Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon
Im Augenblick des großen Glücks ließ Belinda Bencic erst einmal ihren Schläger auf den Rasen fallen. Kurz schüttelte sie danach den Kopf, fast ein wenig ungläubig, was ihr da auf Court 16 des All England Lawn Tennis Club gelungen war - kein so überraschender Exploit zwar wie in der ersten Runde gegen die an Nummer 6 gesetzte Französin Caroline Garcia. Aber ein gigantischer Willensakt, vielleicht auch der endgültige Befreiungsschlag nach den Monaten der Zweifel, Probleme und Krisen.
Bencic: "Das ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl"
Vier Matchbälle wehrte Bencic in einem spannungsgeladenen Grand Slam-Drama gegen die US-Amerikanerin Alison Riske ab, ehe nach 144 Minuten ihr zwischenzeitlich unmöglich scheinender 1:6, 7:6 (12:10), 6:2-Sieg perfekt war. "Das ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl jetzt", sagte die 21-jährige, die noch auf dem Platz ihre angereisten Eltern Ivan und Dana sowie den neuen Coach Vlado Platenik innig umarmte.
Vieles scheint nun noch möglich für die ehemalige Juniorensiegerin von Wimbledon, die sich gerade mit aller Macht aus der ersten schweren Krise ihres Lebens und ihrer Karriere herauszukämpfen scheint. In der nächsten Runde trifft Bencic am Samstag auf die Spanierin Carla Suarez-Navarro, eine altgediente Spielerin aus dem Tour-Establishment, die aber nicht gerade als Rasenspezialistin gilt.
Starke Mentalität, um Widrigkeiten wegzustecken
Kann Bencic nach der Achterbahnfahrt der letzten Jahre, dem himmelsstürmerischen Aufschwung mit rasanten Erfolgen und dem anschließenden Absturz, nun zu Stabilität und mehr Gleichmaß in ihrem Beruf finden? Vielleicht ist Wimbledon ein Anfang auf dem langen Weg dahin, jedenfalls überzeugt die ehemals als "neue Miss Swiss" gehandelte Bencic im Südwesten Londons gerade wieder mit Spielfreude und einer starken Mentalität, mehr oder minder große Widrigkeiten wegzustecken.
Sie schien bereits abgeschlagen und auf dem Weg ins Turnier-Aus, als sie sich plötzlich mit dem Mute der Verzweiflung, mit hohem Risiko und mit guten Nerven gegen den Abschied von diesen Offenen Englischen Meisterschaften des Jahres 2018 stemmte. Im Tiebreak des zweiten Satzes fand diese Attitüde der Entschlossenheit und Unverdrossenheit ihren Höhepunkt, immer wieder wehrte sie Matchbälle von Riske ab, etwa bei 6:7, bei 7:8 und bei 9:10.
Bencics Motto: Wer nichts wagt, der kann auch nichts gewinnen
Doch wer in diesem Nervenspiel schließlich triumphierte, war Bencic, mit dem ausschlaggebenden, die Wende einleitenden Siegpunkt zum 12:10. "Ich dachte mir: Wer nichts wagt, der kann auch nichts gewinnen", sagte Bencic später. Beschwingt durch das Happy-End im Tiebreak, ließ sich Bencic im dritten, entscheidenden Akt nicht mehr wirklich bremsen - obwohl sie frühe Chancen zu einer klaren Führung vergab.
Riske wirkte allerdings schon geschlagen, lange bevor Bencic schließlich ihren ersten Matchball gleich zum Drittrundeneinzug verwertete. Riske hatte zwar 117 Punkte in der Abschlussbilanz dieser Partie zu Buche stehen - und Bencic nur 111. Aber sie machte den letzten und wichtigsten Punkt, anders als die traurige, in Tränen aufgelöste Amerikanerin.