Wenn sich dieser Youngster nach einer für ihn so besonderen Saison noch einmal vorstellen müsste, dann könnte das so klingen: "Gestatten: Tsitsipas - Stefanos Tsitsipas, 20 Jahre alt, Turnier-Champ von Stockholm, NextGen-Sieger von Mailand, Vater Grieche, Mutter Russin, Opa Fußball-Olymiasieger von 1956, selbstbewusst und mit großen Zielen."
Spricht Patrick Mouratoglou, der Trainer-Guru und Mentor von "Stef", über den 1,93-m-Schlaks mit den wilden Locken und dem Stirnband Marke Björn Borg, dann verheißt das nur Gutes. "Ich sehe keinerlei Limits für ihn", betonte Mouratoglou gegenüber ESPN und meinte: "Er kann noch so viele Dinge verbessern - und Stefanos steht ja schon auf Platz 15." Das sei "ein gutes Zeichen".
Kann man so sagen. Gestartet war der Rechtshänder aus Athen im Januar 2018 als Nummer 91 im ATP-Ranking. Mittlerweile kratzt Tsitsipas an den Top Ten. Ein weiteres Mitglied der NextGen, der Australier Alex de Minaur, formulierte die Ausgangsposition von Tsitsipas & Co. für 2019 so: "Ich denke, wir klopfen wirklich schon an die Tür dieser absoluten Top-Spieler". Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic müssen sich also warm anziehen, wenn es nach de Minaur geht.
Was spricht für Tsitsipas?
2018 gelang dem Pubikumsliebling der große Durchbruch. Tsitsipas holte beim 250er-Hallenevent in Stockholm (Hardcourt) seinen ersten Titel auf der ATP-Tour. Anfang November krönte er seine Saison mit dem Erfolg beim NextGen-Masters, der "Mini-WM", in Mailand. Dort schlug er im Endspiel de Minaur.
Doch glaubt man Tsitsipas-Mutter Julia Salnikova, dann war die Turnierwoche von Barcelona ein Meilenstein in der Karriere des Sohnemanns. "Als ich ihn im Finale von Barcelona gegen Rafa Nadal spielen gesehen habe, habe ich gesagt: Jetzt ist er wirklich ein Tennisspieler geworden", berichtete Salnikova in der Gazzetta dello Sport.
Zwar unterlag er Nadal in der katalanischen Hauptstadt mit 2:6, 1:6 - vier Monate später allerdings war das Ergebnis gegen den spanischen Sandplatzkönig im Finale des Masters von Toronto schon nicht mehr ganz so deutlich (2:6, 6:7). Auf dem Weg dorthin hatte Tsitsipas unter anderem Novak Djokovic, Alexander Zverev, Kevin Anderson und Dominic Thiem bezwungen. Noch Fragen?
Jene nach seiner Zukunft beantwortet Tsitsipas im übrigen standesgemäß für einen kommenden Champion. "Die Dinge sehen rosig aus. Das ist ja erst der Anfang von allem."
"Stef" ist stolzer Anführer von "Team M"
Das Umfeld jedenfalls stimmt beim sympathischen Griechen, der einst von seinem Vater und Coach Apostolos am Rande eines Future Turniers in Heraklion vor dem Ertrinken gerettet wurde. Tsitsipas trainiert seit 2015 in der Mouratoglou Academy und gehört dort zum sogenannten "Team M", einer kleinen Gruppe von Profis, die im Welttennis besondere Erwartungen schürt und deshalb auch Privilegien genießt.
Zu den Auserwählten gehören noch die 14-jährige Amerikanerin Cori Gauff, die in diesem Jahr den Juniorinnen-Wettbewerb bei den French Open und am Wochenende die Orange Bowl gewann, und Chun Hsin Tseng (Taiwan), die Nummer eins der Junioren-Weltrangliste, sowie der Australier Alexei Popyrin (ATP-Nr. 148). "Es ist schön, Verantwortung für solch eine Gruppe zu haben", sagte Tsitsipas.
Und Mouratoglou, selbst griechischer Abstammung und seit 2012 Erfolgscoach von Serena Williams, macht keinen Hehl daraus, dass für Tsitsipas der Gewinn eines Major-Titels das Ziel sein muss. "Unser Aufgabe ist es, jeden Spieler an sein Maximum zu führen. Wenn sie kein Grand-Slam-Turnier gewinnen, dann haben wir aus meiner Sicht unseren Job nicht komplett richtig erledigt. Das stellt nicht zufrieden", meinte der 48-jährige Franzose.
An Tsitsipas, den Mouratoglou erstmals bei der Orange Bowl 2014 in Florida beobachtete, sei ihm sofort dessen Offensivgeist aufgefallen. Man habe gespürt, dass der Youngster mit der einhändigen Rückhand in jedem Ballwechsel die schnelle Entscheidung suche und keine Angst vor drohenden Rückschlägen habe.
"Außerdem habe ich von Anfang an diesen großen Wettkämpfer auf dem Court gesehen, das ist die wichtigste Qualität im Tennissport", betonte Mouratoglou: "Wenn du dann noch ein guter Athlet bist, die richtige Mentalität besitzt und hart arbeitest, kann es weit gehen."
Was spricht gegen Tsitsipas?
Manchmal steht dem meist besonnen daherkommenden 20-Jährigen sein plötzlich übersprudelndes Temperament im Weg. Bei den NextGen Finals in Mailand zerstörte er im Halbfinale gegen den Russen Andrey Rublev aus Wut das Headset, über welches er Anweisungen seines Trainers sprich Vaters erhielt. Tsitsipas verletzte sich dabei sogar an der Hand. Nach einem kurzen Medical Time Out konnte er aber weitermachen.