"Der neue Star trägt Plauze" fasste der Kollege Frerks die Offseason der Minnesota Timberwolves etwas überspitzt zusammen. Natürlich waren Karl-Anthony Towns und Andrew Wiggins da bereits im Roster, doch vor allem die Verpflichtung von Tom Thibodeau als Head Coach und General Manager in Personalunion steigerte die Euphorie im kalten Minnesota ins Unermessliche. Nach einer Saison, noch immer überschattet vom Krebstod des Coaches und Architekten Flip Saunders, die viele mit enttäuschten Gesichtern zurückließ.
In Nachfolger Sam Mitchell war der Schuldige schnell gefunden. Der Head Coach musste gehen. Zu veraltet war sein Spielsystem, zu stagnierend die Offensive. Der Dreier wurde eher stiefmütterlich behandelt, stattdessen war man bedacht, Abschlüsse aus dem ineffizienten Mitteldistanzbereich zu nehmen.
Das alles sind Themen, die unter Thibs deutlich besser geworden sind: Der Distanzwurf wurde zur Waffe, im Angriff begeisterte das junge Wolfsrudel in der Mehrzahl seiner Spiele.
Doch das Problem, für dessen Lösung der ehemalige Coach der Chicago Bulls vorrangig geholt wurde, besteht weiterhin: die schwarzen Löcher in der Verteidigung. Platz 21 im Defensivrating (105,3 gegnerische Punkte pro 100 Possessions) belegt die Schwachstelle. Die Bilanz von 5-11 ist die drittschlechteste der Western Conference.
KG wird vermisst
Bereits unter Mitchell waren die Leistungen am hinteren Ende des Feldes mehr als ausbaufähig und ähnlich zum Status Quo. Was aber die Erwartungen schürte: Aus den letzten 33 Saisonspielen vergangene Saison holte Minny anständige 15 Siege. Die einfache Rechnung, dass mit einem Elite-Coach wie Thibs nun die Playoffs angegangen werden können, geht aber noch nicht auf.
Es ist richtig, dass der Plauzen-Träger ein ganz fantastischer Defensiv-Coach ist. Das hat er in Chicago, aber auch als Defensiv-Koordinator bei den Boston Celtics und den New York Knicks unter Beweis gestellt.
Was er aber im hohen Norden nicht zur Verfügung hat, sind gestandene Spieler, die eine Defense dirigieren können und das ganze Konstrukt als Klebstoff zusammenhalten. So taten es Joakim Noah bei den Bulls oder Kevin Garnett in Boston bzw. zuletzt in Minnesota.
Selbst mit 40 Jahren war KG noch in der Lage, den Wolves mit seiner schieren Präsenz die defensive Stütze zu sein, die es braucht. The Big Ticket wies das beste Defensivrating aller Wolves auf, zudem war er einer von nur drei Spielern mit einem positiven Netrating.
Trade-Gerüchte
Doch KG ist Vergangenheit, der beste Verteidiger des Teams hat im Sommer seine Karriere beendet. Im jungen Team muss Minny nun im Verbund eine anständige Defense aufs Parkett bringen, wie auch Thibodeau fordert: "Jede Mannschaft hat zwei, drei Scorer. Die setzen dich unter Druck und darauf müssen wir Antworten finden. Dafür müssen wir alle an einem Strang ziehen und diszipliniert bleiben."
Sicherlich gut tun würde dem Team ein gestandener Veteran an der Seite von Towns. KAT bringt zwar alle Skills mit, um ein herausragender Defender zu sein, doch auf der Entwicklungsstufe ist noch Luft nach oben. Frontcourt-Partner Gorgui Dieng ist zwar ein Kämpfer vor dem Herrn, aber eben auch nicht als defensiver Stopper verschrien.
Das weiß natürlich auch der neue Herrscher im Land der Wölfe. Nicht von ungefähr kursieren daher schon seit dem Draft Gerüchte, dass die Wolves gern einen junger Spieler gegen einen Routinier tauschen würden. Genannt wurden dabei ehemalige Weggefährten von Thibodeau wie Jimmy Butler oder Luol Deng, da sie das taktische Konzept des Coaches bereits kennen.
Es war keine Überraschung, dass der stets getriebene Dauer-Single Thibodeau in Minnesota schnell an seine Frustrationsgrenze stieß. Schon nach dem zweiten Saisonspiel in Sacramento begann Thibs zu motzen: "Wir müssen in allen Aspekten des Spiels härter werden", sagte er gewohnt grimmig.
Das ominöse dritte Viertel
Dabei ging es dem Coach wohl eher nicht darum, dass Spiele verloren gingen, sondern um die Art und Weise. Guten ersten Halbzeiten folgte oft ein katastrophales drittes Viertel. Kein Team agierte bislang in diesen zwölf Minuten so schlecht wie die Timberwolves. Sowohl in Offense und Defense hält Minnesota die Rote Laterne.
"Wir lernen es einfach nicht. Das stört mich extrem", sagte ein wütender Thibs nach der Niederlage gegen die Charlotte Hornets , als man das Viertel nach der Pause mit 18:37 abgab und trotz 12-Punkte-Führung zur Halbzeit wieder keinen Sieg verbuchen konnte.
Auch Towns zeigte sich nach einer Pleite gegen Boston mit ähnlichem Verlauf genervt: "Ich habe keine Lust mehr, vor die Medien zu treten und immer das Gleiche zu sagen. Der Coach stellt uns super ein und wir spielen immer nur drei Viertel guten Basketball. Wir müssen das unbedingt abstellen."
Der Rookie of the Year ist dabei eine der wenigen Konstanten im Spiel der Wolves und verrichtet jeden Abend unter dem Korb gute Arbeit. Ankreiden lassen muss sich KAT aber, dass er bisher noch zu oft in der Schlussphase abtaucht.
Wiggins' Schwankungen
Symbolisch für die Schwankungen steht dabei Andrew Wiggins. Der No.1-Pick von 2014 scorte bereits in drei Spielen 35 Punkte oder mehr, erlebte aber auch rabenschwarze Nächte wie gegen die Pelicans, als er bei 19 Würfen lediglich 2 versenken konnte.
Da Wiggins den Stat Sheet nebem seinem Scoring kaum füllt, ist ein schwacher Shooting-Abend von ihm besonders bitter. Auch er selbst stellte das bereits vor der Saison fest: "Ich bin zu groß und zu athletisch, um nur 3 Rebounds pro Spiel zu holen." In den bisherigen 16 Spielen sind es immerhin schon mal 4,1 pro Partie.
Dabei ist es vor allem der Kanadier, der in engen Spielen die Kohlen aus dem Feuer holen soll. Für den Moment scheint diese Aufgabe aber noch zu groß für den Drittjahresprofi.
Die Causa Rubio
Und dann wäre da ja noch Ricky Rubio. Der Spanier kämpft seit Beginn der Saison mit Problemen am Ellenbogen und verpasste schon einige Spiele. Doch auch mit seiner Anwesenheit schadete der Point Guard seinem Team mehr, als dass er half. 33 Prozent Wurfquote aus dem Feld, schwache Defense und ein Netrating von -11 lassen sich auch mit 7 Assists pro Spiel nicht kaschieren.
Thobodeau will aber keine Kritik an seinem Spielmacher aufkommen lassen: "Er nimmt gute Würfe, von denen viele schon reinschauen. Er wirft mit guter Balance und guter Technik. Ich habe damit kein Problem", so Thibs. Doch in einer von punktenden Guards und Spacing-Fragen dominierten Liga ist ein solcher Spielmacher nur noch schwer zu verkraften.
Entsprechend musste Rubio erstmals in der Crunchtime gegen die Warriors zuschauen. Stattdessen durfte sich der nominell dritte Point Guard, Tyus Jones, versuchen. Eventuell ein Zeichen für das Ablaufdatum von Rubio in Minnesota? Fakt ist auch, dass mit Rookie Kris Dunn ein weiterer vielversprechender Spieler bereits mit den Hufen schart. Der legt zwar bislang keine imposante Statline auf (3,7 Punkte, 2,8 Assists) und konnte in Rubios Abwesenheit nicht besonders für sich werben, erledigt seinen Job aber dennoch solide.
Gemeinsam mit Zach LaVine, Towns und Wiggins steht er für die Zukunft in Minnesota. Der Medienhype, der angesichts dieser geballten Ladung Talent entstanden war, ist trotz des schwachen Saisonstarts noch nicht ganz verebbt.
Die Vorschusslorbeeren möchte der Coach auch alsbald in Zählbares umwandeln. "Wir möchten nicht mehr lange als das Team mit viel Potenzial gelten", so Thibs: "Unsere Aufgabe ist es, uns stetig zu verbessern und komplett zu werden."
Geduld, Geduld, Geduld
Dass sich die Wolves verbessern werden, daran besetht kein Zweifel. Die Frage ist nur, wann. Die Mixtur aus kommenden Elite-Spielern und einem Elite-Coach bleibt eines der vielversprechendsten Projekte der Liga. Der Hype ist definitiv berechtigt, auch wenn das System noch ein wenig hakt und die Entwicklung langsamer vorangeht als erhofft.
Ein Platz in den Playoffs ist noch lange nicht außer Reichweite, aber die von manchem Beobachter vorausgesagten 50 Siege werden dann doch eher ein Wunschtraum bleiben. Auch in Minneapolis hat man solche Vorhersagen sicher zur Kenntnis genommen - das macht es für das junge Team nicht einfacher.
Entscheidend für den Erfolg wird sein, wie konzentriert und ruhig die Wolves ihre Mission angehen können. Denn angesichts des vorhandenen Potenzials ist der Geduldsfaden des sonst eher beschaulicheren Umfelds nicht wirklich dick. Dabei wäre gerade diese Tugend essenziell für die Weiterententwicklung des Teams.
Schon im 18. Jahrhundert schrieb der deutsche Dichter Gotthold Ephraim Lessing: "Geduld ist die Kunst, die Ungeduld zu verbergen." Vielleicht sollte diesen Spruch mal jemand über die Tür des Target Centers hängen.