Bullige Rennmaschinen brettern eineinhalb Stunden am Limit im Kreis umher. Am Ende gewinnt ein Deutscher im Ferrari. Sein Teamkollege kämpft mit einem Briten und einem Finnen in ihren silbernen Mercedes.
Was sich anhört wie eine Beschreibung der glorreichsten Zeiten von Michael Schumacher, ist das Jahr 2017.
Statt dem Rekordweltmeister triumphiert Sebastian Vettel.
Statt McLaren-Mercedes mit Mika Häkkinen und David Coulthard muss sich nun das Werksteam mit Lewis Hamilton und Valtteri Bottas geschlagen geben.
Saisonauftakt erfüllt Erwartungen
Der Saisonauftakt in Australien hat gebracht, was sich alle erhofft haben: An der Spitze der Formel 1 kämpfen zwei Teams um den Sieg und die Führung in der Weltmeisterschaft.
"Ferrari hatte das schnellere Auto. Sie haben uns vom Start weg unter Druck gesetzt. Deshalb haben wir verloren", resümierte Toto Wolff.
Der Mercedes-Motorsportdirektor muss den Verlust der Dominanz seines Rennstalls fürchten und könnte gleichzeitig seinen größten Wunsch erfüllt bekommen. Denn ausgerechnet die Verantwortlichen der Silberpfeile, die drei Jahre am Stück die Konkurrenz in Grund und Boden fuhren, hatten immer wieder betont, wie wichtig der Kampf zwischen mehreren Teams für die Formel 1 ist. Ein Sieg gegen externe Konkurrenz ist mehr wert als eine teaminterne Prozession an der Spitze.
Allein, die Erfüllung des Wunschs könnte unliebsame Nebenwirkungen haben.
Ferrari bietet sich als Konkurrent an. Als ernste Gefahr für Siege, wenn nicht gar für die WM.
Ferrari-Erlösung nach 553 Tagen
553 Tage hatten Sebastian Vettel und sein Team seit seinem letzten Sieg beim Singapur-GP 2015 gewartet. "Die letzten Monate waren hart", so der vierfache Weltmeister: "Wir haben uns nur auf uns selbst konzentriert. Wir hatten beim Testen schon ein gutes Gefühl. Das hat sich hier bestätigt."
Der Sieg war eine mehrfache Erlösung. Beim Saisonauftakt dauerten die Durststrecken noch länger an: Vettel gewann letztmals im Jahr 2011, Ferrari wartete seit dem Jahr 2007 in Australien auf einen Sieg.
"Es wurde Zeit", sagte Vettels 64 Jahre alter Boss. Sergio Marchionne hob hervor, dass ein Erfolg nicht genug ist: "Wir haben auf diesen Sieg fast anderthalb Jahre gewartet. Endlich wieder die italienische Nationalhymne zu hören, war sehr bewegend."
Vettel: "Füße am Boden lassen"
Vom Titel aber wollte niemand reden. "Wir müssen die Füße am Boden lassen. Es ist ein weiter Weg. Es ist noch zu früh, auf das Tableau zu schauen", so Vettel. Die Eier soll die Scuderia nun unter keinen Umständen in den Pool hängen, wie er einst so schön formulierte.
Die Strecke um den Albert Park ist zu speziell, um Rückschlüsse auf den weiteren Saisonverlauf zuzulassen. Teilweise wird auf Flächen gefahren, die das übrige Jahr als Parkplätze genutzt werden. Holprig ist der semipermanente Kurs. Schnelle Kurven und rauen Rennasphalt sucht man vergebens.
Mercedes' Problem: Übergewicht
Zudem hat Mercedes ein Problem, das sich einfach beseitigen lässt. Der W08 hat weder zu wenig Abtrieb noch zu wenig Power. Er ist einfach zu schwer.
Toto Wolff wollte gegenüber Motorsport-Total "nicht ins Detail gehen. Ich kann nur so viel sagen: Es ist ein Bereich, in dem wir uns verbessern können."
5000 Gramm soll der Silberpfeil über dem zugelassenen Minimalgewicht liegen, wurde im Melbourne-Paddock gemunkelt. Dabei wurde es mit Einführung des neuen Reglements von 702 auf 728 Kilogramm erhöht. Größere und stabilere Flügel, haltbarere Motoren, fettere Bremsscheiben fordern ihren Tribut.
Nilpferd statt Eichhörnchen
Ferrari dagegen soll keine Probleme haben. Es würde erklären, warum Vettel im Rennen sichtbar schneller war als Hamilton.
Weniger Gewicht bedeutet unweigerlich auch weniger Druck durch seitliche Fliehkräfte. Mehr Masse führt zu stärker empfundener Zentrifugalkraft und damit gesteigerter Belastung der Reifenoberfläche. Ein Nilpferd am Seil im Kreis um sich herum durch die Luft zu wirbeln, ist schließlich deutlich anstrengender als dasselbe mit einem Eichhörnchen zu tun. Es braucht höhere Radialkraft, um nicht selbst nach außen zu fliegen.
"Wie Sebastian an Lewis drangeblieben ist, ihm im Getriebe hing", beschrieb Wolff den ersten Stint: "Wir sind Vollgas gefahren und waren nicht in der Lage uns abzusetzen."
Vettel spielt mit dem Silberpfeil
Stattdessen spielte Vettel mit dem Silberpfeil. Erst folgte er dem Mercedes problemlos, ließ dann freiwillig abreißen, um den Luftverwirbelungen auszuweichen und beschleunigte kurz vor den Boxenstopps wieder in den Windschatten. Hamilton forderte nach dem Rennen nicht ohne Grund, dringend am Reifenmanagement zu arbeiten.
Mercedes wähnte sich in Gefahr. Der Verdacht: ein Undercut. Ferrari hätte mit einem früheren Stopp den Vorteil der frischen Reifen nutzen und so vorbeikommen können. "Wir dachten auch, die Reifen würden nicht mehr so lange halten", erklärte Wolff, warum Hamilton schon nach 17 Runden stoppte.
Hamiltons Vorteil wird zum Nachteil
Vettel blieb weitere sechs Runden draußen. Zuerst hatte Hamilton den Vorteil der neuen Gummis auf seiner Seite. Er fuhr die bis dahin schnellsten Rennrunden. Kurz darauf aber lief er auf den Red Bull von Max Verstappen auf, dessen Reifen hinüber waren. Einen Weg vorbei fand er nicht.
Der Vorteil wurde zum Nachteil, weil Vettels Reifen noch schnell genug waren und Ferrari den Boxenstopp perfekt timte. Vettel kam genau vor Verstappen heraus. "Sebastian schuldet Max ein Bier", gab Red-Bull-Teamchef Christian Horner an.
Die Einschätzung bestätigte der Sieger. "Es war entscheidend für unser Rennen. Ich habe anfangs so hart gepusht, wie ich konnte. Max war noch draußen. Ich konnte eine kleine Lücke herausfahren und das Rennen kontrollieren."
Letztlich ist nicht nur Vettels Sieg sondern vor allem die Art, wie er zustande kam, eine Erlösung. Ferrari hetzte Mercedes in einen Fehler, weil die Silberpfeile ihre Schwäche beim Reifenverschleiß trotz Qualivorteil nicht kaschieren konnten:
- Vettel war im Australien-Renntrim schneller.
- Mercedes versuchte sich zu verteidigen.
- Und irrte sich.
Die ersten Zuschauer meckern schon
Dass Kimi Räikkönen nur Vierter wurde und sich gegen Red Bull wehren musste? Für Ferrari eine Enttäuschung. Für die Formel 1 ein Gewinn. Der Finne hatte das falsche Setup, kämpfte mit Untersteuern. Es zeigt: Zumindest in Melbourne war kein Team derart überlegen, dass es sich kleine Fehler leisten konnte.
Schon jetzt zeigt sich allerdings bei einigen Zuschauern Unzufriedenheit. Zu wenig passiere auf der Strecke. Dass es um das Erinnerungsvermögen dieser Zuschauer nicht allzu gut bestellt ist, muss allerdings festgehalten werden.
Die Strecke im Albert Park von Melbourne ist eine der überholunfreundlichsten des gesamten Kalenders. Nur elf Überholmanöver gab es beim Australien-GP 2015. Die 2016er Auflage eignet sich durch Fernando Alonsos Horrorcrash nicht als Vergleich.
Um die neue Formel 1 nach dem Reglement-Wechsel beurteilen zu können, müssen erst ein paar Rennen gefahren sein. Mit dem Großen Preis von China in Shanghai steht als nächstes das Überholmekka der vergangenen Jahre auf dem Plan.
Das Ergebnis des Australien-GP