Julia Görges und Angelique Kerber - Wimbledon als Wendepunkt der Karriere

Von Jörg Allmeroth
Julia Görges bekommt es mit Serena Williams zu tun
© getty

Steht am Donnerstag schon fest, dass es 2018 eine deutsche Wimbledon-Siegerin geben wird? Julia Görges trifft im Halbfinale auf Serena Williams, Angelique Kerber möchte ihren zweiten Final-Einzug gegen Jelena Ostapenko klar machen.

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Von Jörg Allmeroth aus London

Auf der Terrasse des Internationalen Pressezentrums hatte Julia Görges auch beim zehnten Interview noch nicht das Lächeln verloren. Geschliffen wie immer beantwortete die frischgebackene Wimbledon-Halbfinalistin die Fragen der TV-Anstalten aus aller Welt, mühelos wechselte die eloquente Brünette zwischen Deutsch und Englisch hin und her.

Görges genoss die Aufmerksamkeit, warum auch nicht: Schließlich stand dieser Tag, dieser 10. Juli 2018, wie kein anderer für die atemraubende Kehrtwende ihrer Karriere. Wimbledon, einst ein verfluchter, verhexter Ort für Görges, war auf einmal zum Sinnbild für den sportlichen Aufschwung geworden: "Ich habe mir selbst eine neue Chance im Tennis gegeben. Auch und gerade hier", sagte Görges irgendwann im Licht der langsam sinkenden Sonne.

Kerber ist wieder in der Form von 2016

Sie war nicht die einzige deutsche Siegerin an diesem Tag, der so speziell in Wimbledon war wie nur wenige andere in diesem neuen Jahrhundert. Schon bevor Görges mit ihrem Drei-Satz-Comeback gegen Freundin Kiki Bertens in ein neues Tennis-Universum vorgestoßen war, in ein Halbfinal-Rendezvous mit Wuchtbrumme Serena Williams, hatte auch Angelique Kerber das Ticket für den Klub der letzten Vier gelöst - so souverän, so konsequent, so von sich selbst überzeugt wie in ihrer Galasaison 2016.

"Ich bin wieder da, wo ich war", sagte die 30-jährige Kielerin später trocken, die nun auf die Lettin Jelena Ostapenko trifft. Nach einer Achterbahnfahrt auf den Spiel-Plätzen des Wanderzirkus ist sie wieder eine stabile Größe, vor allem, dort wo es wirklich zählt im globalen Tennisbetrieb - auf den Grand Slam-Feldern. Und ganz besonders noch mal in Wimbledon, im Theater der Träume. Vor zwei Jahren verlor sie hier erst im Finale gegen eine kaum zu bremsende Serena Williams. Nun aber ist Kerber die eigentliche Favoritin für den Höchstpreis.

Steht schon am Donnerstag eine deutsche Wimbledon-Siegerin fest?

Kann es am Ende dieser 2018er-Auflage der Offenen Englischen Meisterschaften wirklich sein, dass schon am Donnerstag feststeht, dass es eine deutsche Siegerin gibt? Es ist eine faszinierende Option, eine Einmaligkeit in der modernen Tennisära - eine Chance, die es selbst in den noch viel größeren deutschen Zeiten in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht gab. Sicher, 1931 spielten Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel in einer deutschen Meisterschaft den Wimbledon-Pokal aus, aber es ist ein Ereignis, das zum Hier und Jetzt keine Bindung, keine Beziehung hat.

Anders als der Name und die Karriere einer gewissen Steffi Graf, sie ist immer noch der Orientierungspunkt, sie hat selbstverständlich auch in Wimbledon mit sechs Siegen ihre eindrucksvollen Spuren hinterlassen. Kerber oder Görges, eine von beiden könnte nun tatsächlich auch an der Church Road zur Erbin der Über-Frau des deutschen Tennis werden.

Graf freut sich über Erfolge von Kerber und Görges

Graf war kürzlich am Rande der French Open bei einem Sponsorentermin unterwegs, sie sprach dabei auch über die starke deutsche Spielerinnengeneration, über Kerber und Görges: "Ich freue mich jedes Mal, wenn ich etwas über ihre Siege lese. Beide haben sich durch Enttäuschungen und Rückschläge nicht beirren lassen", sagte die 22-malige Grand Slam-Gewinnerin, "sie haben noch eine sehr gute Zeit vor sich."

Graf ist zwar keine regelmäßige Beobachterin mehr des Tennisgeschehens, es ist tatsächlich so, aber auf die deutschen Spielerinnen hat sie immer noch einen interessierten, geschärften Blick. Über Wimbledon hatte sie auch in Richtung ihrer Landsfrauen aus einer anderen Generation gesagt: "Man kann dieses Turnier eigentlich nur erfolgreich bestreiten, wenn man es mag."

Versöhnliche Melodie nach den Moll-Tönen

Kerber und Görges können ein Lied davon singen. Es hätte aber inzwischen eine versöhnliche, sogar fröhliche Melodie. Nach den Moll-Tönen zuvor. Denn Wimbledon hat Kerbers und Görges´ Laufbahn in den letzten Jahren wesentlich geprägt und auf einen neuen Weg gebracht. Aus den bitteren Enttäuschungen hier in London SW19 erwuchs so tiefe Frustration, dass beide Nordlichter eine radikale Neupositionierung vornahmen. Alles wurde in Frage gestellt, fast alles wurde verändert - immer unter dem Motto: Raus aus den eingefahrenen Wegen.

Kerber wollte sogar mit dem Tennis aufhören, als sie 2011 in Wimbledon in der ersten Runde eine Schlappe gegen die Britin Laura Robson kassierte. Zunächst half ihr Freundin Andrea Petkovic aus dem Tief heraus, dann half sich Kerber selbst: Sie wurde drahtiger, fitter, schlanker, stürmte mit einem neuen Körpergefühl in die Weltspitze, an die Weltspitze - und auch zu zwei Grand Slam-Triumphen. In Wimbledon gehört sie inzwischen zum Establishment, 2018 könnte das Jahr sein, in dem sie auch noch den letzten Schritt geht, den auf den Thron im All England Club.

Görges schöpft nun ihre Möglichkeiten aus

Und Görges? Als sie vor knapp zwei Wochen in Wimbledon ankam, hatte sie in all den Jahren zuvor gerade mal fünf Matches gewonnen. Wimbledon war ein Horror-Ort, ein Schreckgespenst für die Bad Oldesloerin, die inzwischen mit ihrem Freund Florian Zitzelsberger in Regensburg lebt und arbeitet, Zitzelsberger gehört als Physiotherapeut auch beruflich zum "Team Jule."

Görges war zwar 2011 mit ihrem Sieg beim Stuttgarter Porsche Grand Prix als erste Spielerin dieser Generation strahlend in die Schlagzeilen getreten, aber ihre Geschichte danach war eine Geschichte der verpaßten Chancen. Sie war das, was man im Englischen eine Underperformerin nennt, eine, die zu wenig aus ihren Möglichkeiten macht. "Ich war einfach unzufrieden mit meinem ganzen Status Quo damals", sagt Görges. "Ich wußte, dass ich mehr Potenzial habe."

Umzug nach Bayern als Initial-Zündung

Gerade in Wimbledon verstärkte sich diese latente Unzufriedenheit dramatisch: Görges, die Frau mit dem harten Punch, mit den pfeilschnellen Aufschlägen, schied im Grand Slam-Rasenreich nicht weniger als fünf Mal in der ersten Runde aus. "Ich dachte wirklich schon, ich könnte auf Rasen nicht vernünftig spielen", sagt Görges, "dabei war das totaler Quatsch."

Die große Wende kam dann erst, als sich Görges auch wegen der Wimbledon-Ernüchterungen komplett umorientierte, nach Bayern zog und dort auch in Coach Michael Geserer einen kongenialen, weil unaufgeregten Partner fand. Als Görges am Dienstagabend gefragt wurde, was das wichtigste Produkt und Ergebnis dieser Kooperation sei, sagte sie: "Meine Positivität. Der zuversichtliche Blick auf das Leben, auf meinen Beruf."

Deutsches Sommermärchen ist möglich

So konnte Görges auch, ungerührt von der Vorgeschichte ihres schier ewigen Scheiterns, nun zum großen Schlag ausholen - zum Vorstoß in bisher unentdecktes Terrain bei einem Grand Slam. Nie war sie vorher in einem Halbfinale gewesen, nie vorher in einem Viertelfinale: "Dass es nun in Wimbledon passiert ist, macht es umso schöner. Es zeigt, wie sich alles geändert hat für mich."

Wo diese deutschen Geschichten hier in Wimbledon noch enden werden, bleibt herrlich offen. Alles ist möglich, sogar ein deutsches Sommermärchen mit einem deutschen Finale und einer deutschen Siegerin.

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