Dieser Artikel erschien ursprünglich im Mai 2020.
Als Anfernee "Penny" Hardaway am Abend des 27. Mai 1996 noch die Hände von Michael Jordan schüttelt, ist sein Teamkollege Shaquille O'Neal schon längst auf dem Weg in die Katakomben. Der 2,16-Meter-Schrank schlurft mit hängendem Kopf Richtung Kabine, dicht gefolgt von dem dunklen Schatten einer 0-4-Pleite in den Eastern Conference Finals gegen die Chicago Bulls.
In diesem Moment denkt wohl niemand, dass dieses Bild das letzte von O'Neal im Magic-Trikot sein würde. Womöglich nicht einmal der Center selbst, sicherlich nicht Hardaway und erst recht nicht die Magic-Fans.
Die Anhänger der damals noch jungen Franchise aus Florida träumen in dieser Nacht der Enttäuschung vielmehr von weiteren erfolgreichen Saisons in der Zukunft, von tiefen Playoff-Runs und von Championships. Vom dominantesten Center seiner Ära und und einem der spektakulärsten Point Guards der Dekade.
Die Realität nach 1996 ist jedoch eine andere. Shaq räumt in Purple-and-Gold anstatt im Nadelstreifen-Look eine Larry O'Brien Trophy nach der nächsten ab. Die Karriere von Hardaway kommt nach einer schweren Knieverletzung nie richtig zur Entfaltung.
Mit der Niederlage gegen die Bulls an diesem Juni-Abend ist die Dynastie der Orlando Magic in den 1990er-Jahren vorbei, bevor sie richtig begonnen hat.
Der Beginn der Shaq-Ära bei den Orlando Magic
Gerade einmal sieben Jahre zuvor werden die Magic erst aus der Taufe gehoben. Im Rahmen der Liga-Erweiterung 1989 von 25 auf 27 Teams bekommt Florida seine zweite NBA-Franchise. Wie üblich für ein Expansion-Team, sind die ersten Jahre der Magic in der Association nicht von Erfolg geprägt. Das ändert sich aber 1992 schlagartig.
Glück in der Lottery beschert Orlando, im Vorjahr das Team mit der zweitschlechtesten Bilanz, den ersten Pick. Für den Fall der Fälle hat der damalige General Manager Pat Williams bereits ein Magic-Trikot mit fünf Buchstaben unter seinem Tisch platziert, wie jedes andere Team in der Lottery auch. Die Aufschrift? "O'Neal".
Es gibt keinen Zweifel, dass der Center der Louisiana State University als erstes über die Ladentheke gehen wird, und so kommt es auch. Mit dem unter den Körben wütenden Rookie of the Year holt Orlando 1992/93 41 Siege bei 41 Niederlagen. Erstmals in der Franchise-Geschichte entgehen die Magic einer negativen Bilanz, verpassen jedoch die Playoffs, weil die Pacers mit der gleichen Bilanz im direkten Duell mit Orlando ganze 5 Punkte mehr erzielen (444:439).
Orlando Magic: Glück in der Lottery - und eine Überraschung
Wie im richtigen Leben liegen aber auch in der NBA Leid und Glückseligkeit ganz nah beieinander. Während Indy in der ersten Playoff-Runde gegen die Knicks rausfliegt, finden sich die Magic in der Lottery wieder. Was anschließend passiert, beschreibt Williams später gegenüber nba.com wie folgt: "Das war ein Wunder. Die Basketball-Götter haben uns in dieser Zeit sehr intensiv zugelächelt."
Nur auf einem der 66 Ping-Pong-Bälle in der Lotterie ist das Magic-Logo aufgraviert, eine 1,5-prozentige Chance auf den ersten Pick. Bis heute ist es der unwahrscheinlichste Gewinn der Lottery aller Zeiten.
In Orlando steigt in den Wochen vor dem Draft die Vorfreude auf ein potenzielles Big-Men-Duo Shaq und Chris Webber. Als die Magic am Tag der Entscheidung tatsächlich den 20-Jährigen aus Michigan als Nr.1-Pick verkünden, frohlocken die Fans auf einer Draft-Party. Als Williams kurz darauf jedoch auf der Bühne einen Trade publik macht, wollen sie "eine Revolte".
Penny Hardaway: Der nächste Magic Johnson?
Statt mit Webber und Shaq in eine neue Ära zu starten, tauschen die Magic den Big für drei zukünftige Erstrundenpicks und den dritten Pick 1993 der Golden State Warriors ein: Anfernee Hardaway. Dies geschieht wohl auch auf Anraten von O'Neal, der ein Jahr zuvor gemeinsam mit Penny für den Film "Blue Chips" vor der Kamera stand.
Hardaway hinterlässt damals nicht nur beim Big Diesel Eindruck, sondern auch bei mehreren Pre-Draft-Workouts bei den Magic. "Ich wollte unbedingt nach Orlando", sagte der viermalige All-Star Jahre später im Podcast All the Smoke. "Ich wollte unbedingt mit Shaq spielen. Ich habe an eine Magic-und-Kareem-ähnliche Situation gedacht."
Tatsächlich fühlt sich der eine oder andere Experte im 2,01 Meter großen Point Guard an Lakers-Legende Magic Johnson erinnert. Nicht nur aufgrund der Größe, auch wegen Pennys Court Vision und seinen Fähigkeiten als Passer. Zusätzlich besitzt Hardaway beeindruckende Athletik und ein Flair auf dem Parkett, dass ihn zu einem der spektakulärsten Spieler der Liga macht.
In Verbindung mit der Dominanz von Shaq entsteht in Orlando eins der besten Duos der Liga, die Magic bereuen ihre Draft-Entscheidung nicht. Nach dem Rücktritt von Michael Jordan im Herbst 1993 scheint zudem der Weg zu einem Titel so offen wie lange nicht mehr. Die Magic sind bereit, dieses Machtvakuum zu füllen.
Der Aufstieg der Shaq/Penny-Magic
Im ersten gemeinsam Jahr springen für Shaq und Penny 50 Siege und Platz vier im Osten raus, nach einem 0-3-Sweep in der ersten Runde gegen die Pacers ist jedoch früh Schluss. Das junge Magic-Team ist noch zu grün hinter den Ohren, es fehlt an Erfahrung. Die kommt in der folgenden Free Agency in Person von Horace Grant.
Nach seinem Threepeat mit den Bulls gibt der Big Man den Magic nun eine neue Dimension. Mit Grant, Shaq, Penny und dazu starken Rollenspielern wie Nick Anderson oder Dennis Scott steigert Orlando seine Siegesausbeute in der regulären Saison 1994/95 auf 57, gut genug für den Top-Seed im Osten.
Es scheint sich nur ein Problem anzubahnen. Im März 1995 schockt Jordan nach seiner Baseball-Auszeit mit einem Fax nicht nur die Magic, sondern die gesamte Sportwelt: "I'm back."
"Nr. 45 ist nicht Nr. 23": Die Magic stoppen MJ ...
Nach einem 3-1-Sieg in Runde eins gegen die Celtics warten in Runde zwei tatsächlich MJ und die Bulls auf Orlando. Doch Jordan ist noch nicht der Alte. "Nr. 45 explodiert nicht so wie es Nr. 23 tat", bringt es Anderson, der mit einem Steal gegen MJ Spiel 1 zugunsten der Magic entscheidet, auf den Punkt.
Jordan trägt nach seinem Comeback seine Baseball-Trikotnummer, doch "Nr. 45 ist nicht Nr. 23. Gegen Nr. 23 hätte ich das nicht machen können", so Anderson. Der Stachel sitzt. Jordan kommt in der nächsten Partie mit seiner alten Rückennummer und 38 Punkten, 7 Rebounds, 3 Assists, 4 Steals sowie 4 Blocks zurück. Chicago gleicht die Serie aus, doch MJ und die Bulls können ihre alte Dominanz noch nicht wieder abrufen.
Stattdessen wütet O'Neal mit 24,3 Punkten und 13,2 Rebounds im Schnitt in der Zone, Hardaway steuerte 18,5 Zähler sowie 7,5 Vorlagen bei und Grant rächt sich mit 18 und 11 an seinem alten Arbeitgeber. Nach sechs Spielen sind die Bulls tatsächlich bezwungen, es ist das einzige Mal in sieben Anläufen in den Jahren nach 1990, dass Jordan eine Playoff-Serie verliert.
Der Big Aristotle soll sich Jahre später im Interview mit GQ an diese Serie als einen der denkwürdigsten Momente der Magic-Playoffs 1995 erinnern, dabei geht es für das Team aus Florida noch weiter. Nach einer 7-Spiele-Schlacht gegen die Pacers erreicht Orlando nach nur sechs Jahren der Existenz erstmals die Finals gegen den Titelverteidiger aus Houston.
Die Magic und der Freiwurf-Wahnsinn
Es ist der Höhepunkt der Magic-Glückseligkeit, das Leid wartet allerdings keine drei Tage entfernt. Was in den finalen Sekunden von Spiel 1 der Finals passiert, bleibt wohl für immer unerklärlich. 8,5 Sekunden vor Schluss führen die Magic mit 110:107, nach einem Foul marschiert Anderson (Freiwurfquote in der regulären Saison: 70,4 Prozent) an die Linie, um den Erfolg in trockene Tücher zu bringen. Stattdessen: zwei Fehlwürfe.
Anderson schnappt sich sogar den Offensiv-Rebound, wird erneut gefoult, geht erneut an die Linie. Doch das Resultat bleibt das gleiche. Auf die vier vergebenen Freebies antworten die Rockets mit einem Buzzer-Beater von Kenny "The Jet" Smith und gewinnen in der Verlängerung.
"Es hatte den Anschein, als ob wir unseren Spirit nach dem ersten Spiel verloren hätten", sagte Hardaway rückblickend in der GQ. "Wir waren jung und haben uns davon nicht mehr komplett erholt." Zwar wehren sich Shaq (28 & 12,5 Rebounds) und Penny (25,5 und 8 Assists) nach Kräften, von den Rollenspielern kommt aber zu wenig. Die Magic werden in den Finals gesweept.
... und Michael Jordan stoppt die Shaq/Penny-Magic
Trotz der bitteren Pleite scheint die Zukunft der NBA den Magic zu gehören. Zum Zeitpunkt der Finals ist das Superstar-Duo jeweils 23 Jahre alt. Superman an der Seite von Penny, der am Ende der Saison in sein erstes von insgesamt drei All-NBA-Teams gewählt wird (95 & 96 First Team, 97 Third Team). Wer soll die Shaq/Penny-Magic stoppen?
Die kurze Antwort: MJ. Zwar ist die Wahrheit viel komplizierter, das verfrühte Ende der Magic-Dynastie leiten aber doch die Bulls ein. Ohne einen lange Zeit verletzten Shaq holt sich Orlando in der nächsten Saison 60 Siege (bis heute Franchise-Rekord), vor allem dank Hardaway, der langsam aber sicher auf seinen Zenit zusteuert und im MVP-Rennen auf Platz drei landet.
Das Problem? Jordan und die Bulls sind zurück in beängstigender Verfassung. Jordan arbeitet den gesamten Sommer über an seinem Spiel, dazu haben er und Scottie Pippen nun Dennis Rodman als Grant-Ersatz an ihrer Seite. Orlando muss sich mit Rang zwei im Osten hinter den 72-10-Bulls begnügen, in den Conference Finals kommt es zum direkten Duell.
Erneut enttäuschen Shaq und Penny nicht. Zusammengenommen legt das Duo sogar mehr Zähler (52,5) auf als Jordan und Pippen (48). Doch spätestens nachdem sich Grant in Spiel 1 am Ellbogen verletzt und für die restlichen Partien ausfällt, reicht das nicht mehr. Ein weiterer Sweep beendet die Saison der Magic.
Die Statistiken von Shaq und Penny bei den Magic
Name | Saisons | G / MIN | Punkte | Rebounds | Assists | Blocks/Steals | FG% |
O'Neal | 4 | 295 / 37,8 | 27,2 | 12,5 | 2,4 | 2,8 Blocks | 58,1 |
Hardaway | 6 | 369 / 37,2 | 19 | 4,7 | 6,3 | 1,9 Steals | 47,2 |
Shaq in der Free Agency: Knausrige Magic - spendable Lakers
Schon kurz nach jenem 27. Mai 1996, als Orlando mit 101:106 den Bulls ein letztes Mal unterliegt, rückt der Fokus der Magic-Fans auf die Zukunft. Der Rookie-Deal von O'Neal läuft aus, Sorgen machen sich in Florida zunächst die wenigsten. Der Diesel will verlängern - die Magic müssen nur ein ordentliches Angebot auf den Tisch legen.
In Augen der Team-Verantwortlichen kommt dies in Form eines Vierjahresvertrags über 54 Millionen Dollar. Viel zu wenig. Vor allem, nachdem Alonzo Mourning und Juwan Howard gleichzeitig deutlich besser dotierte Verträge mit über 100 Mio. Dollar über sieben Jahre in Miami beziehungsweise Washington unterschreiben.
Shaq stellt sich einen neuen Vertrag in ähnlichen Spähren vor, doch Orlando versucht die Forderungen seines Star-Spielers herunterzuhandeln, die Magic kritisieren in Gesprächen seine Defense und sein Rebounding. Der Diesel fühlt sich auf den Schlips getreten, wie sich der ehemalige Spieleragent Joel Corry später bei CBS Sports erinnert.
Das nutzen die Los Angeles Lakers gnadenlos aus. GM Jerry West präsentiert Shaq einen Siebenjahresvertrag für 120 Mio. Dollar und schnappt ihn den Magic vor der Nase weg. Pech für Orlando: Im Jahr zuvor wurde die Restricted Free Agency aus dem CBA gestrichen und erst 1998 wieder eingeführt. Ansonsten hätte das Team mit dem Angebot der Lakers gleichziehen können.
Shaq und Penny bei den Magic: Ein Top-Fünf-Duo?
Stattdessen ist die Shaq-Ära nach nur vier Jahren in Orlando schlagartig Geschichte. Ohne seinen dominanten Partner kann auch Hardaway trotz individuell guter Leistungen keinen allzu großen Schaden mehr mit den Magic anrichten. Als er sich 1998 auch noch eine schwere Knieverletzung zuzieht, kommt er im Anschluss nie mehr an sein altes Niveau heran.
Statt zu einer echten Dynastie heranzureifen, verblasst das für immer unvollendete Shaq/Penny-Team der Magic zusehends in den Annalen der Association und wird gerne vergessen. Was bleibt ist die Frage: Was wäre wenn?
"Wir hätten ein Top-Fünf-Duo aller Zeiten sein können", ist sich Hardaway sicher. Und noch viel wichtiger: "Ich habe das Gefühl, wenn Shaq geblieben wäre, hätten wir mehrere Championships gewonnen", meint Penny im Interview mit Hoopshype im März 2020.
Bis heute bleibt das für die Magic-Fans nur ein Traum.