Da stand er nun. Umringt von Reportern. Nicht unbedingt eine Situation, die Kawhi Leonard beschreiben würde, fragte man ihn nach seiner ganz persönlichen Wohlfühloase. Große Worte, das hat mittlerweile auch der Letzte begriffen, sind nicht Sache des Forwards. Der Pressekonferenz war Leonard noch einmal entkommen, Rede und Antwort musste er dennoch stehen. Immerhin hatten die San Antonio Spurs gerade eine der denkwürdigsten Performances der Finals-Geschichte hingelegt - mit freundlicher Unterstützung des Kawhi Leonard.
29 Punkte hatte der Forward in Spiel 3 erzielt, dazu herausragende 10 seiner 13 Würfe getroffen. Kurz: Es lief. "Ich war einfach im Angriffsmodus", gab Leonard im Anschluss zu Protokoll. Gewohnt kurz. Gewohnt knapp. Gewohnt zurückhaltend. "Ich habe versucht, früh aggressiv zu sein, einfach ein paar Würfe zu treffen, um meinen Rhythmus finden. Meine Mitspieler haben mich gefunden. Sie haben mich gut eingebunden."
"Endlich", mag sich Gregg Popovich gedacht haben. Immerhin zeigte Leonard während Spiel 3 jene Attribute, die er während der beiden vorangegangenen Partien hatte vermissen lassen. Leonard attackierte, Leonard verteidigt, Leonard nahm maßgeblich Einfluss auf das Spiel an beiden Enden des Courts.
Beschwerlicher Finals-Start
Dass er dazu in der Lage ist, wussten alle Beteiligten. Entsprechend enttäuscht reagierte die Öffentlichkeit, als Leonard die Spiele 1 und 2 mit insgesamt lediglich 18 Zählern beendete. Eine Marke, die er diesmal bereits nach 17 Minuten geknackt hatte. Es geht doch, mögen viele gedacht haben. Natürlich. Nur brachte sich Leonard zu Beginn der Finals teils selbst um seinen Rhythmus.
Zwei Mal geriet er früh in Foulprobleme, zwei Mal verbrachte er mehr Zeit auf der Bank als gewöhnlich. Zwei Mal fehlte er damit als primärer Defender des LeBron James und zwei Mal nahmen die Schwierigkeiten in der Defense Einfluss auf Leonards Offense. Er wirkte zögerlich. So zögerlich, wie ihn sonst nur fragende Reporter zu Gesicht bekommen.
"Er muss einer unserer besseren Spieler sein, sonst sind wir nicht gut genug", urteilte Coach Pop nach Spiel 3. "So ist es nun mal. Er bringt das nötige Talent mit." Man muss keine ausgedehnten Abende mit Popovich verbracht haben, um zu erahnen, dass er Leonard dies unter vier Augen bereits vor dem Auftritt in der American Airlines Arena mitgeteilt hatte.
Erinnerungen weggewischt
Dabei hätte der Swingman auch gut und gerne völlig verunsichert gen South Beach reisen können. Nicht zwingend wegen seiner überschaubaren Leistungen in den ersten beiden Spielen, schon eher aufgrund des Traumas aus dem Juni 2013. 17 Sekunden waren damals noch zu spielen. San Antonio führte mit 2. Leonard marschierte an die Linie - und hätte er beide Freiwürfe getroffen, die Spurs wären wohl Meister gewesen.
Nummer eins klatschte jedoch auf den Ring. Nummer zwei saß zwar, doch im Gegenzug landete der Ball irgendwie in Ray Allens Händen. Der Rest ist Geschichte. Wie Leonard nun, nach seiner Gala, über die Enttäuschung des vergangenen Jahres spricht, lässt tief blicken. Tief hinein in einen Spieler, dem die lauten Worte, die sonst so gern auf den Courts dieser Erde gepflegt werden, fremd sind wie Charles Barkley das Understatement.
"Deshalb sind wir hier", antwortete Leonard auf die Frage nach den Finals 2013. "Wir wissen, dass wir das Spiel weggeschmissen haben. Jetzt sind wir zurück. Wir denken nicht so über letztes Jahr. Es ist ein neues Jahr und wir versuchen, diese Serie für uns zu entscheiden."
Pop: In Zukunft das Gesicht der Spurs
Durchaus reife Worte für einen, der in vier Wochen gerade einmal sein 22. Lebensjahr vollendet. Der noch dazu gerade erst seine dritte NBA-Saison absolviert, dem gleichzeitig allerdings von Gregg Popovich in Aussicht gestellt wird, das Gesicht der San Antonio Spurs zu mimen, sobald das Triumvirat Duncan/Ginobili/Parker in den wohlverdienten Ruhestand geht.
Interessanterweise war Pop zu dieser Erkenntnis bereits 2012 gelangt. Also kurz nachdem die Spurs George Hill für den an 15. Stelle gepickten, ehemaligen Forward der San Diego State, Erazem Lorbek und Davis Bertans zu den Indiana Pacers getradet hatten - womit Popovich und GM R.C. Buford mal wieder ihr goldenes Händchen unter Beweis gestellt hatten.
Hände in Linealgröße und herausragende Defense
Sie hatten das Potential erkannt, welches in Leonard schlummerte. Seine Athletik. Seine langen Arme. Und seine großen Hände. Unglaublich große Hände, die immer wieder zur Sprache kommen, wenn von San Antonios Small Forward die Rede ist. Unglaublich große Hände, die angeblich 30 Zentimeter lang sind, so lang wie ein normalgebräuchliches Schullineal, und Fans immer wieder dazu veranlassen, mit Leonards Händen zu posieren anstatt mit dem Swingman selbst.
Diese rein körperlichen Attribute gepaart mit großer lateraler Geschwindigkeit machen aus Leonard mittlerweile einen der besten Flügelverteidiger der gesamten Liga, brachten ihm in diesem Jahr sogar eine Nominierung für das All-Defensive Second Team.
Wurftraining am Draftabend
Was ihm am Draftabend jedoch noch fehlte, war ein verlässlicher Wurf. Sein Release, seine Bewegung - all das war nicht perfekt. Also brachten die Spurs Leonard direkt vom Draft in die Halle. Unterricht mit Shooting-Coach Chip Engelland war angesagt - und die Zeit drängte. "Er kam zu uns, arbeitete drei Tage mit Chip - dann passierte der Lockout", zitiert "Yahoo!Sports"-Reporter Adrian Wojnarowski Buford. "Es steckte eine Idee dahinter. Es sollte kein reiner Drill sein."
Als solchen verstand es Leonard auch nicht. Fünf Monate vergingen, ehe der Lockout beendet war und die Spurs ihren Rookie endlich wieder in Augenschein nehmen durften. Fünf Monate, die Leonard bestens zu nutzen wusste. Er hatte sich einen verlässlichen Wurf angeeignet und damit nicht nur seinen Pfad, weg vom reinen Defender und Rebounder, hin zum vielseitigen Allrounder beschritten, sondern gleichzeitig auch seine überdurchschnittliche Arbeitsmoral unter Beweis gestellt.
Bei allem Vertrauen in Rookie und Scouting, "das war niemals vorherzusehen", gesteht R.C. Buford. Was der GM damit meint: Bereits jetzt hat sich der Swingman - natürlich - heimlich, still und, vor allem, leise zu einem der wichtigsten Puzzlestücke im System des Gregg Popovich gemausert. Trotz dreier zukünftiger Hall-of-Famer.
Kaum zu ersetzen
Ein Beleg: Als Leonard wegen eines Handbruchs 14 Partien aussetzen musste, ereilte die Spurs ihre eigentlich einzige Krise der Saison. Insgesamt sechs Spiele verlor San Antonio während der Abwesenheit des Dreiers, gewonnen wurden acht.
"Er ist unglaublich wichtig für dieses Team", gesteht auch Patty Mills. "Wenn er gut spielt, profitieren wir alle von seiner Energie und spielen ebenfalls gut." San Antonios unglaublichen lauf aus der ersten Hälfte in Spiel 3, in der die Spurs sensationelle 75,8 Prozent ihrer Würfe trafen und ein 41 Punkte starkes erstes Viertel aufs Parkett zauberten, mit "gut" abzutun, würde der Leistung der Texaner allerdings bei weitem nicht gerecht.
Noch nie in der Geschichte traf ein Team in einer Hälfte sicherer, seit 1996 führte kein Auswärtsteam zur Halbzeit deutlicher (21 Punkte). Dass ausgerechnet die Spurs dies magischen Marken aufstellten, lag einerseits natürlich an ihrem sensationellen Teambasketball, der als Gesamtkunstwerk aus Pässen, Blocks, Cuts und offenen Würfen eigentlich einen Platz im Museum of Modern Art verdient hätte.
Sugar K Leonard ist zurück
Andererseits waren da noch Danny Green, der in der ersten Hälfte seine 6 Würfe allesamt verwandelte, - und eben Kawhi Leonard. Sugar K. Leonard war endlich angekommen in den Finals. Er war nichts anderes als der beste Spieler auf dem Court. Endlich plagten ihn nicht die in Spiel 1 und 2 obligatorischen Foulproblem, endlich suchte er den Drive und endlich konnte er sich ausgiebigst LeBron James widmen.
Nur 64 Sekunden verbrachte der amtierende Finals MVP in Freiheit. Jene 64 Sekunden, in denen Leonard auf der Bank saß, während James versuchte, die Heat irgendwie ins Spiel zu bringen. Allein genutzt hat es nichts. Nachdem LeBron zunächst 6 seiner 9 Würfe getroffen, früh 16 Punkte gesammelt hatte, wollte es gegen Ende einfach nicht mehr laufen.
James mürbe gemacht
Leonard hetzte James über den Court, verteidigte intensiv und aggressiv und hatte seine schnellen Hände immer wieder im Bewegungsradius des Königs. So hatte San Antonios Swingman keinen unwesentlichen Anteil daran, dass sich James am Ende wesentlich mehr Turnover leistete als gewohnt (7).
Gemeinsam mit Green sei Leonard "der Schlüssel" gewesen, lobte dann auch Tim Duncan. "Kawhi war aggressiv. Wir haben ihm gesagt, dass er einfach weiter spielen soll. Die Foulproblematik hat ihm in den ersten beiden Spielen zugesetzt und ihn aus dem Spiel genommen." Diesmal kassierte Leonard nur 4 Pfiffe, legte dafür 29 Punkte auf - so viele wie noch nie zuvor in seiner Karriere - und gab den Spurs exakt, was sie benötigten.
Dass eine solche Leistung nur schwer zu wiederholen sein wird, wissen sowohl Spurs als auch Leonard. Dennoch scheint der Forward seinen Zugang zu den Finals gefunden zu haben. Große Worte darüber verlieren möchte er ab sicherlich nicht.