Herr Kohlmann, wenn Ihnen am Anfang des Jahres jemand gesagt hätte, dass Alexander Zverev im November am ATP-Finale der besten acht Spieler in London teilnimmt, wie hätten Sie reagiert?
Michael Kohlmann (43, Davis-Cup-Teamchef): Dass er das geschafft hat, ist natürlich toll. Und noch dazu als Nummer drei der Welt, das ist überragend. Aber schon im vergangenen Februar, als es in einem Gespräch um das NextGen-Turnier in Mailand ging, hat Sascha gesagt, 'mal schauen, ob ich mich vielleicht sogar für das ATP-Finale qualifiziere'. Da hatte ich das Gefühl, dass er wirklich darum kämpfen wird.
Was ist Zverev in der Gruppe mit Roger Federer, Marin Cilic und Jack Sock zuzutrauen?
Kohlmann: Er hat definitiv eine Chance, sich für das Halbfinale zu qualifizieren. Ich glaube, dass das auch sein erstes Ziel sein wird. Ich finde aber, er hat sogar die etwas schwierigere Gruppe erwischt. Federer ist der überragende Spieler auf schnellen Belägen - und London ist schnell. Cilic ist unangenehm zu spielen - und Sock hat sich dank starker Leistungen in den vergangenen Wochen als letzter für das Turnier qualifiziert.
Was würde der Titelgewinn für Zverev bedeuten?
Kohlmann: Das wäre das I-Tüpfelchen auf einem besonderen Jahr. Dann würde Sascha sicher mit noch mehr Selbstvertrauen in die Grand Slams gehen. Darauf wird 2018 sein Fokus liegen: Bei diesen Turnieren noch weiter zu kommen. Ich glaube, wenn er in London im Halbfinale steht, ist dort alles möglich.
Was schätzen Sie, inwieweit Zverev die einzigartige Stimmung beim Saisonabschluss in der riesigen O2 Arena beeindrucken wird?
Kohlmann: Ich glaube, er fühlt sich in diesem Kreis schon zu Hause. Und er weiß, dass er dazugehört. Aber ich denke, dass ihn die Atmosphäre schon emotional mitnehmen wird. Die ganze Show drumherum - das ist nicht alltäglich und etwas Besonderes. Er wird schon beeindruckt sein. Ich hoffe, dass er das schnell ablegen kann.
Der ehemalige US-Open-Champion Cilic ist am Sonntagabend Zverevs erster Gegner. Was macht es so schwierig, gegen den Kroaten zu spielen?
Kohlmann: Vielleicht geht es im Kampf ums Halbfinale schon in diesem Match um die Wurst. Man könnte sagen, Cilic und Sascha neutralisieren sich. Beide haben eine große Reichweite, schlagen stark auf und returnieren gut. Von der Grundlinie spielen sie druckvoll. In punkto Stärken und Schwächen sind sie sich sehr ähnlich. Am Ende gewinnt wahrscheinlich Derjenige, der offensiver ist und mehr freie Punkte bekommt.
Gegen Roger Federer konnte Zverev in Montreal gewinnen. Wie sehen Sie seine Chancen diesmal?
Kohlmann: Roger hat sicher eine gehörige Portion Respekt vor Sascha. Er weiß, dass er gegen ihn nicht mit 80 Prozent spielen kann. Federer weiß aber auch, dass er in den richtig großen Matches, in denen es um alles geht, noch einen Vorsprung hat.