"Einfach geschockt" sei er gewesen, und habe direkt "ein paar Stoßgebete" gesprochen, verriet Cowboys-Besitzer Jerry Jones nach der Preseason-Verletzung, die Tony Romo letztlich den Stammplatz kosten und zum Karriereende bewegen sollte. Einen "härteren Hit in den Rücken habe ich wohl in den letzten fünf Jahren nicht einstecken müssen", sollte Romo später selbst zugeben.
Ein knappes Jahr sind diese Zitate jetzt alt, und die Stimmung im Cowboys-(Fan-)Lager damals war der Endzeit gefährlich nahe. Nach der 4-12-Saison 2015 erneut ohne Romo in eine Spielzeit gehen? Eine mehr als bittere Aussicht.
Bekanntermaßen kam alles anders. Getragen von der starken Offensive Line, einem herausragenden Ezekiel Elliott und Romo-Ersatz Dak Prescott - der ligaweit größten Positiv-Überraschung in der vergangenen Saison - marschierte Dallas zu 13 Siegen. Auch wenn letztlich das bittere Playoff-Aus gegen Aaron Rodgers und die Green Bay Packers stand: Die Weichen für die Zukunft scheinen gestellt, entsprechend groß sind die Erwartungen.
Was aber dürfen Cowboys-Fans von der 2017er Version ihres Teams tatsächlich erwarten?
Die Dallas Cowboys und die Problemzone Secondary
Dabei muss man unweigerlich mit der anderen Seite des Balls beginnen. Die Problemzone nämlich ist die Secondary, beziehungsweise die Pass-Defense als Ganzes. 25 Touchdown-Pässe bei nur neun eigenen Picks ließ Dallas in der vergangenen Regular Season zu, und muss zusätzlich dazu noch gleich mehrere Abgänge auffangen.
Die Defensive Backs Brandon Carr, Morris Claiborne, Barry Church und J.J. Wilcox haben sich in der Free Agency allesamt verabschiedet. Oder, in Zahlen ausgedrückt: Die Cowboys müssen zusammengerechnet 2.645 Secondary-Regular-Season-Snaps aus der 2016er Saison ersetzen. Die Antwort des Teams: Chidobe Awuzie (2. Draft-Runde), Jourdan Lewis (3. Draft-Runde) und Nolan Carroll (Free-Agency-Neuzugang), wobei Carroll eine Sperre droht, nachdem er mit Alkohol am Steuer erwischt wurde.
Und im Pass-Rush sieht es nicht viel besser aus: David Irving wurde wegen der Einnahme verbotener Substanzen für die ersten vier Spiele der kommenden Saison gesperrt, Randy Gregory im Januar für ein komplettes Jahr suspendiert - mindestens. Unter dem Strich nicht die besten Voraussetzungen für eine Defense, die es in der eigenen Division mit Odell Beckham, Alshon Jeffery und Terrelle Pryor zu tun bekommt. Dazu gibt es 2017 Duelle mit Julio Jones, Amari Cooper, Demaryius Thomas und Jordy Nelson.
Zumindest Cowboys-Receiver Dez Bryant zeigte sich während des Minicamps von den direkten Duellen mit der neuen Secondary gut gestimmt. "Sie haben alles gegeben und sehr gut mitgehalten, das gefällt mir", berichtete Bryant bei NBC. Insbesondere Awuzie hinterließ einen guten Eindruck, wurde links, rechts und im Slot eingesetzt. Mit Byron Jones hat Dallas schon eine Allzweckwaffe in der Secondary, Jones kann Corner und Safety spielen.
Pass-Rush: Cowboys setzen auf Rotation
Im Pass-Rush soll derweil mit Taco Charlton ebenfalls ein Rookie schnell eine tragende Rolle einnehmen, wenngleich auch 2017 hier das Motto gelten könnte: Masse statt Klasse! Das heißt nicht, dass Dallas keine guten Defensive Linemen hat - Defensive Coordinator Rod Marinelli allerdings setzt bei seiner Vier-Mann-Front auf Rotation und Fitness, während er dahinter sieben Spieler in Coverage einzusetzen.
"Wir müssen gegnerische Quarterbacks besser unter Druck setzen können", gibt Vizepräsident Stephen Jones zu, "und wir müssen Turnover kreieren. Da müssen wir uns steigern."
Marinellis Scheme ist nicht komplex und Dallas hat keinen dominanten Pass-Rusher wie früher noch DeMarcus Ware. Mit Charlton, Tyrone Crawford und DeMarcus Lawrence ist eine gute Rotation aber möglich, ab dem fünften Spiel dann auch mit Irving - der zeigte in der Vorsaison vielversprechende Ansätze. Diese permanente Rotation möglichst ohne großen Leistungsabfall ist ein entscheidender Schlüssel zu Marinellis Defense, der darauf baut, auch spät im Spiel 100 Prozent von seiner Defensive Line verlangen zu können.
Geht es nach Lawrence, wird die Line von den Medien gar unterschätzt. "Jeder kritisiert die D-Line, als ob wir in der vergangenen Saison unseren Job nicht erledigt hätten", stellte Lawrence im Gespräch mit der Dallas Morning News klar. "Ja, wir haben in den Playoffs verloren. Aber trotzdem haben wir unsere Arbeit gemacht. In meinen Augen wird das nicht ausreichend wertgeschätzt."
X-Faktor Jaylon Smith?
Und dann wäre da noch Jaylon Smith. Der Linebacker, der mit einer schweren Knieverletzung in den Vorjahres-Draft gegangen war und trotzdem von den Cowboys in der zweiten Runde ausgewählt wurde, hatte seine Rookie-Saison erwartungsgemäß komplett verpasst. Noch hält sich das Team mit Prognosen zurück, je mehr man sich aber mit den Cowboys befasst, desto stärker wird der Optimismus rund um den hochtalentierten Verteidiger.
"Ich fühle mich wie ich selbst. Ich sehe aus wie ich selbst. Ich bin ich selbst", erklärte Smith gegenüber der USA Today und fügte hinzu: "Ich bin Jaylon Smith. Ich bin bereit, Football zu spielen."
Mit Smith und Sean Lee hätte Dallas ein potentiell hochdynamisches Linebacker-Duo, und die Berichte aus den Trainingseinheiten der vergangenen Wochen decken sich mit Smiths Eindruck. Der Youngster, stets ausgestattet mit seiner Knie-Stütze, zeigte Explosivität und Geschwindigkeit. "Die Nerven heilen, daher geht es mir großartig", betonte Smith weiter. "Es ist alles Gottes Timing."
Was wird aus der Offensive Line der Cowboys?
So groß die Ungewissheiten rund um die Defense auch sein mögen, die Offensive Line war stets der Fels in der Brandung. Die drei wichtigsten Stützen - Travis Frederick, Zack Martin und Tyron Smith - werden die Line auch 2017 anführen. Auf den anderen beiden Position allerdings gibt es vor der neuen Saison berechtigte Fragezeichen.
Starting-Right-Tackle Doug Free hat seine Karriere beendet, Starting-Guard Ron Leary wechselte in der Free Agency nach Denver. Das könnte, so jedenfalls dürfte der aktuelle Plan aussehen, Jonathan Cooper und La'el Collins in die Startformation spülen: Ex-Erstrunden-Pick Cooper, der sich in Arizona, New England und Cleveland nicht festbeißen konnte, würde für Leary übernehmen, Collins demzufolge vom Guard zum Tackle umfunktioniert werden und Free ersetzen. Dort hat Collins bislang in der Offseason durchweg trainiert.
"Es ist komisch, denn ich habe gedacht, dass es Zeit braucht, sich an die neuen Abläufe und die neue Position zu gewöhnen. Aber es fühlt sich für mich sehr natürlich an. Es geht letztlich darum, konzentriert zu bleiben, meine Beinarbeit zu verstehen und zu wissen, wo ich sein muss - eben Football zu verstehen", brachte es Collins selbst bei ESPN auf den Punkt.
Noch mehr Verantwortung für Ezekiel Elliott
Die Offensive Line hatte in der Vorsaison einen enormen Anteil an den starken Rookie-Spielzeiten von Prescott und Elliott. Vor allem Prescott profitierte enorm davon, regelmäßig Zeit in der Pocket zu haben, um die Defense zu lesen. Auch Elliott hatte mehrere Spiele, in denen er scheinbar vom Gegner kaum berührt wurde - das Duell in Pittsburgh gegen die Steelers stach hier ganz besonders heraus: Bei 21 Runs verzeichnete er im Schnitt 3,9 Yards vor erstem Gegnerkontakt.
Doch Elliott, der auch in Pass-Protection glänzte, war nicht nur das Produkt der eigenen Line. Der Rookie verzeichnete die meisten Yards nach erstem Gegner-Kontakt aller Running Backs (938, vor Jay Ajayi mit 900 und Le'Veon Bell mit 786 laut Pro Football Focus). Im Schnitt holte er noch 2,9 Yards pro Run nach Gegnerkontakt raus. Seine 1,631 Rushing-Yards waren ebenfalls der Liga-Topwert, im Schnitt 5,1 Yards verzeichnete Elliott in einer herausragenden Rookie-Saison.
Und das mit Ausgeglichenheit: Laut PFF hatten nur LeSean McCoy (835) und DeMarco Murray (796) mehr Yards bei Runs Outside der Tackles als Elliott (748). Lediglich Jordan Howard (966) erlief mehr Yards zwischen den Tackles als Elliott (884). Zudem leistete sich Elliott nur einen Drop. Sollte die O-Line aber schwächer spielen, wird der Running Back noch stärker im Fokus stehen - sowohl in Pass-Protection als auch als Runner.
Nächster Schritt für Dak Prescott
Selbstredend wäre auch für Prescott eine weiterhin stabile Line ein entscheidender Schlüssel für den nächsten Schritt. Prescott beeindruckte mit seinen Pre-Snap-Reads und dem Verständnis für die Defense. Jetzt muss er ein noch besserer Pocket-Passer werden. Einen Schritt in diese Richtung könnte Dallas in der vierten Runde des Drafts gemacht haben.
Receiver Ryan Switzer war im College eine Slot-Maschine und könnte den Cowboys offensiv weitere Vielfalt geben. Zwar hat Dallas mit Cole Beasley bereits einen sehr guten Slot-Receiver. Die Kombination der beiden aber macht es möglich, Defenses vor große Herausforderungen zu stellen.
Die Cowboys könnten häufiger auch 10-Personnel spielen, also mit vier Wide Receivern und ohne Tight End. Defenses müssten sich dann entscheiden, ob sie eher eine leichtere Front aufbieten, um die beiden Slot-Receiver zu stoppen, oder aber ob sie sich auf den Run fokussieren. "Die Offense ist für meine Position sehr angenehm", hat auch Switzer schon gemerkt, "deshalb hatte Bease letzte Saison hier auch die meisten Catches."
Über die letzten Jahre waren die Cowboys konstant inkonstant: Auf eine 11-5-Saison folgte ein 6-10, dann drei Mal 8-8, 12-4, 4-12 und jetzt 13-3. Dallas hat mit Prescott, Bryant, Elliott, Jason Witten, Byron Jones und natürlich den drei dominanten O-Linern viele Eckpfeiler, die dem Team auch 2017 alle Chancen auf die Playoffs geben. Unter dem Strich aber muss die Defense trotz mehrerer Abgänge zumindest durchschnittlich funktionieren, um auf Augenhöhe mit der starken Konkurrenz in der NFC zu bleiben.
Dann sollte den Fans auch die Weltuntergangsstimmung erspart bleiben. Und Jerry Jones die Stoßgebete.