Sie waren der erste Trainer von Kobe. Wie erinnern Sie sich an die ersten beiden Jahre, als er mit 18 in die Liga kam?
Harris: Kobe war ein Teenager. Er war physisch noch gar nicht entwickelt. LeBron hatte bereits den Körper eines 30-Jährigen, als er so jung in die NBA kam. Er war ein echter Mann. Davon war Kobe weit entfernt. Zum Ende seiner Rookie-Saison war er aber schon ein fester Bestandteil der Rotation und im zweiten Jahr wäre er fast schon Sixth Man of the Year geworden, nur Danny Manning landete vor ihm. Mit 15 Punkten pro Partie war er nach Shaq und Eddie Jones unser drittbester Scorer.
Wie war Ihre Beziehung zu Kobe? Nach seinem 62-Punkte-Spiel gegen die Mavs 2005 sagte er, dass Sie seine Motivation dafür gewesen seien. Er habe Sie gehasst als Rookie.
Harris: Das war ein Scherz von Kobe. Das hat er mir auch gesagt. Wenn er es wirklich so empfunden hätte, warum hat es dann bis 2005 gedauert, bis er dieses Spiel gemacht hat? (lacht) Da hätte es vorher schon einige Möglichkeiten gegeben. Ich habe nie irgendwelche Animositäten gespürt. Es gab auch keinen Grund dafür. Es wird auch gerne vergessen, dass ich Eddie Jones als Starting Shooting Guard hatte, als Kobe in die NBA kam. Eddie war ein All-Star. Es war auch nicht wirklich möglich, Eddie und Kobe mehr zusammenspielen zu lassen, das hätte nicht funktioniert. Da hätten wir einige Probleme bekommen im Rebounding oder in der Defense. Kobe hat genug Spielzeit bekommen.
Del Harris: "Mir hat der Basketball in den 80ern besser gefallen"
Aber Kobe war ja ein unglaublich ehrgeiziger Typ. Es gab sicher Momente, in denen er unzufrieden war, oder?
Harris: Natürlich. Einmal sagte er mir, dass ich Shaq aus dem Low Post nehmen soll. Er könne jeden Spieler der Welt im Eins-gegen-eins schlagen. Ich sagte ihm: "Kobe, dieser Moment, wenn wir das so machen, wird vielleicht eines Tages kommen, aber jetzt sicher nicht. Du kannst im Eins-gegen-eins jeden schlagen, das weiß ich, aber du kannst es nicht effizient genug. Jeder will dich spielen sehen, aber ich werde dir nichts schenken. Du musst es dir verdienen. Du musst es wie ein Championship-Match im Boxen sehen. Du musst ihn K.o. schlagen, Kobe! Du musst ihn ausknocken, wenn du Starter sein willst. Solange du das nicht machst, wirst du nicht starten. Aber wenn du es schaffst, wirst du den Respekt von jedem bekommen." In seinem dritten Jahr war es dann soweit.
Wenn wir uns überlegen, wie sehr sich der Basketball in der NBA über die Jahrzehnte verändert hat. Wie blicken Sie auf diesen Wandel?
Harris: Mir persönlich hat der Basketball in den 80ern besser gefallen. Wie die großen Teams damals Basketball zelebriert haben, wie der Ball und die Spieler bewegt wurden, war großartig. Die Betonung des Dreiers hat heute dazu geführt, dass manche Spieler, Coaches oder Teams denken, dass es besser ist, je mehr Dreier du schießt. Das stimmt aber nicht unbedingt, du musst schon noch effizient dabei sein. Ein Spieler, der eine Dreierquote von unter 32 Prozent hat, sollte keinen Dreier nehmen, nur weil er offen ist. Sie sollten den Dreier nur im Notfall am Ende der Shot Clock nehmen.
Del Harris über sein Treffen mit Barack Obama: "Sie sind unser Point Guard"
Wie hat sich der Einfluss von Europa auf die NBA gewandelt?
Harris: Früher wären Scouts nie nach Deutschland geflogen, um einen talentierten Basketballer zu finden. Um einen Fußballer zu finden, ja, aber im Basketball war Deutschland nicht auf dem Radar. Heute ist es ganz egal, woher du kommst. Slowenien, Lettland, Serbien - es spielt keine Rolle. Bei den Coaches ist es dasselbe. Inzwischen können wir nicht mehr sagen, dass die besten Coaches der Welt alle in den USA arbeiten. Einige der besten der Welt sind sicher in Europa. Mich persönlich freut das extrem, weil ich diesen Sport so liebe und immer versucht habe, mein Wissen auf der ganzen Welt weiterzugeben. Bis auf Australien habe ich auf allen Kontinenten gearbeitet. Das bedeutet mir viel. Und jetzt sehe ich einen jungen Slowenen wie Luka Doncic mit 19 in die Liga kommen, der in seiner Rookie-Saison dominiert. Kobe war richtig gut mit 19, aber er hat nicht dominiert. Er war nicht der beste Spieler seines Teams. Er hat keine Triple-Doubles aufgelegt und im Schnitt 21 Punkte gemacht. Doncic steht da in einer Reihe mit Magic und LeBron. Der Junge ist phänomenal. Wenn ein Regisseur seine Story als Drehbuch vorschlagen würde, würden alle sagen, dass das ein toller Film wird, aber dass es in der Realität niemals passieren könnte.
Abschließend noch eine Anekdote: Sie haben einmal den ehemaligen Präsidenten Barack Obama getroffen. Wie kam es dazu?
Harris: Nachdem ich in Dallas als Coach aufgehört hatte und nur noch als Berater der Mavs tätig war, hat mich Vinny Del Negro kontaktiert. Er war ein guter Freund geworden und übernahm den Cheftrainer-Posten bei den Bulls, ohne vorher nur einmal in seinem Leben Trainer gewesen zu sein. Also half ich ihm. Als wir in Washington spielten, lud uns Präsident Obama ins Weiße Haus ein, er ist ja ein Hardcore-Bulls-Fan. Als ich an der Reihe war, ihn zu treffen, sagte ich ihm: "Mr. President, ich weiß, dass Sie Basketball lieben. Sie sind als Präsident der Point Guard unseres Landes. Darf ich Ihnen einen Rat geben?" Er bejahte. "Ein guter Point Guard kennt die Stärken und Schwächen seiner Mitspieler. Spielen Sie den Ball nicht an Mitglieder der Regierung weiter, wenn Sie nicht ganz sicher sind, dass sie offen sind und den Wurf auch treffen." Er hat herzhaft gelacht. Aber er verstand, was ich meinte.
Und was würden Sie dem aktuellen Präsidenten Donald Trump raten?
Harris: Hör' auf zu tweeten! (lacht)