An den 16. Juni 1993 kann sich Gerhard Weber noch gut erinnern. "Es war einer der schlimmsten Tage meines Lebens", sagt der Turnierpionier der Gerry Weber Open, "ein Wetter zum Davonlaufen, zum Heulen." Doch Weber, der Selfmade-Unternehmer, sorgt an diesem Tag im ersten Turnierjahr auch für einige unvergessliche Momente. Als die Zuschauer frustriert die Anlage in Halle verlassen, staunen sie nicht schlecht, als sie am Ausgang auf Weber treffen. "Es tut mir leid", sagt Weber immer wieder zu den Fans, drückt ihnen die Hand. Und manch einer merkt erst beim Weitergehen, dass der Turniermacher ihm auch einen Zwanzig-Mark-Schein als kleine Entschädigung überlassen hat. "Ich musste irgendwas tun", wird Weber später sagen, "ich habe wirklich gelitten wie ein Hund an diesem Tag. Und ich dachte auch: Hoffentlich kommen die Leute jemals wieder."
Weber ist ein Mann, der es bekanntlich nicht bei Worten belässt. Er und seine Turniercrew fällen an jenem Tag eine historische Entscheidung: Über den Centre Court von Halle kommt ein Dach, noch einmal will sich keiner von den Launen des Wetters den Tennisspaß verderben lassen. "In zehn Monaten war alles fertig. Mit supermoderner Technik, die das Dach in anderthalb Minuten schließen konnte", sagt der damalige Technische Direktor Udo Hardieck, auch er Mitinitiator der Gerry Weber Open und Partner Webers im Modeimperium.
Herr der Halme
Neu in Tennis-Deutschland war nicht nur ein verschließbarer Regen-Schirm über der Hauptbühne einer Turnieranlage, sondern überhaupt auch der Belag, auf dem Wettbewerbsspiele stattfanden. Der Mann, der verantwortlich war für das kostbare Grün, kam mit reichlich Erfahrung hinüber von der Insel ins fremde Deutschland, "in dem die Autos seltsamer Weise rechts fahren." Jim Thorne war viele aufregende Jahre lang der oberste Greenkeeper in Wimbledon gewesen, eine Legende im All England Lawn Tennis and Croquet Club. "Dank unserer guten Kontakte und der engen Kooperation mit den Wimbledon-Managern bekamen wir die Chance, Jim zu engagieren", erinnert sich Turnierchef Ralf Weber, "es war natürlich ein Glücksgriff."
Thorn stand auch gleich im Rampenlicht, als im Startjahr das aktuelle Sportstudio des ZDF zum ersten Mal komplett außerhalb von Mainz gesendet wurde - aus Halle nämlich. Und dort, bei der TV-Landpartie im beschaulichen Ostwestfalen, ließ sich Moderator Günther Jauch von Thorn eingehend in die Geheimnisse der Rasenaufzucht und -pflege einweihen. Ganz nah am Thema, selbstredend: Jauch und Thorne lagen der Länge nach auf dem Boden, Thorn wurde zur Illustration sogar noch eine Nagelschere in die Hand gedrückt.
Die Liebe zur Rasenpflege hat der inzwischen verstorbene Thorne senior seinem Sohn Phil quasi in die Wiege gelegt, Phil leitet nun die Grün-Arbeiten, und er leitet sie mit der vom Papa vererbten Akribie und Sorgfalt: "Du musst 1000 Prozent geben. Du bist in Wahrheit mit dem Rasen verheiratet", sagt er, "die finalen 40 Tage vor einem Turnier ist es ein 24-Stunden-Job, echt rund um die Uhr. Da schläfst du nur noch das Minimum." Thorn hat sich auch eine dicke Haut antrainiert, was die Bewertung seines Jobs angeht, schließlich glaubt er, dass seine Kundschaft stets sehr spezielle Ansichten hat zum Rasenteppich: "Das hängt bei ihnen auch sehr davon ab, ob sie gewonnen und verloren haben. Man kann nicht alles auf eine Goldwaage legen, was sie sagen."
Lleytons Überraschungsbesuch
Roger Federer hat sich selten, eigentlich aber nie über irgendetwas in Halle beklagt, er ist der liebste Gast in Halle und, ganz nebenbei, auch der Rekordsieger mit acht Titeln. Ganz am Anfang seiner Karriere kam Federer noch aus Basel mit dem Auto nach Halle, und Federer erinnert sich noch an ein Jahr, in dem er den Wagen mit all seinem Equipment und den Tennistaschen vollgepackt hatte, sich zum Start bereitmachte. Und dann, so Federer trocken, "stellte ich fest, dass ein Reifen platt war." Leicht geplättet war er selbst dann viele Jahre später, als er tatsächlich gegen seinen alten Freund Lleyton Hewitt das Finale verloren hatte. Es ging natürlich nicht um die Niederlage selbst, schließlich war Hewitt selbst auch schon mal Wimbledonchampion. Federer erzählte, er habe gar nicht gewußt, dass sich Hewitt für das Turnier eingeschrieben hatte. Vor den ersten Ballwechseln habe er Hewitt in der Lobby des nebendran gelegenen Sportpark-Hotels getroffen und ihn dann gefragt: "Hey, Lleyton, was machst Du denn hier..?" Und der habe dann geantwortet: "Du hast doch selbst immer gesagt, dass das hier ein tolles Turnier ist. Das wollte ich mir dann mal angucken." Und dann kam, sah und siegte er. Gegen den, der ihm den Tipp zum Besuch gegeben hatte.
Fast alle großen Namen aus den verschiedensten Epochen und Generationen kamen nach Halle, ob nun Connors, Agassi, Becker, Stich oder Muster oder später eben Federer, Djokovic und Nadal. Es gab aber auch wahre Überraschungsgäste - und eine Dame gehört auch dazu, bei der sich die Erinnerung mit einem kopfschüttelnden Schmunzeln verbindet. "Es war die verrückteste Geschichte für mich in den ganzen Turnierjahren", sagt Gerry-Weber-Open-Pressesprecher Frank Hofen. Worum ging es? Rafael Nadal, im Teenageralter zum ersten Mal French Open-Sieger geworden, hatte 2005 in der ersten Runde in Halle gegen den Frankfurter Alexander Waske verloren. Hinter den Kulissen traf Hofen plötzlich auf eine Frau, die ihm unbekannt vorkam. Als Hofen sie fragte, was sie hier mache, sagte sie sehr selbstbewusst und überzeugend: "Ich bin von Onkel Toni (der Trainer von Nadal, d. Red.) beauftragt, ich bin die Dolmetscherin von Rafa."
Dolmetscher-Trick
Wenig später saß sie neben Nadal auf dem Podium, niemand dachte sich etwas dabei, es war auch nicht die Zeit, in der man ihre Identität gleich auf Herz und Nieren geprüft hätte. Jedenfalls begann Nadal lange, ausführliche Antworten auf die Fragen der Medienmeute zu geben, und die schöne Unbekannte übersetzte auch - scheinbar. Doch, große Verwunderung bei den Journalisten: Die Dame sagte immer nur einen einzigen identischen Satz, sie konnte schlichtweg kein Wort Spanisch. Sie hatte sich eine Akkreditierung erschlichen, war nichts weniger, nichts mehr als ein glühender Rafael-Nadal-Fan. "Keiner und keine hat uns mehr an der Nase herumgeführt als sie", sagt Hofen heute. Er sagt es aber auch mit einem Lächeln, irgendwie hat ihm die Eulenspiegelei auch ein wenig imponiert.
Auch allerlei Prominenz aus Big Business, Politik und Entertainment kam und kommt gern nach Halle. Mancher von ihnen greift sogar bei Doppel-Showeinlagen selbst zum Schläger, und darunter ist natürlich auch ein gewisser Roberto Blanco, fast so etwas wie ein Turnier-Maskottchen. Im Jahr 2000, vor einem Einsatz, erklärte Blanco dann auch endlich einmal, wie er sich auf ein Match vorbereitet: "Lobster essen. Dann kommen die Lobs besser." Tja. Blanco darf eigentlich nicht fehlen in Halle, aber auch diese Episode rund um Halle muss noch sein. 1994 war es, Halle hatte sich offenbar noch nicht als Tennis-Größe in Gänze angekündigt in der Welt des Wanderzirkus. Jedenfalls staunten einige Passanten in Halle an der Saale nicht schlecht, als ein englischer Journalist sie Mitte Juni nach "diesem wichtigen Tennisturnier" in der Stadt fragte. Es dauerte noch ein bisschen, bis das kleine Missverständnis aufgeklärt war. Und der gute Mann hatte dann noch einige Kilometer bis zu seinem wahren Ziel.