SPOX: Die U17 war damals so etwas wie das Sorgenkind der FCI-Jugendteams. Man spielte nur in der Landesliga, der dritthöchsten Spielklasse. Nach Ihrer ersten Saison stand der Aufstieg in die Bayernliga mit 18 Punkten Vorsprung...
Stipic: Und dort sind wir erst hinter Jahn Regensburg Zweiter geworden, im Jahr darauf aber in die U17-Bundesliga aufgestiegen.
SPOX: Das alles während der Nachtschicht, dem ständigen Training, der Fußballschule, dem Hausbau und Ihrer eigenen Familie.
Stipic: Ja. Nebenbei habe ich im Blockunterricht in Kroatien auch noch meinen Fußballlehrerschein gemacht. Der FCI hat mir deshalb während der zweiten Bayernliga-Saison auch die Arbeit bei der Fußballschule sozusagen verboten. Die dachten, ich sei verrückt. Bei mir fand auch ein Umdenken statt: Als sich abzeichnete, dass wir den Aufstieg in die Bundesliga schaffen werden, wollte ich am Saisonende für ein Jahr aufhören. Ich hatte meine Familie in den Vorjahren einfach vernachlässigt und nur in mich und mein Ego investiert.
SPOX: Das fand aber der FCI nicht so prickelnd, oder?
Stipic: Harald Gärtner wollte das unter allen Umständen vermeiden. Er wollte mich stattdessen nach den zwei Aufstiegen mit der U17 belohnen und übergab mir im Juni 2013 die Verantwortung für die zweite Mannschaft. Zu diesem Zeitpunkt fanden wir auch mit Audi die Regelung, dass ich freigestellt und mein dortiger Arbeitsvertrag eingefroren wurde. Die Nachtschicht war damit Geschichte, die Fußballschule auch - ich konnte mich erstmals in meinem Leben vollumfänglich dem Trainerdasein widmen.
SPOX: Auch das hatte durchschlagenden Erfolg: Im ersten Jahr bei der Ingolstädter U23 spielten Sie in der Regionalliga mit 57 Punkten die beste Saison der Vereinsgeschichte. Anschließend verjüngten Sie die Truppe um ganze drei Jahre - und gingen nach zehn Spielen auf Platz zwei liegend zu Erzgebirge Aue, Ihrer ersten Profistation. War dies auch das erste Angebot, das Sie aus dem Profibereich bekamen?
Stipic: Im Grunde schon. Es gab nach dem ersten Jahr als U23-Coach bereits ein paar Anzeichen, dass man auf mich aufmerksam geworden war. Ich hatte mich auch mental für den Profibereich geeignet gefühlt und mir gewünscht, dass da etwas kommt. Meine gesamte Vita bis zu meiner Zeit als Spielertrainer, aber auch insbesondere die rund vier Jahre als U17- und U23-Trainer, in denen ich die strategische und systematische Entwicklung der sportlichen Fähigkeiten der Spieler und deren Persönlichkeiten intensiv kennenlernte, gaben mir die Stärke, den Weg im Profibereich künftig beschreiten zu können.
SPOX: Bis dato waren Sie mit all Ihren Teams überdurchschnittlich erfolgreich. Worin lag das Geheimnis Ihrer Spielidee?
Stipic: Es geht darum, Verständnis in den Köpfen der Spieler zu verankern, um Gedankengleichheit auf dem Platz zu erzielen. Hat man innerhalb der gesamten Mannschaft den selben Gedanken, erreicht man einen Bewegungsvorsprung vor dem Gegner und erzielt eine hohe Identifikation der Spieler mit dem Spiel. Ich glaube auch, dass man sich als Trainer durch Empathie und spezifische Übungs- und Spielformen auch mal überflüssig machen sollte. Die Dosis des Lehrens und die Intensität des Führens sind entscheidend, Langeweile dämmt Geschwindigkeit und Teamentwicklung.
SPOX: Den Kontakt nach Aue stellte Mirko Reichel her, der damals U23-Coach bei Greuther Fürth war. Wie haben Sie sich gefühlt, als Ihnen klar wurde, dass Sie nun wirklich die Chance haben, Trainer in der 2. Liga zu werden?
Stipic: Als Mirko anrief und mir erzählte, ich könnte zu einem Vorgespräch nach Aue kommen, stand meine Frau neben mir. Wir umarmten uns und sie meinte: Jetzt ist es so weit. Das werde ich nie vergessen.
SPOX: Wussten Sie, dass es zum damaligen Zeitpunkt in Aue drunter und drüber ging, man nach vier Spieltagen mit null Punkten Tabellenletzter war und neben dem Präsidenten auch zahlreiche Gremiumsmitglieder zurückgetreten waren?
Stipic: Nein. Ich habe auch die Trainerentlassung gar nicht mitgekriegt, da ich so auf meinen Job in Ingolstadt fokussiert war. Ich habe mich dann aber eingehend informiert und wurde vollends aufgeklärt.
SPOX: Beim anschließenden "Bewerbungsgespräch" mussten Sie sich vor allem gegenüber den Gebrüdern Helge und Uwe Leonhardt bewähren, die als Präsident und Aufsichtsratsmitglied die dominanten Figuren des Klubs sind. Sie wurden in Leonhardts Schlosshotel Wolfsbrunn in Hartenstein eingeladen und stundenlang im dortigen Keller befragt. Wie lief das genau ab?
Stipic: Man wollte alles über den Menschen und Trainer Tomislav Stipic wissen. Sie haben mich vier, fünf Stunden lang von oben bis unten gescannt und ich habe ihnen bereitwillig alles erzählt. Das war wie ein Verhör - einerseits irgendwie beängstigend, andererseits aber auch hochspannend. Am Ende sagten sie, dass sie mir nichts versprechen wollen, aber von mir überzeugt wären und es sehr gut für mich aussehen würde.
SPOX: Sie haben den Job bekommen - und dafür eine Hospitanz bei Jose Mourinho und dem FC Chelsea sausen lassen. Was hatte es damit auf sich?
Stipic: Der Kontakt entstand über Predrag Mijatovic. Jose Mourinho fand das, was er über mich hörte, spannend. Ich bekam eine Einladung nach Wien, um mich einigen Chelsea-Vereinsverantwortlichen vorzustellen. Daraufhin sollte ich im September oder Oktober für zwei Wochen nach London kommen - aber plötzlich landete ich in Aue.
SPOX: Und das erste Mal vor einer Mannschaft aus echten Profis, die wie beispielsweise Michael Fink schon enorme Erfahrung vorweisen konnten.
Stipic: Ich war so aufgeregt und voller Vorfreude, dass ich in der Woche, die zwischen dem ersten Anruf und dem ersten Training lag, acht Kilo abgenommen habe. (lacht) Als ich das erste Mal vor der Mannschaft stand, fielen viele neugierige Blicke auf mich. Nach dem Motto: Wer zum Teufel ist denn der Stipic? Die hatten mich ja noch nie gesehen. Ich habe dann ein paar kurze, prägnante Worte gesprochen und vor allem um eines gebeten: Vertrauen.
SPOX: Würden Sie sagen, dass Ihnen bereits bei Ihrer Amtsübernahme die Schwere der Aufgabe vollkommen bewusst war?
Stipic: Mir war bewusst, dass ich kein vor Selbstvertrauen, Spielwitz und Zusammenhalt strotzendes Team vorfinden werde. Sportdirektor, Athletiktrainer, Videoanalyst, Scoutingabteilung, all das hatten wir nicht - aber wir hatten ein kleines Team, das sich aufopferte und mit Herzblut arbeitete. An manchen Tagen habe ich über 100 Telefonate geführt. In dieser Intensität und ohne Komfortzone acht, neun Monate als 35-jähriger Trainer auf seiner ersten Profistation im Abstiegskampf zu verbringen, war eine Schule fürs Leben - und dafür bin ich Aue auch dankbar.
SPOX: Wie sah die Zusammenarbeit mit den in Aue allgegenwärtigen Leonhardt-Brüdern aus?
Stipic: Sie waren sehr direkt und hatten viel Selbstvertrauen. Es war andersartig, aber sehr kurzweilig und vor allem enorm respekt- und vertrauensvoll. Das sind echte Geschäftsleute, die niemanden im Stich lassen und sich einer Sache mit Leib und Seele verschreiben können. Helge Leonhardt kam nach jedem Abschlusstraining zu uns in die Trainerkabine und wollte den Matchplan für das kommende Spiel sehen. Er wollte genau wissen, wie wir spielen wollen und wo die Stärken und Schwächen des Gegners liegen. Er hat sich sogar Fotos von den Flipcharts und Videosequenzen gemacht. Ich habe ihn gebrieft wie einen Spieler. (lacht)
SPOX: Wäre es nur nach der "Stipic-Tabelle" gegangen, hätten Sie mit Aue auf Platz zwölf abgeschlossen. Am Ende wurde man jedoch Tabellensiebtzehnter und stieg ab. Sie sind daraufhin von Ihrem Amt zurückgetreten und argumentierten, Sie wollen sich nun den Dingen widmen, die zuvor zu kurz gekommen seien. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Stipic: Wenn ich etwas tue, dann gibt es für mich keine Grenzen und immer 100 Prozent Leistung und Konzentration auf die Aufgabe. Ich empfinde den Trainerjob als meine Berufung. In Aue wurde ich meinem eigenen Anspruch nicht mehr vollends gerecht und hatte das Gefühl, nicht in jedem Moment der beste Trainer sein zu können, den die Mannschaft braucht. Ich will aber der Beste sein, der ich sein kann - und nur noch an meiner Produktivität als Coach gemessen werden. Künftig darf es keine nebenbei laufenden Dinge mehr geben, die meinen Fokus verändern könnten. Darüber hinaus hat mich das Gefühl nicht losgelassen, mich meinen vernachlässigten Werten wie meiner Familie widmen zu wollen.
SPOX: In Aue waren Sie von Ihrer Familie getrennt. Wie werden Sie diese Entscheidung auf weiteren Stationen handhaben - oder ist es beschlossene Sache, dass die Familie künftig mitkommt?
Stipic: Sie wird mich ab sofort auf jeder Station begleiten. Ich erwarte viel von mir und muss leistungsfähig sein. Wenn ich mich als Trainer im Spiegel nicht anlachen kann, kann ich auch niemandem etwas geben. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die mich die Zeit im Erzgebirge lehrte.
SPOX: Sie haben durch diesen Schritt auch eine neue Stufe der Prominenz erreicht und müssen sich auch zu verkaufen wissen. Wie haben Sie Ihre öffentlichen Auftritte reflektiert?
Stipic: Auch dafür hat die Pause gut getan, denn das war für mich persönlich die größte Veränderung. Die hohe Medienpräsenz, das Interesse an Randnotizen oder der gestiegene Zeitaufwand für Dinge abseits des Platzes sind Unterschiede, auf die ich nicht vorbereitet war. Man müsse sich eben gut verkaufen können, heißt es ja häufig. Diese Begrifflichkeit gefällt mir nicht so sehr. Ich möchte durch meine Arbeit, mein Wesen und mein natürliches Auftreten überzeugen. Ich will mich nicht verstellen müssen.
SPOX: Kurz nach Ihrem Ende in Aue hieß es, Sie seien ein Kandidat auf den Trainerposten bei Greuther Fürth. Wie wird es bei Ihnen nun weitergehen?
Stipic: Mir lagen nach dem Aus in Aue drei Anfragen vor, doch dafür waren die Zeit und ich selbst nicht reif. Meine Pause dauert nun seit drei Monaten an, ich habe bei einigen Vereinen hospitiert und viele interessante Gespräche mit Brancheninsidern führen können. Ich fühle mich gestärkt und motiviert und möchte meine Trainerkarriere gerne fortsetzen. Mal sehen, was passiert.
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