Dirk Nowitzki bescherte dem DBB in seiner aktiven Zeit einige goldene Jahre, auch wenn es letztlich nie zum ganz großen Wurf reichte. Als Höhepunkte gelten noch heute die Silbermedaille bei der EM 2005 in Slowenien und auch die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2008 in Peking, als der deutsche NBA-Star sogar Fahnenträger war.
Das deutsche Team erfüllte die hohen Erwartungen in China jedoch nicht. Nach der Vorrunde und einer unglücklichen Niederlage im vorletzten Gruppenspiel gegen Gastgeber China war bereits frühzeitig Schluss. Für das Turnier in Peking hatte der DBB Nowitzki mit Chris Kaman extra einen NBA-Center an die Seite gestellt, seine Rekrutierung war kurios und entwickelte sich zu einem echten Krimi.
Der Clippers-Big war im legendären 2003er-Draft mit LeBron James, Dwyane Wade, Carmelo Anthony und Chris Bosh an sechster Stelle ausgewählt worden und war über die Jahre zu einer Double-Double-Maschine gereift. Der Big Man war kein Superstar, aber ein bunter Vogel, der in seiner Freizeit auf alles schoss, was ihm vor die Flinte geriet.
Chris Kaman: Ein Interview bringt ihn aufs DBB-Radar
Dass Kaman bei Olympia an der Seite von Nowitzki auflaufen würde, glaubte dieser Anfang 2008 wohl selbst nicht. Den Anstoß für das Projekt Kaman für Deutschland gab der deutsche Journalist Dean Walle, der im Januar 2008 ein Interview mit dem Clippers-Mann für die FIVE führte.
"Ich habe das Interview mit Chris damals in der Trainingshalle der Clippers geführt", erinnerte sich Walle gegenüber SPOX. "Dabei habe ich ihn auf seinen Nachnamen angesprochen. Er sagte, dass er deutsche Vorfahren habe." Auch die Frage nach der Nationalmannschaft fiel und Kaman erklärte seine Bereitschaft - wenn Nowitzki auch dabei sein würde.
Für den Dirkster war dies selbstverständlich, schließlich war Olympia neben einem NBA-Titel das Nonplusultra. Qualifiziert waren die Deutschen aber noch nicht, in Griechenland musste bei einem Turnier erst noch das Ticket für Peking gelöst werden.
Um das zu schaffen, nahm der DBB Kontakt zu Kaman auf, auch bei Walle wurde noch einmal nachgehakt. "Ich habe dann noch mal mit Bundestrainer Dirk Bauermann gesprochen und noch einmal versichert, dass Chris Kaman es ernst meint", sagte Walle.
Chris Kaman: Fehl-Diagnose beeinflusst Kindheit
Kaman war dabei nicht der typische NBA-Spieler. Er wuchs auf einer Farm in Michigan auf, früh wurde bei ihm ADHS diagnostiziert. Der junge Chris schluckte Unmengen an Pillen und fühlte sich aufgrund der Tabletten oft müde und schlapp.
Erst 2007 stellte ein anderer Arzt fest, dass er nicht ADHS, sondern eine Angststörung besitze. Dadurch arbeite sein Gehirn so schnell, dass er schnell Dinge vergaß. So konnte sich Kaman teils einfachste Spielzüge nicht merken, erst mit Hilfe eines Neurologen schaffte er es, seine Denkprozesse zu verlangsamen.
Dass aus ihm trotzdem ein guter NBA-Spieler wurde, der 2010 sogar ins All-Star-Team gewählt wurde, grenzt dabei fast schon an ein Wunder, ähnliches lässt sich auch über seine Einbürgerung sagen.
Chris Kaman: Urgroßeltern wanderten nach Michigan aus
Für den DBB waren Einbürgerungen kein Neuland mehr. Schon für die EM 2001 in der Türkei hatte der Verband Nowitzkis Kontakte in der NBA genutzt und dessen Mavs-Mitspieler Shawn Bradley eingebürgert. Der 2,29-Meter-Mann wurde aber im Gegensatz zu Kaman in pfälzischen Landstuhl geboren und hatte obendrein eine deutsche Mutter.
Und Kaman? Dessen Urgroßeltern waren vor dem ersten Weltkrieg aus Norddeutschland nach Michigan gepilgert, Kaman selbst sprach nur ein paar Brocken Deutsch. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Mission, dass der Center seine Einbürgerungsurkunde bekommen würde. Thomas Bach (damals Präsident des DOSB) und DBB-Boss Ingo Weiss argumentierten bei Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, dass Kamans Einbürgerung ein Fall von übergeordnetem nationalen Interesse sei.
Der Minister stimmte dem zu und so wurde Kaman nach langem Hin und Her Deutscher, obwohl er das wichtigste Kriterium - ein mindestens dreijähriger Wohnsitz in Deutschland - nicht erfüllte. Auf Gegenliebe stieß das nicht überall, zahlreiche Medien kritisierten die Entscheidung und auch innerhalb der Mannschaft war man sich über Kaman uneins, wie der damalige Nationalspieler Demond Greene gegenüber SPOX verriet.
Für Greene hätten es durchaus auch andere Spieler verdient gehabt, vor allem diese, welche hauptverantwortlich für die Qualifikation waren. Kaman stieß erst zum letzten Qualifikations-Turnier in Athen zum Team, dort machte der DBB die Reise nach Peking endgültig perfekt.
Chris Kaman: Hohe Versicherungssumme
Dass Kaman aber wirklich einsatzbereit war, wurde zur Zitterpartie. Zwar kam am 2. Juli von den deutschen Behörden das Okay, doch mit Zeitverschiebung erhielt Kaman erst einen Tag später im deutschen Konsulat in Los Angeles seinen Pass. Das grüne Licht für einen Einsatz fehlte dennoch und wurde durch den US-amerikanischen Unabhängigkeitstag weiter verzögert.
Es gab weiter Probleme mit der Versicherung, letztlich musste der DBB dafür satte 100.000 Dollar berappen. Diese Summe war doppelt so hoch wie die von Nowitzki, weil Kaman im April böse umgeknickt war. Letztlich kam Kaman aber doch noch rechtzeitig und konnte in Griechenland eingesetzt werden.
"Ich fand es in Ordnung, Kaman zu holen, als es die Chance gab", sagte Greene zu SPOX, der aber auch noch einmal betonte, dass er sicher sei, dass der DBB auch ohne den NBA-Center die Quali geschafft hätte. "Wir hatten mit Patrick Femerling, Jan Jagla und dem jungen Tim Ohlbrecht sowieso einige gute Big Men im Kader. Man kann es sehen, wie man will. Beide Varianten waren gut für den deutschen Basketball."
Chris Kamans Statistiken für Deutschland
Turnier | Spiele | Minuten | Punkte | FG% | Rebounds | Blocks |
Olympia 2008 | 5 | 19,5 | 10,4 | 48,8 | 6,0 | 0,4 |
EM 2011 | 8 | 27,9 | 15,5 | 53,9 | 10,0 | 1,8 |
Chris Kaman: Der Vater war dagegen
Das Ergebnis war hingegen eher unbefriedigend, auch wenn sich Kaman nahtlos in das Team integrierte. "Er war ein toller Teamkollege, es war lustig mit ihm", befand Greene, der Kaman aber auch als launischen Typen beschrieb. In einer Hammergruppe mit den USA, Spanien, Griechenland und Gastgeber China reichte es nur zum fünften Platz.
Kaman sollte erst drei Jahre später noch einmal für den DBB auflaufen, als es bei der EM in Litauen wieder um eine mögliche Olympia-Qualifikation ging. Auch diesmal wurde das Ziel nicht erreicht, auch wenn Kaman starke Leistungen zeigte und im Schnitt 15 Punkte, 10 Rebounds und 2 Blocks auflegte.
Übrigens: Kamans Vater LeRoy hielt sehr wenig von den Ambitionen seines Sohnes, wie Kaman vor Olympia verriet. So gab Kaman an, dass sein Dad ihn nicht anfeuern werde. "Du bist amerikanischer Staatsbürger und kein Deutscher." Für zwei Turniere war es Kaman aber dann doch.