Von Ulrike Weinrich aus Wimbledon
Nach 4:14 Stunden verwandelte Anderson seinen ersten Matchball und feierte im fünften Duell seinen Premiere-Erfolg gegen Federer, der das frühste Aus im Rasen-Mekka seit 2013 kassierte. Damals war er in der zweiten Runde am Ukrainer Sergiy Stakhovsky gescheitert.
Anderson happy: "Ihn hier zu schlagen, diese Erinnerung wird für immer bleiben"
"Ich habe mir immer wieder gesagt, dass heute mein Tag ist", sagte Anderson unmittelbar nach seinem Coup: "Roger Federer hier in Wimbledon zu schlagen, diese Erinnerung wird mir für immer bleiben. Ich bin glücklich, muss mich aber schnell wieder erholen. Schließlich will ich hier möglichst noch zwei Matches spielen."
Federer erschien wenige Minuten nach seinem Aus bereits zur Pressekonferenz und meinte: "Ich hatte meine Chancen, aber Kevin hat sehr solide und konstant gespielt. Es war einer dieser Tage, an dem man hofft, irgendwie durchzukommen. Ich habe mich gerade von der Grundlinie heute nie richtig wohl gefühlt", erklärte der Superstar.
Es war erst das fünfte Mal überhaupt in seiner Karriere, dass Federer eine 2:0-Satzführung nicht zum Erfolg nutzen konnte - das erste Mal seit 2011. Damit muss der amtierende Australian-Open-Champion weiter auf seinen 21. Grand-Slam-Triumph sowie seine neunte Wimbledon-Krone warten.
Viel Diskussionen über Federer-Degradierung auf Court 1
Bereits am Dienstag hatte die Ansetzung der Viertelfinals für Aufsehen und Diskussionen gesorgt Die Partie von Federer war auf Court 1 gelistet - und nicht wie erwartet auf dem Centre Court, seinem Wohnzimmer. Für einige kam die Degradierung auf den zweitgrößten Platz einer Majestätsbeleidigung gleich.
Novak Djokovic (Serbien/Nr. 12) hatte sich über die aus seiner Sicht unausgewogene "Besetzung" des Hauptcourts beschwert und seine Ansetzung auf dem bedeutendsten Rasen-Spielplatz der Welt gefordert. Am Mittwoch durfte der dreimalige Wimbledon-Champion dort endlich im Duell mit Kei Nishikori (Japan/Nr. 24) ran - ebenso wie im Anschluss Rafael Nadal (Spanien/Nr. 2) gegen Juan Martin del Potro (Argentinien/Nr. 5).
Der "Maestro" verspielte eine 2:0-Satzvorsprung - erst das fünfte Mal
Bis dato hatte Federer zuletzt 2015 im Viertelfinale gegen den Franzosen Gilles Simon auf Court 1 gespielt. Dort hatte er auch vor 18 Jahren gegen Yevgeny Kafelnikov (Russland) in der Auftaktrunde von Wimbledon verloren. Es wurde spekuliert, dass die vermeintliche Verbannung des "Maestros" mit dessen Aussage über den strengen Dress Code beim Rasen-Klassiker - 90 Prozent der Kleidung müssen weiß sein - zu tun haben könnte. "Es macht Spaß, dass es hier anders ist, aber es wäre auch schön, einen Tupfer Farbe hinzuzufügen, wenn ich ehrlich bin ", hatte Federer über die Tradition gesagt.
Von seiner Mission ließ er sich aber zunächst auch an dem für ihn ungewohnten Ort nicht abbringen. Den ersten Satz holte sich der Favorit gegen Anderson nach 26 Minuten, ohne einen einzigen Breakball zuzulassen. In der Folge schwächelte Federer aber mit seiner Vorhand und lag nach dem ersten Aufschlagverlust mit 1:3 zurück.
Besorgter Boris Becker "Roger war eine Weile nicht in dieser Situation"
Doch immer wieder feuerte er sich auf Schweizerdeutsch an. Als ihm beim Stand von 5:6 und 0:30 bei eigenem Service der Satzverlust drohte, zog Federer das Tempo wieder an und rettete sich - basierend auf vier starken Aufschlägen in Serie - in den Tiebreak.
Allerdings erlaubte sich Federer im dritten Satz eine Schwächephase, die Anderson konsequent ausnutzte. Beim 5:4 ließ er bei eigenem Aufschlag einen Matchball aus. Dann vergab der Vierfach-Vater bei einem 5:6-Rückstand gleich drei Breakbälle in Folge - und verlor den Durchgang. Auch danach gewann der nun fast fehlerlose Südafrikaner immer mehr an Oberwasser und konnte sich in den entscheidenden Phase auf sein Service verlassen. Federer fiel es schwer, sich aus der Umklammerung zu lösen, ergab auch Satz Nummer vier ab.
Boris Becker war in seiner Funktion als BBC-Kommentator besorgt: "Roger hätte eigentlich schon in der Umkleide sein können. Er war eine ganze Weile nicht in dieser Situation."
Der Schlagabtausch wurde zur Nervenprobe
Im fünften Durchgang konnte der "FedExpress" bei einer 4:3-Führung erneut zwei Breakchancen nicht nutzen, hielt sich bei eigenem Service aber lange schadlos. Der Schlagabtausch wurde zur Nervenprobe, Anderson verwertete dann seinen ersten Breakball im finalen Satz, als er erneut von einem Vorhandfehler Federers profitierte.
Wenig später war er der strahlende Sieger - und Wimbledon geschockt vom Ausscheiden von Liebling Federer. Bereits im zweiten Satz hatte der Rekord-Grand-Slam-Sieger außerdem nach zuvor 85 gewonnenen Aufschlagspielen bei dem Rasen-Turnier in London erstmals wieder ein Break kassiert.