Als Alexander Zverev am Donnerstagabend den dritten Satz seines Matchs gegen den Amerikaner Taylor Fritz verloren hatte, ziemlich kläglich mit 0:7 im Tiebreak, hatte er es ganz eilig. Ein paar Mal hatte Zverev den Schiedsrichter schon aufgefordert, die Partie abzubrechen - wegen der zunehmenden Dunkelheit, wegen des rutschigen Geläufs auf Court 1. Nun wartete Zverev das Verdikt des Unparteiischen gar nicht mehr ab, er machte sich bereit zum Abgang, er wollte nur noch weg.
Zverev war nach einmal schlafen wieder der alte Zverev
Und tatsächlich: Während auf anderen Plätzen noch munter weitergekämpft wurde und beispielsweise Titelverteidigerin Garbine Muguruza deutlich später ausschied, war bei Zverev erst mal Schichtende. Der junge Deutsche weiß inzwischen, wie er seine Interessen durchsetzen muss im großen Tennis, als Nummer 3 der Weltrangliste ist er ja auch kein Niemand.
Anderntags jedenfalls war alles anders in diesem lange Zeit hochaufgeladenen, spannungsreichen, total intensiven Match: Fritz, ehemals wie Zverev der beste Juniorenspieler der Welt, war nicht mehr der Fritz des Donnerstags. Und Zverev war auf einmal wieder der Zverev, der er hier in Wimbledon sein sollte: Ein Mann, der nach einer bisher starken Saison mit Selbstbewusstsein und Entschlossenheit zu den Mitfavoriten gezählt werden muss.
"Kein tolles Gefühl, mit Rückstand ins Bett zu gehen"
Nicht mal mehr eine Stunde dauerte es, bis Zverev sein Comeback in plötzlich dominierender Pose auf das Tennisgrün gezaubert hatte, in der Verlängerung des 6:4, 5:7, 6:7, 6:1, 6:2-Zweitrundensieges konnte keine Rede mehr sein von einem Duell auf Augenhöhe. "Es ist kein tolles Gefühl, wenn man sich mit einem Rückstand ins Bett legt", sagte Zverev, der sich auch von Problemen mit einem Magen-Darm-Virus erholt zeigte, "umso besser ist jetzt dieser Sieg. Ich bin richtig glücklich."
Zverev bewegte sich mit seinem Entfesselungsakt auf Pariser Grand-Slam-Spuren. Dort, bei den French Open, hatte Zverev mit drei Comebacksiegen nach 1:2-Satzrückstand für Aufsehen gesorgt. Bei seiner glatten Viertelfinal-Niederlage gegen den Österreicher Dominic Thiem litt er freilich unter dem körperlichen Verschleiß nach den stundenlangen Rutschübungen.
Am Samstag wartet bereits Routinier Ernests Gulbis
Diese Gefahr droht in Wimbledon noch nicht, selbst nicht nach dem 189-Minuten-Drama gegen Fritz, nach diesem Spiel mit zwei verschiedenen Gesichtern bei beiden Protagonisten. Am Samstag geht es, ohne Atempause, nun für Zverev gegen den Letten Ernests Gulbis weiter, einen ehemaligen Top Ten-Mann, der in seiner launischen Karriere zwischendurch heftig abgestürzt war. Und der sich gerade langsam, aber hartnäckig wieder nach oben fightet. "Es gibt hier keine leichten Gegner", sagte Zverev zu seinem nächsten Widersacher, "Ernests kann an einem guten Tag jeden schlagen."
Um erstmals in die zweite Wimbledon-Woche zu gelangen - und damit auch in den Achtelfinal-Montag, den größten Tag im ganzen Tennisjahr - muss Zverev da weitermachen, wo er gegen Fritz am Freitag aufhörte. In der Rolle des Mannes, der das Spiel selbst bestimmt und nicht zuwartet, bis sein Gegner einen Fehler macht. "Zverev braucht Courage, Mut und den Willen zum Risiko. Das, was ihn in seinen besten Momenten auszeichnet", befand TV-Experte John McEnroe, "gegen Fritz hatte er auf der Zielgeraden das nötige Paket zusammen."
Zeichen der Erleichterung: Alexander Zverev jagte den Ball in den Himmel
Neuer Tag, neues Spielgefühl, neues Glück: Zwei Sätze lang machte der 21-jährige bei seinen Überstunden tatsächlich nur noch wenig falsch. Er schaffte dabei auch das Kunststück, wesentlich zupackender und druckvoller zu spielen und gleichzeitig seine Fehlerzahl auf ein Minimum zu reduzieren. Schon nach 21 Minuten hatte sich Zverev mit 6:1 den 2:2-Satzausgleich erspielt, und auch im letzten Akt des Matches änderte sich nicht mehr viel an der Überlegenheit des Hamburgers.
Als bei Zverevs Matchball der Return von Fritz hinter die Grundlinie klatschte, jagte Zverev die Kugel hoch hinauf in den Himmel über Court 1. Wimbledon geht weiter mit ihm. Mit dem deutschen Dramen-König