell. Wir beantragen Lehrgänge und die werden dann bezahlt. Aber wir sind im Austausch um das auszubauen, damit wir einen ausgebildeten Trainer erhalten. Das Geld dazu hätte der Gesamtverein. Zahlungen an einzelne Spieler gibt es nicht.

SPOX: Gab und gibt es Kontakt zu den BVB-Profis?

Kuttig: Ja, wir wurden mal eingeladen zu einer kleinen gemeinsamen Session nach deren Training mit Marcel Schmelzer und Roman Weidenfeller. Spieler wie Marco Reus oder Shinji Kagawa haben sich das auch kurz angeschaut. Wir haben Marcel Schmelzer das Dribbeln mit Blindenmaske beigebracht und Roman Weidenfeller ein paar Dinger reingehauen und dann war das Training auch vorbei. Es war aber dennoch eine sehr schöne Geste. Es hat sich auch kollegial angefühlt. Es war jetzt nicht so, dass die schnell weg wollten. So sind auch die anderen Spieler und das Funktionsteam gewesen.

SPOX: Wie haben sich die Profis blind geschlagen?

Kuttig: (schmunzelt) Naja, wir waren blind und Weidenfeller nicht und wir haben trotzdem Treffer erzielt. Ich denke, wir konnten zeigen, dass wir eine ganz gute Technik haben. Und das haben die Spieler akzeptiert. Und das Dribbling von Schmelzer sah gar nicht so schlecht aus. (lacht)

SPOX: Wie ist die Bundesliga organisiert?

Kuttig: Der Modus hat sich zur letzten Saison geändert. Davor wurde regelmäßig am Wochenende gespielt. Jetzt treffen sich die Teams an vier Wochenenden und bestreiten zwei bis drei Partien. Das finde ich ein bisschen zu viel auf einmal. Am Ende der Saison gibt es ein entscheidendes Playoff-Spiel des Ersten gegen den Zweiten der regulären Saison. Marburg hat als Meister der Saison dieses Spiel gegen St. Pauli verloren. Ich bin eigentlich immer dafür, dass der Saisonbeste auch Deutscher Meister wird. Insgesamt sind es acht Teams in der Liga.

SPOX: Wie ist der Umgang unter den Spielern in der Liga? Gibt es so etwas wie Trashtalk?

Kuttig: Stimmungstechnisch ist eigentlich alles dabei. Es müssen ja nur die Zuschauer leise sein. Wir feuern uns natürlich gegenseitig an und kritisieren uns auch ganz normal. Der Gegner wird auch schon mal beleidigt in der Hitze des Gefechts. Dass kann dann auch mal gegen die Behinderung gehen. Aber im Großen und Ganzen kennt sich die Blindenfußball-Familie und es entstehen massenhaft faire Gesten.