Der Posten des Alterspräsidenten im Herren-Tennis ist fest in der Hand von Ivo Karlovic, da passt es gut, dass der Kroate sein Zweitrunden-Match gegen Yuichi Sugita mehr als viereinhalb Stunden lang zelebriert hat, um schließlich mit einem nie gefährdeten 12:10 im fünften Satz von Court 8 zu gehen. Dr. Ivo sollte niemand abschreiben, auch wenn Andreas Seppi der Freitagspartie gegen Karlovic einigermaßen gelassen entgegen blicken kann. Der Südtiroler hat bei seinem Drei-Satz-Sieg gegen Kohlschreiber-Bezwinger Yoshihito Nishioka deutlich weniger Kraft gelassen als sein kommender 38-jähriger Gegner.
Karlovic ist mithin also doppelt so alt wie Denis Shapovalov (und in Melbourne sogar doppelt so erfolgreich). Der Kanadier hätte ein seltenes Double schaffen können, nämlich zwei Siege gegen Jo-Wilfried Tsonga in zwei aufeinanderfolgenden Grand-Slam-Turnieren. Es wäre nicht so glatt wie in New York geworden, dort hatte Shapovalov in drei Sätzen gesiegt. Aber bei 5:3 im fünften Satz war die Wettquote auf ein Comeback Tsongas wohl denkbar hoch, der Franzose erweckte nicht den Anschein, noch einmal zurückkommen zu können. Natürlich gewann Tsonga die letzten vier Spiele des Matches.
Keine Final-Wiederholung
Zehn Jahre ist es her, dass Jo-Wilfried Tsonga die Tenniswelt buchstäblich im Sturm genommen hat. Bei den Australian Open hatte der mittlerweile 32-Jährige einen Zweitwohnsitz im Kleinfeld angemeldet, vor allem im Halbfinale gegen Rafael Nadal so gut wie jedem Ball ans Netz gefolgt. Dass das Finale gegen Novak Djokovic hernach in die Binsen ging: geschenkt. Zu erwarten war damals nicht weniger als die Renaissance der französischen Grand-Slam-Erfolge, seit 1983 warten die Fans der L´Équipe Tricolore schließlich auf einen Nachfolger für Yannick Noah. Erstaunlicherweise bis heute.
Nie mehr war Tsonga so offensiv wie weiland gegen Nadal, nie wieder so knapp dran an einem Major-Sieg. Dass es damit anno 2018 nicht leicht wird, steht außer Frage. Tsonga hat im vergangenen Jahr nur auf kleiner Bühne geglänzt, ist Vater geworden, konnte die Absenzen einiger Spitzenkräfte nicht zu seinem Vorteil nutzen.
Die Inspiration ist zurück
In Wien etwa kämpfte sich Tsonga zwar ins Finale, auf dem letzten Zacken allerdings. nur um dort gegen Lucas Pouille unterzugehen. Tsonga wirkte müde, uninspiriert.
Wenn das Match gegen Shapovalov eines gezeigt hat: Die Inspiration ist zurück. Und Jo-Wilfried Tsonga ist fit. Dass es jetzt zum Duell mit Nick Kyrgios kommt, freut die Fans vor Ort, das Turnier wird indes eine der wenigen charismatischen Darsteller schon in Woche eins verlieren.
Denn eines ist auch klar: Niemand altert besser als Jo-Wilfried Tsonga. Wenn er es denn möchte, steht dem 32-Jährigen mit Wohnsitz in der Schweiz ein große Film-Karriere offen. Morgan Freeman kann schließlich nicht ewig weiter machen. Wie übrigens auch Ivo Karlovic nicht. Die Position des Alterspräsidenten, die wäre etwas für Tsonga. Vielleicht ehrenhalber. Denn dass Davis-Cup-Sieger des vergangenen Herbstes irgendwann einmal der älteste Spieler auf der Tour sein wird, scheint eher unwahrscheinlich.