Im April 2013, also vor ziemlich genau drei Jahren, prägte Uli Hoeneß diese Formulierung "Spanische Verhältnisse". Er verwendete diesen Begriff damals als Synonym für eine Zweiklassengesellschaft innerhalb einer Liga, im speziellen dafür, dass nur zwei Teams den Ligatitel unter sich ausmachen würden.
Nun ist es so, dass die Bayern die Bundesliga seitdem nach Belieben dominieren und alle Meisterschaften gewannen - zuletzt mehr als überlegen. In Spanien dagegen konnte Atletico Madrid 2014 für eine Überraschung sorgen und sich in einem packenden "Finale" gegen Barcelona zum Meister krönen. Die Colchoneros haben sich seitdem in der Spitzengruppe fest etabliert und kämpfen auch dieses Jahr wieder um den Titel.
Auch wenn der Abstand zwischen der Spitzengruppe und dem Tabellenvierten auch in Spanien gewaltig ist, ist auch in diesem Jahr die Spannung im Kampf um den Titel wieder immens - auch wenn lange Zeit überhaupt nicht danach aussah. Davon können wir in Deutschland momentan leider nur träumen. Grund genug, sich den Meisterschaftskampf in Spanien mal genauer anzusehen.
Die Ausgangssituation:
Die drei Konkurrenten, namentlich der FC Barcelona, Atletico Madrid und Real Madrid, sind nahezu gleichauf. Barcelona ist Tabellenführer, punktgleich mit Atletico (je 82 Punkte), nur einen Punkt dahinter ist Real (81). Einen Patzer darf sich daher kein Team mehr erlauben.
Bei Punktgleichheit zählt in La Liga der direkte Vergleich, nicht die Tordifferenz. Da bereits alle direkten Vergleiche dieser drei gespielt sind, gibt es da keine Möglichkeiten mehr etwas zu ändern.
Barcelona konnte sich in beiden Vergleichen gegen Atletico mit 2:1 durchsetzen und ist daher bei Punktgleichheit im Vorteil. Im Madrider Stadtduell geht der direkte Vergleich an die Rot-Weißen, nach einem 1:1 im Hinspiel reichte ein 1:0-Sieg im Rückspiel, um sich den Vorteil zu sichern. Im Vergleich zwischen Barcelona und Real liegen die Katalanen vorne, der 4:0-Hinspielsieg reicht, um die 2:1 Rückspiel-Niederlage zu übertreffen.
Im Falle der Punktgleichheit ist Barcelona also klar im Vorteil, demnach müssen die beiden Verfolger auf einen Fehler des amtierenden Meisters hoffen.
Das Restprogramm:
Barcelona hat ein vermeintlich leichtes Restprogramm, alle Gegner sind in der unteren Tabellenhälfte angesiedelt. Zunächst geht es nach Sevilla, gegen Betis. Der Aufsteiger ist momentan auf Rang 13 und hat weder Abstiegssorgen, noch größere Ambitionen nach oben. Das dürfte auf dem Papier zwar die einfachste Aufgabe sein, doch gleichzeitig kann Betis natürlich befreit aufspielen. Danach geht es im Camp Nou gegen Espanyol ins Stadtderby. Da zählt der Tabellenstand natürlich nicht, die Aufgabe dürfte also durchaus knifflig sein. Aber gerade zuhause ist Barca eigentlich eine Macht, ein Punktverlust wäre eine große Überraschung. Am letzten Spieltag müssen die Katalanen dann nach Granada, die ihrerseits akut abstiegsgefährdet sind. Hier spielt dann natürlich auch die Konstellation für die Gastgeber eine große Rolle.
Allerdings sind neun Punkte mehr als realistisch. Der FC Barcelona hat es also in der eigenen Hand. Die Verfolger dürfen sich ihrerseits also keine Blöße geben, wenn man von einem möglichen Patzer profitieren möchte.
Real Madrid hat ein deutlich anspruchsvolleres Restprogramm. Zuerst sind die Blancos im Anoeta bei Real Sociedad San Sebastian zu Gast. Im Baskenland haben schon einige Teams Punkte gelassen, unter anderem auch der FC Barcelona, der zuletzt des Öfteren dort verlor. Anschließend kommt der zuletzt wiedererstarkte FC Valencia ins Bernabeu, ebenfalls kein Selbstgänger. Am letzten Spieltag trifft das Team von Zinedine Zidane im Riazor auf Deportivo La Coruna. Die vermeintlich einfachste Aufgabe. Real wird sich mühen müssen, um die maximale Ausbeute zu erreichen - unmöglich ist es natürlich auch nicht.
Atleti hat als einziges der drei Teams noch zwei Heimspiele. Eventuell ein Vorteil, allerdings ist Atletico besonders auswärts sehr stark: Sie sind das beste Team auf fremden Plätzen, zuhause reicht es nur für Platz vier. Zuerst kommt Rayo Vallecano zum Stadtduell ins Vicente Calderon und dann, am letzten Spieltag, Celta Vigo. Beide Aufgaben sind machbar, wobei der Tabellenfünfte aus Vigo natürlich durchaus als Stolperstein taugt. Dazwischen geht es am 37. Spieltag nach Valencia, dort trifft die Truppe von Diego Simeone auf den Tabellenletzten UD Levante. Alles andere als ein Sieg wäre schon sehr verwunderlich.
In der Gegenüberstellung scheint der FC Barcelona das einfachste Programm zu haben, ein weiterer Vorteil im Kampf um die Meisterschaft. Den beiden Madrider Teams ist es aber dennoch zuzutrauen, dass sie ohne weiteren Punktverlust ins Ziel einlaufen.
Die Form:
Der FC Barcelona scheint seine Formkrise überwunden zu haben, hat dabei aber seinen Vorsprung eingebüßt. Drei Niederlagen in der Liga (Real Madrid, San Sebastian, Valencia) und das Aus in der Champions League gegen Atletico haben den Verein schwer getroffen. Vor allem das Sturm-Trio aus Messi, Neymar und Suarez hatte in dieser Phase schwer mit sich zu ringen. Aber gerade Letzterer meldete sich mit 8 Toren in den vergangenen beiden Spielen mehr als eindrucksvoll zurück und hat inzwischen auch die Führung in der Torjägerliste übernommen. Darüber hinaus waren die Resultate - 8:0 bei Deportivo und 6:0 gegen Gijon - äußerst beeindruckend - zumal beide Gegner von der Stärke ungefähr vergleichbar mit den ausstehenden drei Kontrahenten sind.Die Form dürfte daher auch kein Gegenargument für die Titelverteidigung des FC Barcelona sein, auch angesichts dessen, dass die Katalanen als einziges der drei Teams nicht mehr in der Champions League vertreten sind und sich somit komplett auf die Liga fokussieren können. Nur das Pokalfinale gegen den FC Sevilla steht sonst noch aus, dieses findet jedoch nach dem letzten Spieltag statt und sollte daher keinen Einfluss auf die Liga haben.
Atletico hat die vergangenen fünf Ligaspiele allesamt gewonnen und dabei nur zwei Gegentore zugelassen, auch die engen Spiele wie z.B. gegen Bilbao konnten die Colchoneros für sich entscheiden und sich ganz nebenbei auch in der Königsklasse gegen Barca durchsetzen. Das Team wirkt sehr gefestigt, nervenstark und hat in der Vergangenheit des Öfteren nachgewiesen, dass sie auch unter Druck bestehen können. Fernando Torres kommt zur richtigen Zeit richtig in Form, Griezmann trifft konstant und auch die Joker (bspw. Angel Correa) zeigen, dass sie immer für ein Tor gut sind.
Allerdings hat Atletico in der Champions League mit dem FC Bayern eine schwierige Aufgabe vor der Brust. Diese Partien könnten das Team von Diego Simeone bis aufs Letzte fordern. Fraglich, ob die Rot-Weißen dem nicht Tribut zollen müssen. Es könnte ein entscheidender Nachteil im Meisterschaftskampf sein. Ein weiterer, möglicherweise entscheidender, Nachteil könnte die Sperre für Coach Simeone sein, der nach seinem Ballwurf für die restlichen drei Spiele nicht auf die Bank darf. Gerade bei einem Team, das auch sehr von seinem Trainer lebt, ist dies sicherlich als Manko zu sehen. Er könnte seinem Team somit einen wahren Bärendienst erwiesen haben.
Auch Real Madrid ist noch in der Champions League vertreten. Dort treffen die Königlichen auf Manchester City, das schon gegen Paris SG zeigte, dass das Team nicht zu unterschätzen ist. Allerdings läuft die Rückrunde bislang richtig gut für das Team von Zinedine Zidane, in der Rückrundentabelle sind sie Erster und ließen erst dreimal Punkte liegen. Zudem bewiesen die Blancos am vergangenen Wochenende, dass man sogar ohne Ronaldo die nötigen Resultate holen kann - wenn auch mit Mühe. Gareth Bale sprang in die Bresche und traf doppelt.
Probleme bereitet aber vor allem Karim Benzema, der eine wirklich gute Saison spielt, aber immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hat. Seine Form und Fitness könnten im Endspurt entscheidend sein. Reals großes Faustpfand ist jedoch so oder so die Offensive, mit 104 geschossenen Toren stellt man den gefährlichsten Angriff, auch wenn Barca mit 102 Toren kaum weniger stark daherkommt. Real Madrid konnte in der Liga die letzten 9 (!) Spiele am Stück gewinnen, dazu gehörten auch Gegner wie Barcelona, Villareal, Vigo und Sevilla. Die letzte Niederlage datiert vom 27. Februar, ausgerechnet gegen Atletico.
Die Form spricht insgesamt für Real Madrid, die sich momentan sehr gut präsentieren. Allerdings sind auch Barcelona und Atletico pünktlich zum Endspurt (wieder) in guter Verfassung. Es dürfte demnach bis zum letzten Spieltag spannend bleiben.
Die Prognose:
Barcelona hält alle Trümpfe in der Hand, hat keine zusätzliche Belastung durch die Champions League, das leichteste Restprogramm, die beste Ausgangslage und zudem scheinen sie wieder gut in Form zu sein. Sie sind für uns der klare Favorit und wir wären überrascht, wenn sie den Titel nicht holen würden.
Atletico und Real sind jeweils auf Patzer angewiesen, aber falls Barca ein solcher unterläuft, sind die Madrilenen sicher zur Stelle. Real scheint das formstärkste Team zu sein, hat aber die schlechteste Ausgangslage. Daran dürften sie am Ende scheitern.
90 PLUS Tipp: Die Entscheidung fällt am letzten Spieltag, Barcelona schießt sich den Champions-League-Frust vom Leib und holt den Titel, während sich die Kontrahenten aus Madrid noch in der Königsklasse abrackern müssen.
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