Teil 3: Das deutsche Testsystem auf dem Prüfstand
Bevor die Tests in La Liga verschwanden, mussten potenzielle Betrüger im spanischen Fußball - vorsichtig formuliert - nicht gerade in Angst und Schrecken leben. Oder wie Dopingexperte Carlos Arribas es süffisant ausdrückt: "Vielleicht hat sich niemand über fehlende Tests beschwert, weil sie davor nicht der Rede wert waren."
Pro Spieltag wurden lediglich bei vier Matches je vier Spieler getestet. Im gesamten spanischen Profifußball versteht sich. Die Kontrolleure tauchten demnach pro Wochenende bei zwei Spielen der Primera und bei zwei Spielen der Segunda Division auf. Von maximal eingesetzten 588 Fußballprofis wurden also nur 16 Spieler via Urinprobe kontrolliert. Von Trainingskontrollen ganz zu schweigen.
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Seit die AEPSAD die Kontrollen 2015 übernommen hatte, wurde lediglich ein Spieler positiv getestet - Inigo Ros vom Zweitligisten SD Huesca. Das Verfahren wurde wenig später eingestellt. Zur zweijährigen Sperre kam es nie.
Dem spanischen Antidopingkampf im Fußball wird von Ligaseite quasi keine oder nur wenig Beachtung geschenkt. "Der aktuelle Ligapräsident Javier Tebas richtet seinen vollen Fokus auf Gewinnmaximierung der Liga. Ihm ist es dank guter Kontakte gelungen, die TV-Vermarktung zu reformieren und die Gelder für Liga und Klubs deutlich anzuheben", berichtet Arribas.
Liga-Präsident schweigt sich aus
Tebas hat sich bis zum heutigen Tag öffentlich nicht zu den fehlenden Kontrollen geäußert. "Doping und der Kampf dagegen spielt für ihn keine Rolle", so Arribas. Und da ihn öffentlich kaum jemand unter Druck setze, müsse er das auch nicht. Deutschland sei da weit voraus.
Aber stimmt das wirklich?
Laut offiziellem Jahresbericht 2015 der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) - 2016 ist noch nicht veröffentlicht - gab es in den deutschen Profiligen im gesamten Kalenderjahr 663 Dopingkontrollen nach Spielende, davon 71 Bluttests (Rest Urinproben). Hinzu kamen 484 (45 Bluttests) Trainingskontrollen. "Diese sind, wie alle NADA-Kontrollen, unangekündigt gewesen", heißt es von der Pressestelle der NADA auf SPOX-Nachfrage.
Erstaunlich: Laut des Jahresberichts wurde weder bei DFB-Lehrgängen der A-Nationalmannschaften noch der Juniorenteams im Training kontrolliert. Die deutschen Fußball-Nationalspieler durften also - im Gegensatz zu allen anderen Spitzensportlern in Deutschland - vor den Wettkämpfen in aller Ruhe trainieren. Lästige Tests, Fehlanzeige?
Dopingexperte Thomas Kistner im SPOX-Interview: "Fußball vom Doping verseucht"
Der DFB interveniert auf SPOX-Anfrage und erklärt: "Die NADA hat auch im Jahr 2015 umfassende Trainingskontrollmaßnahmen durchgeführt. Aufgrund der Übernahme der Wettkampfkontrollen durch die NADA zur Saison 2015/2016 kam es - laut NADA - jedoch im Jahresbericht zu einer anderen Darstellung der Kontrollmaßnahmen im Fußball."
Mit dieser Aussage konfrontiert, bestätigt die NADA die Richtigkeit des DFB-Statements. Gänzliche Transparenz sieht anders aus.
Jahresbericht: Keine Kontrollen beim DFB-Team
Die NADA erklärt den Umgang mit Trainingskontrollen so: "In der Anzahl und Häufigkeit der Kontrollen gibt es Unterschiede. Wir fokussieren dabei auf die Spitzenathleten, so dass Spieler der Nationalmannschaft häufiger kontrolliert werden als Spieler der Regionalliga."
Während in Spanien also momentan gar nicht getestet wird, verschiebt sich hierzulande die Fragestellung in die Richtung, ob deutsche Profifußballer genug im Training getestet werden.
Nach Spielen der ersten und zweiten Bundesliga jedenfalls werden je zwei Spieler aller Teams zum Test gebeten. 72 von bis zu 504 eingesetzten Bundesligaprofis werden pro Woche also nach Spielende getestet. Signifikant mehr als in der Primera Division vor der kompletten Einstellung vor einem Jahr.
Der Tabellen-Ausschnitt aus dem NADA-Jahresbericht 2015 zeigt zudem, dass in anderen deutschen Mannschaftssportarten weniger getestet wurde, deutsche Einzelsportler dagegen signifikant mehr getestet werden als Fußballer. Wenn man die Anzahl der Sportler in Relation setzt.
Sportart | Proben aus Trainingskontrollen | Proben aus Wettkampfkontrollen |
Fußball (DFB) | 0 | 784 |
Fußball (Ligen) | 484 | 663 |
Basketball | 117 | 80 |
Handball | 175 | 309 |
Eishockey | 458 | 120 |
Radsport | 547 | 606 |
Leichtathletik | 1857 | 597 |
*Tabelle ist ein Ausschnitt aus dem Jahresbericht 2015 der NADA
Eine positive Probe gab es in der ersten und zweiten Liga im Jahr 2015 indes weder nach Spielen noch im Training. Anders sieht es in den beiden Ligen darunter aus. Bei drei Dopingtests wurden Spuren von Glucocorticoiden (Steroidhormone) nachgewiesen. Laut dem NADA-Bericht wurde anschließend einmal kein Dopingverstoß gemeldet, einmal wurde das Verfahren eingestellt. Ein dritter Fußballer konnte ein "TUE", eine medizinische Ausnahmegenehmigung, vorweisen.
Ungereimtheiten in Liga drei
Der DFB, der laut NADA für die Sanktionsverfahren zuständig ist, erklärt auf SPOX-Anfrage, dass "die drei Verfahren zweimal die Regionalliga und einmal die 3. Liga betrafen." Genauere Angaben, welchem Verein sie zuzuordnen sind, wieso die Verfahren eingestellt wurden oder welcher Spieler eine Ausnahmegenehmigung vorzuweisen hat, macht der DFB nicht. Die Diskussion um medizinische Ausnahmeregelungen sportartübergreifend ist jedenfalls keine neue.
Informationen oder gar Statistiken zu medizinischen Ausnahmeregelungen in den deutschen Profiligen gibt es nicht. Generell gibt es Diskussionen darüber, an welchem Punkt Doping anfängt. Wenn Schmerztabletten nur noch Mittel zum Zweck sind? Vor Wochenfrist hatte Eintracht Frankfurts Coach Niko Kovac ohne Bedenken der Öffentlichkeit mitgeteilt: "Ohne Schmerzmittel geht es gar nicht mehr im Fußball."
Die vielen begleitenden Maßnahmen können nach juristischer Sichtweise als Doping betrachtet werden. Im Urteil des obersten italienischen Gerichts zum Fall Juventus ist beispielsweise festgehalten, dass auch der Einsatz nichtsteroidaler Schmerzmittel als Doping zu betrachten ist. Sobald sie nicht mehr als Schmerzmittel eingesetzt werden, sondern als Mittel zum Zweck.
Schmerzmittel gehören bis in die Tiefen des Amateurfußballs quasi zum Alltag. Nicht neu ist, dass Spieler an den fließenden Grenzen zum Profifußball besonders anfällig für den Missbrauch leistungssteigernder Mittel sind, weil hier eben deutlich weniger getestet wird. Dort stößt die NADA an die Grenzen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen. Es bedarf keiner allzu großen Internetrecherche, um in Foren zu ersten Diskussionen über Dopinghandel in unteren Ligen zu gelangen.
Die NADA hat derweil alle Hände voll zu tun, den Spitzensportbereich ausreichend abzudecken. Flächendeckende Spielkontrollen, das zeigen die Zahlen etwa aus Eishockey und Basketball, sind momentan schwer darstellbar.
Im Sommer hat sich mit Adidas einer der Großsponsoren aus der Förderung zurückgezogen. Die 9,1 Millionen NADA-Jahres-Budget kommen zu zwei Dritteln vom Bund, nur etwas mehr als drei Prozent steuert die Wirtschaft bei, sieben Prozent fließen aus dem Sportgeschäft selbst.
DFL schweigt zur Unterstützung
Ob die DFL, die ja von den Tests im Spielbetrieb in erster Linie profitiert, sich an diesem Pott beteiligt, wollte sie gegenüber SPOX nicht erklären. Auch zu allen anderen Fragen verwies sie auf den DFB.
SPOX wollte für diesen Report mit den Gremien und Verbänden vor allem das Thema Langzeitlagerung der Dopingproben besprechen - der vielleicht wichtigste Aspekt für ein funktionierendes und abschreckendes System im Fußball. Die NADA hatte exklusiv berichtet: "In Bezug auf die Langzeitlagerung entscheiden wir, welche Proben von welchen Sportarten und Sportlern langzeitgelagert werden. Es werden nicht alle Proben aller Sportarten und Sportler in die Langzeitlagerung übergeben."
DFB spricht sich für Langzeitlagerungen in der Bundesliga aus
Was die Frage aufwirft, ob DFL und DFB nicht ein natürliches Interesse daran haben müssten, nicht zumindest alle Kontrollen in den Bundesligen Langzeit lagern zu lassen? Bei Nachtests von Proben der Medaillengewinner der olympischen Spiele 2008 und 2012 wurden in den vergangenen Jahren Dutzende Athleten nachträglich überführt.
Der DFB erklärt exklusiv gegenüber SPOX: "Wir sprechen uns für den Einsatz der Langzeitlagerung von Proben der Fußballerinnen und Fußballer durch die NADA aus. Hinsichtlich der Art und des Umfangs der langfristigen Einlagerung mit dem Ziel, die Proben zu einem späteren Zeitpunkt systematisch und rechtssicher nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erneut zu analysieren, greift der DFB auf die fachliche Beratung und Unterstützung der NADA zurück."
Würde eine flächendeckende Langzeitlagerung der Tests im deutschen Profifußball wirklich kommen, wäre Deutschland nicht nur Vorreiter, sondern würde ein großes Ausrufezeichen an mögliche Doper im deutschen Fußball senden.
Ein Zeichen, von dem die Spanier noch Lichtjahre entfernt sind. Und dennoch: Auch in Deutschland läuft längst nicht alles transparent ab, wie der Fall von Thiago Alcantara aufzeigt (Lesen Sie weiter auf Seite 4).