Über Jahre hält sich nun schon rund um Miami ein unrühmlicher Ruf: Gewinner der Off-Season. Ob Ndamukong Suh, Branden Albert oder Mike Wallace - die Dolphins schreckten selten vor dem dicksten Fisch auf dem Markt zurück und waren für Berater sowie Spieler gleichermaßen ein willkommener Interessent, um den Preis nach oben zu treiben. Die ganze Liga wusste, dass Miami immer wieder für einen Mega-Deal zu haben ist.
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Und so dürften Fins-Fans auf der ganzen Welt die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, als eine Off-Season wie aus dem Dolphins-Bilderbuch Anfang März losging. Miami holte den in Philadelphia enttäuschenden Byron Maxwell (zusammen mit seinem stolzen Vertrag) sowie den verletzungsanfälligen Kiko Alonso von den Eagles.
Allein: Die von nicht wenigen erwartete, daran anschließende, große Transferoffensive blieb aus. Stattdessen wurden die Dolphins plötzlich Verkäufer, ließen Lamar Miller und Olivier Vernon ziehen - auch wenn es in South Beach dennoch zumindest einen Neuzugang Marke Schwergewicht zu begrüßen gab.
Top-Neuzugang? Adam Gase!
Der große Coup gelang in diesem Jahr schon Wochen vor der Free Agency: Mit Adam Gase schnappte sich Miami den heißesten Trainer-Kandidaten auf dem Markt. In einer eher defensiv orientierten Division, mit den Head Coaches Bill Belichick, Rex Ryan und Todd Bowles, entschied sich die Team-Führung, gegen den Strom zu schwimmen - und legte gleichzeitig die Basis für eine neue Philosophie.
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Mehrere Dinge sollen unter Gase endlich auch in South Beach Einzug erhalten. Es geht um Kontinuität. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Und es geht nicht zuletzt auch um besseres Coaching. Unter Gase-Vorgänger Joe Philbin hatte man nicht selten den Eindruck, dass er das Team eher hemmt als dessen Stärken zur Geltung kommen zu lassen. Das soll jetzt anders werden.
Gase gibt sich dabei offen für äußere Einflüsse. Wes Welker wurde bereits eingeflogen, um mit dem Wide-Receiver-Corps zusammenzuarbeiten, während Peyton Manning einige Einheiten mit Quarterback Ryan Tannehill absolvierte.
Wollte man den einen Schlüssel für die Dolphins ausmachen, er läge wohl hier: Damit Miami den nächsten Schritt machen kann, muss Tannehill in seiner fünften Saison den nächsten Schritt hin zum Franchise-Quarterback machen. Es ist der wohl wichtigste Ansatzpunkt für Gase - und gleichzeitig eine Art Heimspiel für den einstigen Offensive Coordinator und Quarterbacks-Coach.
Neuland für Ryan Tannehill
Gase hat über die letzten Jahre seine Vielseitigkeit im Umgang mit Quarterbacks unter Beweis gestellt. Tim Tebow, Peyton Manning und Jay Cutler waren seine QBs, ein größeres Spektrum ist mit drei Spielern wohl kaum abdeckbar. Jetzt soll der erst 38-Jährige Tannehills Entwicklung fortführen, die ersten Mittel und Wege hierfür zeichnen sich bereits ab. Das übergreifende Thema auch hier: Verantwortung übernehmen.
Während Tannehill unter Philbin kaum Freiheiten genoss - Philbin beschränkte sich meist auf wenige Pässe und erlaubte ihm lange kaum Audibles an der Line of Scrimmage -, will Gase das Gegenteil erreichen. "Ich weiß, dass ich viel von ihm verlange, bis zu dem Punkt, dass es vielleicht zu schnell zu viel ist", gab Gase auf der Team-Website zu, "aber ich will sehen, wie weit ich ihn pushen kann."
Es ist Neuland für Tannehill, und das nicht nur, weil er in seiner fünften NFL-Saison bereits sein drittes Offensiv-System präsentiert bekommt. Das Training ist deutlich fordernder, es wird in mehreren Bereichen intensiver gearbeitet und von Tannehill selbst werden eindeutig mehr Entscheidungen verlangt. Bisweilen ist es auch eine Gratwanderung. Vor allem aber ist es der einzige Weg, um endlich herauszufinden, wozu Tannehill in der Lage ist.
Gasmasken-Glücksfall Laremy Tunsil
Doch Gase will mit den Dolphins nicht nur über den Quarterback zurück in die Erfolgsspur. Es geht gleichzeitig darum, Tannehill alle Möglichkeiten zu geben, dass er Erfolg haben kann. Für Miami bedeutet das zwei Dinge: Das Running Game muss für Entlastung sorgen und die Offensive Line muss zumindest Liga-Durchschnittswerte erreichen.
Über die letzten drei Jahre gesehen war Miami davon weit entfernt. Die Dolphins ließen in diesem Zeitraum pro Spiel 2,8 (2015), 2,9 (2014) sowie 3,6 (2013 - Liga-Höchstwert in diesem Jahr) Sacks zu, womit sie konstant im untersten Drittel der NFL rangierten. Wenige Quarterbacks standen so konstant unter Druck wie Tannehill, der über die letzten Jahre dennoch die Fehler runter schrauben konnte.
Somit ist es eine Weile her, dass die O-Line Grund für Optimismus im Süden Floridas war - in diesem Jahr ist es endlich mal wieder so weit. Left Tackle Branden Albert und Center Mike Pouncey sind nach Verletzungsproblemen im Vorjahr wieder bei 100 Prozent, während den Dolphins im Draft womöglich der Mega-Steal gelang: Infolge des Gasmasken-Videos schnappte sich Miami Laremy Tunsil, für viele Experten der beste Spieler dieser Draft-Klasse.
Tunsil wird mutmaßlich zunächst zwischen Albert und Pouncey als Left Guard eingesetzt - so gut war Miamis Offensive Line zumindest auf einer Seite seit Jahren nicht mehr aufgestellt.
Foster als einer von vielen
Das könnte auch die Tür für die zweite Säule neben der O-Line öffnen: Das Running Game. Die Dolphins präsentierten sich zuletzt entschieden zu Pass-lastig, in den letzten drei Jahren waren 63 Prozent (2015), 59 Prozent (2014) und 63 Prozent (2013) der offensiven Spielzüge Pässe. Gase dagegen setzt auf einen deutlich ausgeglicheneren Ansatz, was auch zuletzt bei den Bears deutlich würde.
Über die letzten drei Jahre verzeichneten seine Offenses im Schnitt 28,5 Laufversuche pro Spiel. Miami über den gleichen Zeitraum? 22,7 Runs pro Partie, ein enormer Unterschied. Das erlaubte es Dolphins-Gegnern immer wieder, die Pass-Rush-Maschine anzuwerfen, was in der vergangenen Saison in einem Kuriosum endete: Miamis Offense kassierte in drei aufeinanderfolgenden Spielen einen Safety.
Derartiges soll es unter Gase nicht mehr geben. Das Running Game wird auf mehrere Schultern verteilt werden, was auch die Verpflichtung von Arian Foster erklärt. Zwar bewegen sich die Dolphins hier auch wieder auf den "Dicker-Fisch"-Pfaden - allerdings lediglich mit Blick auf den Namen. Der Achillessehnenriss in Kombination mit seinem Alter verschaffte dem 29-Jährigen nicht gerade einen großen Markt. Das Ergebnis: Ein teamfreundlicher, auf Boni-Zahlungen basierter Deal, Foster wird Jay Ajayi mutmaßlich primär als Pass-Fänger unterstützen.
Defense: Mit Wide 9 zum Erfolg?
Somit bleibt noch der Blick auf die Defense, wo auf den offensivorientierten Gase eine weitere Herausforderung wartet. Miami erlaubte es gegnerischen Quarterbacks in der vergangenen Saison, 64,6 Prozent ihrer Pässe an den Mitspieler zu bringen sowie 31 Touchdown-Pässe aufzulegen, während gegnerische Offenses insgesamt 43,4 Prozent ihrer Third Downs gegen die Dolphins in neue First Downs ummünzen konnten - allesamt desolate Werte.
Jetzt soll Maxwell, der schon in Philly als Nummer-1-Cornerback überfordert war, Brent Grimes ersetzen, als zweiter Outside-CB hat Rookie Xavien Howard gute Chancen auf den Startplatz. Durch den Abgang von Olivier Vernon, der bei den New York Giants einen Mega-Deal unterschrieb, wird der Pass-Rush auf dem Papier langsamer, was eine potentiell größere Bedrohung für die Secondary bedeutet.
Die Antwort könnte in einer nicht gerade risikofreien Aufstellung liegen, welche D-Line-Star (und der jüngste "dicke Fisch" in Miami) Ndamukong Suh noch bestens aus Detroit kennt: Wide 9. Zusammengefasst sind hier die beiden Defensive Ends - in Miamis Fall Cameron Wake, der von einem Achillessehnenriss zurückkehrt sowie Mario Williams, der sich in Buffalo im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Kader spielte und dahinter womöglich Wundertüte Dion Jordan - außerhalb der beiden äußeren Enden der Offensive Line aufgestellt und sollen so mit Geschwindigkeit Jagd auf den Quarterback machen.
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Defensive Coordinator Vance Joseph ist ein Fan dieser aggressiven Defense, mit der Offenses dazu gezwungen werden sollen, zu reagieren. "Ich mag diese angreifende Art der Verteidigung", freut sich Suh bereits und Linebacker Jelani Jenkins fügte auf der Team-Website hinzu: "Wir greifen damit einfach immer an. Darum geht es. Es ist eine aggressive Defense, die konstant Druck erzeugt. Und das mögen wir."
"Wege finden, Spiele zu gewinnen"
Auf der Kehrseite dieser Medaille steht das Zentrum: Durch die breit gefächerte Aufstellung stehen die Defensive Tackle und die Inside Linebacker unter enormem Druck und müssen viele Löcher über die Mitte stopfen. Auf Spieler wie den inkonstanten Jenkins oder den verletzungsanfälligen Kiko Alonso kommt es also an.
Miami hat in diesem Jahr zweifellos von seinem genauso aggressiven wie teuren Free-Agency-Ansatz Abstand genommen - eine Entwicklung, die auch NFL-Experte und Dolphins-Fan Henry Hodgson im Interview mit SPOX begrüßte. Lediglich bei C.J. Anderson konnte Miami nicht widerstehen, die Broncos hielten den Running Back aber letztlich mit einem noch besseren Angebot.
Die Dolphins gehen stattdessen den jungen (Ajayi, Rookie Kenyan Drake) und günstigen (Foster) Weg auf der RB-Position, gleiches gilt für die Receiver. Für Gase allerdings ist das keine Entschuldigung, wie er im Miami Herald klarstellte: "Wir sind jung, aber das wird keine Ausrede sein. Das interessiert im September niemanden. Du musst einfach Wege finden, Spiele zu gewinnen."
Die vergangene Saison war letztlich eine Spielzeit zum Vergessen: Ein 1-3-Start, die Entlassung von Joe Philbin und dann nach zwei Kantersiegen eine bestenfalls holprige zweite Saisonhälfte. Jetzt können die Dolphins zeigen, dass sie nicht nur in der Off-Season dazugelernt haben - und dass sie auch wenn es darauf ankommt gewinnen können.