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"Ich sehe es wie bei Gladiator: Gewinne die Menge": Nur einer wurde zur Hassfigur! Was Kyrie Irving und Kristaps Porzingis in den NBA Finals blüht

Von Stefan Petri
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In den heute Nacht beginnenden NBA Finals zwischen den Dallas Mavericks und den Boston Celtics stehen auch Kyrie Irving und Kristaps Porzingis im Fokus: Beide Superstars spielten nämlich einst für den Gegner. Doch während Irving in Boston bis heute eine echte Hassfigur ist, kann man KP kaum etwas vorwerfen - oder? SPOX zeichnet den Weg des Duos nach und nennt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede.

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Wenn er Glück hat, kommt Kyrie Irving heute Nacht mit dröhnenden Buhrufen davon, und mit gellenden "KYRIE SUCKS!"-Sprechchören. Im schlimmsten Fall könnte es richtig hässlich werden.

Es ist die große Story vor Spiel 1 der NBA Finals: Irvings Rückkehr nach Boston. Natürlich ist es nicht sein erster Besuch in Beantown, seit er das Team 2019 verließ. Aber eben der erste auf der größtmöglichen Bühne, denn diesmal geht es um alles. Luka Doncic ist zweifellos der größte Star, Jayson Tatum und Jaylen Brown die großen heimischen Hoffnungen, und dann ist da natürlich noch das Comeback von Center Kristaps Porzingis nach langer Verletzungspause.

Und dennoch werden alle Augen auf Irving gerichtet sein.

Für den 32-Jährigen wird es dabei zwei komplett unterschiedliche Erfahrungen geben: Auf dem Parkett kommt er mit seinen ehemaligen Teamkollegen ausgezeichnet klar, ist für Tatum und Brown fast so etwas wie ein großer Bruder. Von den Rängen jedoch wird droht ihm ein beispielloser Spießrutenlauf. Die Zuschauer in Boston sind immer laut und voll dabei? Sicher. Aber die Finals sind noch einmal eine ganz andere Nummer.

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Kyrie Irving: Vom Celtics-Liebling in Rekordzeit zum Feindbild

"Man muss einfach immer weiteratmen, trotz allem", sagte Irving, angesprochen auf das, was ihn im TD Garden erwarten wird. "Was die Reaktionen der Menge angeht und was sie zu einem sagen: Man muss einfach tief Luft holen und realisieren, dass es nicht so feindselig ist wie man denkt. Darüber darf man sich nicht den Kopf zerbrechen." Auf dem Court gebe es "keine Angst, es ist schließlich nur Basketball. Was die Fans sagen, das sagen sie eben", betonte er. Und: "Ich weiß sie und ihre Beziehung zu unserem Sport zu schätzen."

Im grün-weiß gekleideten Nordosten der USA fiele das Urteil umgekehrt sicherlich etwas negativer aus. Was sich Irving zugegeben auch redlich verdient hat. Als großer Hoffnungsträger war er im August 2017 von den Cleveland Cavaliers per Trade gekommen, hatte er ein Jahr zuvor doch einen der größten Würfe der Playoff-Geschichte verwandelt und den Cavs so die Championship gegen die vermeintlich übermächtigen Golden State Warriors gesichert. Nun sollte er das Team mit Rookie Tatum und dem 21 Jahre alten Brown an- und zum Titel führen.

Daraus wurde nichts. In Irvings erstem Jahr musste er nach einer Knie-OP zuschauen, wie die Underdog-Celtics fast bis in die Finals stürmten, machte den Fans anschließend aber Hoffnung auf viele weitere Anläufe: "Wenn ihr mich weiter haben wollt, plane ich, meinen Vertrag nächstes Jahr zu verlängern", rief er im Oktober 2018 den jubelnden Fans zu. Im Laufe der Saison drehte sich seine Meinung jedoch um 180 Grad. "Fragt mich am 1. Juli", blaffte er vier Monate später auf seine Zukunft angesprochen. Und: "Ich schulde niemandem einen Scheiß." Am Rande des All-Star Games wurde er zudem von Kameras dabei erwischt, wie er mit Kevin Durant über eine gemeinsame Zukunft tuschelte. Erneut reagierte er maximal patzig auf Nachfragen: "Was ich mit meinem Leben mache, geht niemanden etwas an!"

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Nach einem katastrophalen Playoff-Auftritt gegen die Milwaukee Bucks, gegen die Irving "uninspiriert" wirkte, machte er dann wie befürchtet nach zwei Jahren die Biege: Vier Jahre und 141 Millionen Dollar gab es von den Brooklyn Nets, KD unterschrieb ebenfalls. Das allein hätte schon genügt, um ihn in Boston zum Staatsfeind Nummer eins zu machen.

Doch Irving wäre nicht Irving, wenn er dieses Feindbild in der turbulentesten - und kontroversesten - Phase seiner Karriere nicht zementiert hätte: In den folgenden Besuchen im Garden stampfte er absichtlich auf das Franchise-Logo im Mittelkreis, bezeichnete die Fans abschätzig als "verschmähte Ex-Freundin" und zeigte pöbelnden Fans in den Playoffs 2022 den Mittelfinger.

Die Celtics-Fans bekleckerten sich ebenfalls nicht mit Ruhm: Einmal flog eine Flasche nur knapp an Irvings Kopf vorbei, er selbst berichtete zudem von rassistischen Angriffen.

Kyrie Irving: Stolzer Onkel von Jayson Tatum und Jaylen Brown

Eine derart hässliche Phase hinterlässt bleibende Spuren, auch Jahre später. Doch mittlerweile zeigt sich Irving gereift, geläutert. Bei den Mavs ist er zum Musterprofi mutiert, der ideale Sidekick neben Doncic und gleichzeitig Führungsspieler für die unerfahrenen Spieler im Kader. Als "lautstarken Anführer", bezeichnete ihn P.J. Washington: "Er ist eine Ikone. Jeder schaut zu ihm auf und hört ihm zu, wenn er spricht." Coach Jason Kidd erklärte, Irving "schreibe seine Geschichte neu. Und er ist weltgewandt, auch das ist wunderbar. Die meisten von uns vergraben sich in unserem Sport, doch er kennt sich auch in anderen Bereichen aus."

Es sind Aussagen wie diese, die verstehen lassen, warum Irving bei seinem ersten Spiel im Nets-Trikot von den ehemaligen Celtics-Teamkollegen begrüßt wurde wie der verlorene Sohn. Das überragende Basketball-Talent, gepaart mit einer weltmännischen Weisheit - hier würde sicherlich nicht jeder zustimmen - und dem Willen, sein Wissen weiterzugeben. "Es gab natürlich Höhen und Tiefen", sagte etwa Tatum. "Aber es hat mir sehr geholfen, in meinem ersten und zweiten Jahr täglich von einem Superstar lernen zu können." Er habe "großartige Erinnerungen" an den Teamkollegen Irving.

Irving selbst gab sich ob des steilen Aufstiegs von Tatum und Brown im Vorfeld der Finals wie ein stolzer Onkel: "Ich habe ihnen vom ersten Tag an gesagt, dass ich will, dass sie besser werden als ich. Und dafür muss man sich auch in die Geheimnisse des Sports einweihen." Das Duo sei sehr viel besser geworden, "sie haben ihr Team so weit geführt. Ich bin stolz auf sie."

Kristaps Porzingis spielt seit dieser Saison bei den Boston Celtics.
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Das Verhältnis zum sportlichen Gegner stimmt also. Zumal es in der Umkleide ohnehin deutlich mehr Verständnis dafür gibt, im Zuge einer besseren sportlichen Situation - und einer Menge Dollars - bei einem anderen Team zu unterschreiben: Den Wechsel zu den Nets dürften Irving nur die wenigsten Celtics wirklich übelgenommen haben.

Bei den Fans sieht das naturgemäß ganz anders aus. Irving versuchte zuletzt zwar die Wogen zu glätten und gab dabei auch eigene Fehler zu. Doch seine Charme-Offensive wird bei den gegnerischen Anhängern nicht zünden, dafür muss man kein Prophet sein. Selbst wenn ihm mittlerweile sogar Promi-Fan Bill Simmons verziehen hat. "Mir hat gefallen, was Kyrie gesagt hat", erklärte der am Mittwoch in seinem Podcast. "Ich hoffe, dass das die Leute in Boston auch gehört haben. Ich glaube, dass seine Reue echt ist."

Irving selbst hat eine andere Taktik angekündigt: Zuneigung gibt es für ihn im TD Garden wohl nicht zu holen - aber zumindest Respekt vor einer guten Leistung. "Es wird hektisch werden, aber ich freue mich darauf", sagte er. "Ich sehe es wie bei Gladiator: Gewinne die Menge."

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Kristaps Porzingis: Warum es bei den Mavs nicht funktionierte

Derartiges muss Kristaps Porzingis in Boston nicht mehr leisten. Vom langen Letten waren zwar längst nicht alle Fans überzeugt, als er in der vergangenen Offseason per Trade von den Wizards geholt wurde, doch dann eroberte der treffsichere Center die Herzen der Fans im Sturm und erwies sich in der bärenstarken Regular Season des Teams als der erhoffte X-Faktor: KP konnte nicht nur als Schütze von draußen überzeugen, sondern auch als Nutznießer von Missmatches unter dem Korb - und als defensive Präsenz.

Fragen gibt es lediglich hinter seiner lädierten Wade: Mit einem zu einhundert Prozent fitten Porzingis dürften die Celtics kaum zu schlagen sein. Das wissen natürlich auch die Anhänger, die im TD Garden jede gelungene Aktion des 28-Jährigen frenetisch bejubeln werden. Doch wie sieht es sechs Tage später aus, wenn in der Nacht auf Donnerstag Spiel 3 in Dallas ansteht? Droht ihm ein ähnlicher Spießrutenlauf wie Irving in Boston?

Kristaps Porzingis: Seine Karrierestatistiken

TeamSpieleMinutenFG%3P%ReboundsAssistsBlocksTurnoverPunkte
Knicks (2015-19)18531,043,736,17,11,32,01,817,8
Mavericks (2019-22)13430,944,834,58,11,81,71,520,0
Wizards (2022-23)8231,749,338,28,52,71,52,022,9
Celtics (Seit 2023)5729,651,637,57,22,01,91,620,1

Mit einem Wort: nein. Porzingis dürfte nach seinen drei Jahren in Texas zwar nicht als Franchise-Legende empfangen werden, doch für böses Blut gibt es keinen Anlass. Im Februar 2019 hatten die Mavs ihn in einem Blockbuster-Trade von den New York Knicks geholt und nach zwei Erstrunden-Niederlagen in den Playoffs 2020 und 2021 schließlich auf der Suche nach sportlichem Erfolg im Februar 2022 in die Hauptstadt verschifft. Wo Irving von sich aus das Weite suchte, trennte sich hier das Team vom Star.

Ein paar Gemeinsamkeiten gibt es dennoch: Irvings Abschied erlaubte es Tatum und Brown, in Boston in ihre heutigen Rollen als Superstars hineinzuwachsen. Bei den Mavs stellte sich - wenn auch mit etwas Verzögerung - heraus, dass Doncic am besten mit klassischen Pick-and-Roll-Finishern unter dem Korb wie Daniel Gafford und Dereck Lively funktioniert.

Wie Irving gab Porzingis im Nachhinein zudem Fehler in Dallas zu. Er habe den Wert von Analytics zu lange nicht erkannt, und seine Rolle in der Doncic-zentrischem Offense als Schütze aus der Ecke 2021 gegen die Clippers nicht vollends annehmen können, verriet er J.J. Redick im Dezember 2023 im Podcast The Old Man and the Three: "Wenn ich jetzt darauf zurückschaue, hätte ich sagen sollen: Ok, wenn ihr das von mir wollt, dann werde ich das so gut wie möglich umsetzen. Aber damals war ich noch recht jung und habe dann aus Trotz Sachen gemacht wie 'Oh, jetzt gehe ich absichtlich nicht aus der Ecke.'" Dafür könne man Entschuldigungen oder Ausreden finden, "aber in dieser Serie hätte ich einen besseren Job machen können."

Kristaps Porzingis und Luka Doncic: "Wir haben uns sehr gut verstanden"

Sportlich gesehen, das betonen beide Seite nahezu unermüdlich, habe es einfach nicht gepasst in der Partnerschaft zwischen Porzingis und Doncic. "Es gibt Situationen im Spiel, wenn man sich nicht sofort ausspricht, dann bleibt das im Hinterkopf und fängt an zu schwelen. Ich glaube, das ist bei uns passiert, aber wir beide haben daraus gelernt", erklärte KP im Oktober 2022 bei ESPN.

Für die wieder angedichteten Probleme, die es zwischenmenschlich gegeben haben soll, fehlt es aber schlicht an stichhaltigen Beweisen. Dass es auf dem Parkett nicht immer passt, muss schließlich nicht heißen, dass man sich nicht ausstehen kann. "Es gibt keine Probleme. Wir haben uns sehr gut verstanden und hingen auch zusammen rum. Luka ist ein cooler Typ, total entspannt", ließ Porzingis wissen. Überhaupt verstünden sich Europäer in der NBA eigentlich immer gut: "Wir hatten viele gute Momente. Es ist nicht so gelaufen wie erwartet, das passiert eben manchmal. Alle haben mich in Dallas sehr gut behandelt. Es ist einfach Teil des Geschäfts."

Doncic selbst sieht es ähnlich. "Keine Ahnung, woher er das wissen will", ätzte er gegen Ex-Maverick Chandler Parsons, nachdem der von "echtem Streit" zwischen Luka und KP gesprochen hatte. Man habe "ein gutes Verhältnis. Ich weiß nicht, warum Leute das Gegenteil behaupten."

Als Irving und Porzingis beinahe gemeinsam für die Knicks spielten

Sowohl Irving als auch Porzingis werden heute Nacht also von ihren ehemaligen Mitspielern durchaus warm empfangen werden - oder zumindest so warm wie eben möglich, wenn man gegeneinander um den Titel spielt. Beide schauen mit etwas Reue auf ihre Zeit beim ehemaligen Team zurück, beide könnten in den Finals für ihr aktuelles Team zum X-Faktor werden. Nur Kyrie muss jedoch in fremder Halle den Zorn des Publikums fürchten. Wie gut er damit umgehen kann, wird sich zeigen, doch die Statistik spricht zumindest gegen ihn: Seit er Celtics-Maskottchen Lucky sprichwörtlich "mit Füßen trat", hat er von zehn Spielen gegen Boston kein einziges gewinnen können.

Übrigens: Zu einem Duo Irving-Porzingis hat in der Vergangenheit nicht viel gefehlt. Vor seiner Unterschrift bei den Nets dachte der Point Guard nämlich tatsächlich an einen Wechsel in den Big Apple: "Mit Porzingis zusammenzuspielen, das war eine große Sache", verriet er nach einem Spiel im Madison Square Garden im Oktober 2018: "Ich habe lange über New York nachgedacht."

Wie das funktioniert hätte, darüber kann man nur spekulieren. Im Nachhinein werden beide ganz froh sein, dass daraus nichts wurde. Schließlich haben sie - wenn auch mit etwas Verzögerung - endlich ihren idealen Platz gefunden.

NBA Finals: Dann startet Celtics vs. Mavericks

(E1) Boston Celtics - (W5) Dallas Mavericks

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärts
17. Juni (Fr)2.30 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
210. Juni (Mo)2 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
313. Juni (Do)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
415. Juni (Sa)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
5*18. Juni (Di)2.30 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
6*21. Juni (Fr)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
7*24. Juni (Mo)2 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
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