"I feel shitty." Cam Newtons Analyse der Auftaktniederlage zum Start der vergangenen Saison bei den Denver Broncos fiel genauso prägnant wie deutlich aus.
Erst hatten ihn DeMarcus Ware und Von Miller aufs Härteste an Super Bowl 50 erinnert und dann auch noch Panthers-Kicker Graham Gano wenige Sekunden vor Schluss die Chance auf den trotzdem möglichen Sieg vergeben.
Dass er sich keine Gehirnerschütterung zugezogen hatte, war mehr als Glück. Glück, das ihn im Laufe der Saison nicht mehr so oft begleiten sollte. Der vorläufige Tiefpunkt folgte schon in Woche vier in Atlanta, als der Helm-an-Helm-Hit von Deion Jones Newton aus dem Spiel manövrierte. Gehirnerschütterung.
Ein dunkelroter Faden, der sich durch eine Saison zog und auch für die eine oder andere Diskussion rund um den Umgang der Schiedsrichter mit Newton sorgte. Eine Saison, die für die Panthers - den Super-Bowl-Teilnehmer vom Vorjahr - mit einer Bilanz von 6-10 und dem letzten Division-Platz in der NFC South endete.
Altes Muster, neuer Anstrich
Für die Analyse der Schwachstellen hatte es nicht mal große Expertise gebraucht, im Grunde war es das alte Lied. Das System, das Newton noch wenige Monate vorher zu 35 Passing- sowie 10 Rushing-Touchdowns und dem MVP-Titel verholfen hatte, war durchschaubar geworden. Die Gegner konnten sich auf das ziemlich simple Scheme gut einstellen, die seit Jahren problematische Offensive Line wackelte nicht nur aufgrund einiger Verletzungen noch stärker.
Newton, der entweder selbst mit dem Kopf durch die Wand schießt, oder downfield auf einen seiner Leuchttürme Kelvin Benjamin oder Devin Funchess warf. 14 Interceptions in 15 Partien haben das recht gut verdeutlicht.
Und so sind Geschäftsführer Dave Gettleman und Head Coach Ron Rivera vor gut zwei Wochen in den Draft gegangen, um ihrer Offense keinen komplett neuen, zumindest aber einen frischen Anstrich zu verpassen. Um an einigen Schrauben zu drehen, mit möglichst effizienter Wirkung.
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Gettlemans Fazit weniger später? "The Good Lord was smiling down on us." Eine nette Umschreibung dafür, dass der frische Anstrich glänzen wird. Oder zumindest glänzen kann.
Barry Sanders in besser und mit Saugnäpfen
Mit Christian McCaffrey schnappten sich die Panthers mit dem achten Pick den vielleicht vielseitigsten Spieler der ganzen Klasse. Der 20-Jährige, fortan jüngste Profi der gesamten Liga, hat erst kürzlich den All-Time-Rekord von Barry Sanders am College gebrochen. In zwei Jahren an der Stanford University brachte es McCaffrey auf insgesamt 6.191 Yards (!) und 33 Touchdowns.
Das Spezielle an McCaffrey, dessen Vater bereits 13 Jahre als Wide Receiver in der NFL spielte, sind aber nicht mal seine Zahlen. Offiziell ist er mit seinen 1,80 Metern als Running Back gelistet, kann jedoch genauso gut als Outside-Receiver, Slot-Receiver sowie Punt- und Kick-Returner auflaufen. In Stanford erzielte er 21 Touchdowns als Running Back, zehn als Receiver und zwei als Returner.
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"Er weiß, was es braucht", lobte Gettleman daher. "Er versteht das Spiel und bringt einfach alles mit. Ich glaube sogar, dass er Saugnäpfe an seinen Fingerspitzen hat."
Besonders McCaffreys Geduld, sein Auge und sein Tempo (4,48 Sekunden auf die 40 Yards) ziehen bereits jetzt Vergleiche zu Pittsburghs Le'Veon Bell nach sich und werden Newton die Arbeit im Backfield deutlich leichter machen. Besonders, da der Quarterback im Laufspiel nun weniger selbst machen muss (oder machen darf).
Receiver oder Running Back? "Football-Spieler"
Zusätzlich, das bestätigte Coach Rivera bereits, wird und muss McCaffrey auch anderweitig aufgestellt werden. "Es wird viel um Flexibilität gehen, aber auch sehr seinem Spiel in Stanford ähneln."
Ob McCaffrey nun also als Tailback, Halfback, im Slot oder ganz außen aufläuft, das ließ Rivera offen, hielt jedoch fest, "dass dieser junger Mann speziell ist, ein Pro-Style-Runner. Er wird uns sofort weiterhelfen." McCaffrey selbst, angesprochen auf seine genaue Position, war sich da auch nicht so sicher: "Ich bin ein Football-Spieler."
Ähnliches gilt für Curtis Samuel, Zweitrunden-Pick, der im Prinzip derselbe Spielertyp ist wie McCaffrey: 1,80 Meter groß und verdammt explosiv. Als John Ross (von den Bengals gedraftet) beim 40 Yard Sprint eine 4,22 lief und den neuen Rekord aufstellte, ging beinahe unter, dass Samuel wenig später mit 4,31 die siebtbeste Zeit eines Wide Receivers aller Zeiten aufstellte.
"Er hat diesen 'Oh-my-Gosh'-Speed", bemühte sich Gettleman gar nicht erst, den Pick eines weiteren Receivers-Running-Back-Hybrids zu rechtfertigen - obwohl auch im Pass-Rush, der Secondary und der O-Line Bedarf gewesen wäre.
Adaption und Reaktion
Es ist ganz einfach der Versuch, sich an die neue NFL anzupassen und wenn möglich schon einen Schritt vorauszugehen. Weg von Physis, langen Receivern und brachialen Running Backs, hinzu mehr Speed, Vielseitigkeit und mehr Mismatches.
"Diese Liga entwickelt sich zu einer Liga, in der Playmaker und Mismachtes eine große Rolle spielen", erklärte McCaffrey. "Und ich glaube, dass ich genau dieses Mismatch in mehreren Varianten sein kann."
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McCaffrey und Samuel, im letzten Jahr mit sieben Touchdowns als Running Back und acht als Receiver, geben Newton völlig neue Optionen. Vor allem im Passing Game als Receiving-Backs mit schnellen Releases, einfachen Drei- oder Vier-Yard-Pässen, eben bevor der Pass-Rush ankommt. Ähnlich, wie es die New England Patriots im letzten Jahr vorgemacht haben.
"Im Super Bowl - wie viele Pässe hat Tom Brady da auf seine Running Backs (James White und Dion Lewis, d. Red.) geworfen?", fragte Mike Shula, Offensive Coordinator der Panthers, MMQBs Peter King leicht rhetorisch. "Die meisten sind angekommen, oder?" Ja, das sind sie.
Ein bisschen mehr wie Brady eben
Newton adressierte seine Running Backs im Passing Game letztes Jahr nur in 13 Prozent der Fälle, der zweitniedrigste Wert der Liga - während Brady mit 24 Prozent sogar noch fünf über dem Durchschnitt lag.
Es ist also klar, was Shula sehen will. Und was auch Rivera und Gettleman sehen wollen. Weniger Hits für Newton und mehr kurze Pässe zu McCaffrey oder eben Samuel, der wohl vornehmlich im Slot auftauchen wird. Ein bisschen mehr wie bei Brady eben. "Manchmal ergeben sich dann halt nur vier Yards Raumgewinn", fuhr Shula fort. "Aber es klappt, und das ist es, worauf es ankommt."
Natürlich wird die Offense nicht komplett auf links gekrempelt. Devin Funchess (1,96 Meter) und Kelvin Benjamin (1,95 Meter), bei dem die Panthers erst kürzlich die Option auf das fünfte Vertragsjahr gezogen haben, sind nach wie vor Newtons primäre Targets, Tight End Greg Olsen nicht zu vergessen. Doch werden sie wohl weniger eingesetzt als zuletzt, die Offense vielseitiger und schwerer berechenbar.
Die O-Line bleibt dabei allerdings eine Baustelle für Carolina. Zwar wurde in Runde drei mit Taylor Moton ein Right Tackle gedraftet, doch muss der sich wohl zunächst hinter Daryl Williams anstellen. Für die linke Seite kam Matt Kalil (ehemals Vikings) in der Free Agency, von dem aber auch nicht der benötigte Boost erwartet werden kann.
Der Druck ist da, der Druck ist gut
Doch genau wie Newton profitiert ebenso die O-Line von McCaffrey und Samuel, die alleine durch ihre Art zu spielen mehr Fokus der Defense auf sich lenken und Druck von der Line nehmen. In der vergangenen Saison hatte Newton zu häufig erst mehrere Sekunden warten müssen, ehe sich mal eine Lücke öffnete. Doch da war es meistens schon zu spät.
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Die neue Saison, die mit einem Gastspiel in San Francisco beginnt, verspricht für die Panthers einiges an Besserung. "Erwartet bloß nicht, dass sie nochmal mit 6-10 da rausgehen", prophezeite NFL Media-Analyst Elliot Harrison bereits. Auch wenn der Druck auf Newton wegen seiner neuen Spielzeuge McCaffrey und Samuel nochmal ansteigt: Er muss zeigen, dass er mit einem stärkeren Kurzpass-Rhythmus umgehen und dabei akkurat agieren kann.
"Na und?", meinte zumindest McCaffrey. "Ich liebe diesen Druck. Druck macht die großen Spieler großartig."