4. New York Giants: Die Grenzen des Machbaren
Es wird der Saison der Giants mitnichten gerecht, und gleichzeitig ist die Erkenntnis unbestreitbar: Die Art und Weise, wie Philadelphia die Saison der G-Men beendete, unterstrich ganz klar, dass diese beiden Teams noch an sehr unterschiedlichen Punkten in der Timeline ihrer Kader stehen.
Oder anders gesagt: Das war das Spiel, in dem man überdeutlich zu sehen bekam, dass auf der einen Seite der Kader eines legitimen Titelanwärters auf dem Feld stand, und auf der anderen Seite der eines Teams, dessen ganze Geschichte dieser Saison sich darum dreht, dass man aus vergleichsweise wenigen Ressourcen sehr viel rausgeholt hat.
Doch auch das stößt irgendwann an Grenzen, und in diesem Fall war es eine sehr deutliche Grenze - beginnend damit, dass die Giants offensiv an der Line of Scrimmage komplett unterlegen waren, was dafür sorgte, dass die Offense schlicht keinerlei Mittel hatte, um den Ball zu bewegen.
Die 28:0-Halbzeitführung der Eagles war die höchste Halbzeitführung in den 181 Duellen dieser beiden Teams. Philadelphia hatte zu diesem Zeitpunkt 18 First Downs, die Giants drei. 258:64 Yards und 6,0:3,4 Yards pro Play unterstreichen die Dominanz weiter.
Und das ist ... in Ordnung. Natürlich will sich niemand so aus den Playoffs verabschieden, umso weniger gegen einen Division-Rivalen. Aber gleichzeitig hatten die Giants eine Saison, die alle Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen hat; und irgendwann mussten die klaren Kader-Limitierungen im Vergleich zu den anderen Playoff-Teams in den Vordergrund rücken.
Die spannende Frage lautet jetzt, ein bisschen ähnlich wie bei den Vikings, welche man in der Vorwoche noch ausgeschaltet hatte: Welche Lehren zieht man aus dieser Saison? Und wie stellt man sich aufbauend auf diesem ersten Jahr unter dem neuen Regime für die Zukunft auf?
Brian Daboll und der Wert des Coaches
Die Giants sind in jedem Fall das ideale Argument für die New Orleans Saints, um den Trade-Preis von Sean Payton in die Höhe zu treiben. Denn Woche für Woche zu sehen, was Brian Daboll aus diesem Team herausholen konnte - und das nicht nur im Vergleich zum Vorgänger-Regime - war das permanent präsente Beispiel dafür, wie wichtig Coaching ist.
Die Ausfälle in der ohnehin schon dünnen Receiver-Gruppe, eine Offensive Line, die sich erst noch finden musste, ein Quarterback, der zuvor so merklich in seiner Entwicklung stagniert hatte, dass die Giants nicht einmal die Fifth-Year-Option für Daniel Jones gezogen hatten - eine Entscheidung, welche das neue Regime heute sicher bedauert.
All diese Punkte sind valider Kontext, um zu untermauern, was für einen spektakulären Job Daboll und sein Team geleistet haben. Man könnte aber auch noch früher, mit einem auf den ersten Blick kleineren Detail, das aber denke ich große Auswirkungen nicht nur auf diese Giants-Saison, sondern auch auf die Art und Weise, wie ich die Zukunft unter Daboll in New York sehe, hatte.
Dieses Detail war die Art und Weise, wie Daboll seinen Trainerstab zusammengestellt hat - ein sehr offener Prozess, in welchen er die nach und nach verpflichteten Assistenten intensiv involviert hat und der eben nicht davon geprägt war, vertraute Gesichter oder Ideen um sich herum zu sammeln, sondern bewusst auch neue Einflüsse reinholen sollte.
In gewisser Weise die Krönung dieses Prozesses war Dabolls Entscheidung, Mike Kafka, der zuvor sechs Jahre lang unter Andy Reid in Kansas City gearbeitet hatte, als seinen Offensive Coordinator zu verpflichten, und ihn dann noch zu seinem Play-Caller zu machen - in einer Offense, welche gewissermaßen Dabolls Ideen mit denen von Kafka kombinieren sollte.
Eagles sind mehrere Schritte weiter in ihrer Entwicklung
Das war außergewöhnlich, weil seine eigenen Erfolge als Play-Caller in Buffalo ihm überhaupt erst diesen Job eingebracht hatten. Und wir sehen es nur selten, dass ein solcher Head Coach dann das Play-Calling aufgibt.
Es ist gut möglich, dass die Giants Kafka zeitnah verlieren werden. Vielleicht schon in diesem Jahr. Aber hier wurde eine schematische Grundlage gelegt, die stabil genug scheint, um als Basis für alle weiteren Entwicklungen zu dienen.
Was die individuelle Qualität angeht, ist es eine andere Diskussion, und das legte das Spiel am Samstagabend sehr schmerzhaft deutlich. Philadelphia dominierte die Line of Scrimmage, setzte Daniel Jones permanent unter Druck und ließ im Run Game nichts zu - während die Receiver kaum Separation kreieren konnten.
Hier merkte man klar, dass die Eagles mindestens schon zwei Schritte weiter sind in der Entwicklung ihres Kaders - was wiederum auch Fragen dahingehend aufwirft, inwieweit man in der Selbstanalyse des eigenen Kaders zu dem Schluss kommen muss, dass man sich noch in einer klaren Übergangs-, und keiner All-In-Phase befindet.
Und falls man zu diesem Schluss kommt, muss man sich dann nicht auch eingestehen, dass Daniel Jones eine gute Übergangslösung für die Übergangsphase sein kann, aber vielleicht auch nicht mehr? Und dass der Vertrag, den man ihm jetzt womöglich gibt, das auch widerspiegeln sollte?
Wink Martindale zeigt unerwartete Flexibilität
Bemerkenswert an dieser Giants-Saison war allerdings nicht nur die Offense. Wink Martindale ist längst eine bekannte Größe, genau wie seine Defense. Es wird Man Coverage gespielt, es wird geblitzt, und das in der Regel mehr, als so ziemlich jedes andere Team.
Dass sich Daboll für ihn als seinen Defensive Coordinator entschied, war vielleicht auch ein Hinweis darauf, worauf er als offensiver Coach die meiste Zeit in der Vorbereitung investieren musste; Martindales Defense ist zunehmend einzigartig geworden, in einer Liga, in der die meisten Defenses auf 2-Deep Zone Coverages setzen und darauf ihre Identität aufbauen.
Der bemerkenswerte Part war die Tatsache, dass Martindale auf seine - und das ist mitnichten despektierlich gemeint - "alten Tage" die Bereitschaft an den Tag legte, sich schematisch anzupassen.
Zum Ende der Regular Season und dann im Wildcard-Spiel, also über die letzten drei Wochen, spielte Martindale 60 Prozent seiner Cover-Snaps in Zone, nachdem die Giants über die ersten 16 Wochen der Saison mit einer Zone-Quote von 44 Prozent den letzten Platz in der NFL belegt hatten.
Die Giants sind drauf und dran, eine dominante Defensive Line aufs Feld zu führen: Azeez Ojulari und Kayvon Thibodeaux werden sich weiter entwickeln, Thibodeaux hatte seinen Breakout im Laufe der Saison. Dexter Lawrence ist der dominanteste Nose Tackle in der NFL, und Leonard Williams mindestens eine starke Nummer 2 unter Interior Linemen.
Das ist ihre große Stärke, und zu wissen, dass Martindale sich nicht nur an sein Personal, sondern vor allem auch an den Gegner anpassen kann - das Zone Blitzing funktionierte gut gegen die Eagles, die Umstellung auf mehr Zone mit einzelnen Double-Man-Coverage gegen Justin Jefferson war ein guter Plan gegen die Vikings, gegen die der 4-Man-Rush ausreichend dominierte.
Giants: Wie geht es weiter mit Daniel Jones?
Die große, spätestens jetzt übergroß im Raum stehende Frage betrifft aber den Quarterback: Der Vertrag von Daniel Jones läuft aus, und das ist eine faszinierende Situation. Denn Jones hat in dieser Saison nicht nur Dabolls Offense gut umgesetzt, sondern auch gezeigt, dass er ein Playmaker sein kann - am Boden, und aber auch als Passer.
65 designte Runs hatte Jones in der Regular Season, in keiner anderen kam er auf mehr als 43. Entsprechend stellte er auch Karriere-Höchstwerte in Rushing-Yards (703), Touchdowns (7) und Runs über mindestens zehn Yards (27) auf. Daboll und Kafka nutzten dieses Mittel ausgiebig und bauten es gut in ihre Offense ein, aber: Mehr als die Hälfte seiner Rushing-Yards holte Jones als Scrambler heraus, zu den 65 designten Runs kamen 56 Scrambles dazu. Er kreierte, auch weil die Offense mit all ihren Limitierungen das brauchte.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Giants und Jones einen Weg finden, der für beide Seiten gut funktioniert. Etwa ein Dreijahresvertrag, von dem zwei Jahre de facto garantiert sind und welcher Jones rund 25 Millionen pro Jahr und 35 Millionen insgesamt garantiert einbringt. Diese Größenordnung halte ich für vorstellbar, um ihn als Übergangslösung zu halten, sich aber nicht langfristig zu binden
Denn wichtig für die Giants wird es sein, genau wie für die Seahawks mit Geno Smith - oder, um ein Beispiel zu nennen, das bereits umgeschlagen hat: die Raiders mit Derek Carr -, dass man sich Möglichkeiten offen hält. Wenn man merkt, dass das Ceiling für diese Partnerschaft erreicht ist. Oder wenn man im Draft ein junges Talent findet, in dem man eher die Zukunft sieht.
Die Receiver-Gruppe braucht jetzt viel Arbeit, neben Daniel Jones wird auch Saquon Barkley Free Agent, genau wie die Receiver Darius Slayton, Sterling Shepard und Richie James. Die Offensive Line könnte mit Nick Gates und Jon Feliciano ebenfalls zwei Starter verlieren.
Dieser Kader ist - eigentlich - noch weit davon entfernt, ernsthaft oben mitzuspielen, insbesondere auf der offensiven Seite. Das könnte Jones jetzt unweigerlich zur reinen Übergangslösung machen. Und gleichzeitig muss es auch für Daboll und Co. jetzt reizvoll sein, zu sehen, was man aus Jones herausholen kann, wenn er mit einer vernünftigen Receiver-Gruppe arbeiten kann.