Gab es intern Probleme bei den Toronto Raptors?
Die Raptors waren gewillt, es auszuprobieren und Leonard dabei zu schützen, indem sie ein in diesem Ausmaß selten gesehenes "Load Management"-Programm für ihn aufstellten, das unter anderem keine Back-to-Backs vorsah - insgesamt stand Leonard so in der Regular Season nur 60mal auf dem Court.
In diesen Spielen lieferte er zwar weitestgehend überragend ab, trotzdem war es für das restliche Team wohl nicht leicht, oft nicht zu wissen, ob der beste Spieler dabei sein würde. "Es ging in unserer Saison so viel rauf und runter - hinter den Kulissen", sagte Leonard nun vielsagend bei ESPN. "Man sieht daran, dass wir hier eine gute Gruppe von Leuten haben: Nichts davon kam raus. Ihr in den Medien wusstet nicht, was los war."
Worum es konkret ging, wollte er nicht ausführen, die restlichen Raptors auch nicht. Es spielte letztendlich auch keine Rolle; das Load Management wurde während der Saison durchaus kritisch gesehen, es hat sich in den Playoffs aber offensichtlich ausgezahlt und den Raptors Recht gegeben.
Kawhi Leonard spielte Playoffs für die Ewigkeit
Niemand drückte dieser Postseason so sehr seinen Stempel auf, Leonard ist nicht nur Finals-MVP, er wäre auch der "Playoff-MVP" gewesen, wenn es diesen Titel geben würde. Gegen Philly entschied er zwei Spiele per Gamewinner, unter anderem das siebte mit einem der denkwürdigsten Buzzerbeater der NBA-Geschichte. Gegen Milwaukee nahm er das direkte Duell gegen den wahrscheinlichen MVP der Regular Season an und stellte diesen eindeutig in den Schatten.
Und nun also das Meisterstück. Während Kawhi in Spiel 6 für seine Verhältnisse unauffällig auftrat, legte er vor allem in Spiel 4 eine Leistung für die Ewigkeit hin: 36 Punkte und 0 Turnover in einem Auswärtsspiel hatte in den Finals zuvor lediglich Kevin Durant geschafft. Auch in dieser Serie war Leonard klar Torontos Bester, auch wenn Hubie Brown Fred VanVleet als Finals-MVP notierte.
Dass Leonard dabei selbst seit Wochen angeschlagen war, fiel vor allem deshalb unter den Tisch, weil die Raptors das Thema so klein wie möglich hielten - bei vielen Aktionen war es dennoch offensichtlich, dass Leonard Explosivität fehlte und er auf die Zähne beißen musste. Die Vorstellung, dass dieser Typ irgendwelche Verletzungen "vorgetäuscht" hätte, schien dabei absolut lächerlich.
Kawhi Leonard: Vom "Fun Guy" zum "Board Man"
Leonard wirkte vielmehr wie jemand, der die Chance auf einen weiteren Titel sah und diese mit aller Macht an sich reißen wollte, so wie er bisweilen Steals und vor allem Rebounds an sich reißt. Apropos Rebounds - nach dem Spitznamen "Fun Guy" nach seiner denkwürdigen Vorstellungspressekonferenz vor der Saison kam in den Playoffs noch der neue Titel "Board Man" dazu, nachdem The Athletic eine Oral History zu seiner College-Zeit veröffentlichte.
Ein Auszug daraus: "Wenn er einen Rebound geholt hat, sagte er: 'Give me that' oder 'Board man' oder ‚Board man gets paid.'", wurde sein damaliger Mitspieler LaBradford Franklin zitiert, und Coach Justin Hutson bestätigte: "Ich habe das bestimmt 50mal gehört. 'Board man. Ich bin ein Board man.' Das hat er gesagt. Absolut. 'Ich bin ein Board man. Yeah, ich bin ein Board man. Board man gets paid.' In solchen Sätzen hat er gesprochen."
NBA Twitter fällt auf Fake-Anekdote rein
Selbstverständlich verbreitete sich dies schnell über NBA-Twitter, ebenso wie seine Version von "Trash-Talk" (am College sagte er gern "Bucket" in der Offense und einfach nur "No" in der Defense) oder die Anekdote, wie er bei einem Team-Dinner in einem Nobelrestaurant mit den Spurs zwölf mitgebrachte rote Äpfel verspeiste, mit Messer und Gabel wohlgemerkt.
Letztere war satirisch gemeint und nicht echt - trotzdem war alle Welt bereit, sie zu glauben. Zur Legende von Kawhi schien sie zu passen, und nur darum ging es. Der vielleicht beste Spieler der Welt ist nach nun acht Saisons immer noch ein Mysterium, ein Spieler, über den man extrem wenig weiß.
Allen voran weiß man immer noch nicht, wo er nächste Saison spielt. Noch nie hat ein Spieler seines Kalibers einen amtierenden Champion verlassen. Andererseits tanzt er eben zu seinem eigenen Beat und könnte das Machtgefüge in der Liga damit wieder völlig auf den Kopf stellen. Nicht zuletzt kann er bei seinem aktuellen Team den Unterschied zwischen "Repeat" und "Rebuild" ausmachen.
Kawhi Leonard: Der Board Man wird bezahlt
Ob Toronto den Trade deshalb bereut? Natürlich nicht. Kawhi hat gezeigt, dass er alles Wert ist, alle Spekulationen, alle Risiken, vielleicht sogar alle Kopfschmerzen. Mit noch immer erst 27 Jahren hat er seine besten Jahre wohl noch vor sich und ist schon jetzt auf Kurs zur absoluten Legende. Zweimaliger Champion, zweimaliger Defensive Player of the Year, zweimaliger Finals-MVP. Fun Guy.
Der NBA-Sommer liegt somit zu einem nicht unerheblichen Teil in seiner riesigen Hand. "Board man gets paid", war einst seine Devise, und das steht außer Frage. Seine Vorgeschichte mit den Spurs wird absolut niemanden davon abhalten, ihm einen Maximalvertrag anzubieten, der die finanziellen Mittel dafür hat. Es ist nur noch offen, wessen Angebot der Board Man im Sommer annehmen wird.
"Ich denke darüber noch nicht nach. In diesem Moment bin ich ein Raptor", sagte Leonard bei ESPN. "Und dann sehen wir, was passiert." Man darf gespannt sein.