Ein schwäbisches Mysterium

Von Simon Valachovic
Serey Dié und der VfB Stuttgart spielen bislang nicht konstant
© getty

Aus den Auftritten des VfB Stuttgart will man in dieser Saison einfach nicht schlau werden. Mal spielen die Schwaben stark und verlieren, mal spielen sie schwach und gewinnen. Der weitere Saisonverlauf ist somit nur schwer zu prognostizieren - und die Fragezeichen werden in der Zukunft nicht weniger.

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Langsam trottete Serey Dié vom Platz. Den Kopf ein wenig gesenkt, die Enttäuschung war ihm anzusehen. Im Stadion waren zu diesem Zeitpunkt fast nur noch die Fans der Lilien aus Darmstadt zu hören. Es stand 0:0, der VfB lieferte seine bis dato schwächste Saisonleistung vor eigenem Publikum. Dié, der zuvor die gelbe Karte gesehen hatte, war wieder einmal latent gefährdet, frühzeitig des Feldes verwiesen zu werden. Da Trainer Alexander Zorniger die Mannschaft offensiver ausrichten musste, um noch eine Chance auf den Sieg zu haben, wechselte er den jungen Tschechen Jan Kliment ein.

Eine Situation mit Symbolcharakter für die aktuelle Lage in Stuttgart. Noch vor einigen Wochen wäre Dié in hohem Tempo vom Feld gesprintet, hätte auf Kliment motivierend eingeredet. In diesem Moment am vergangenen Sonntag wirkte vieles auf dem Platz ängstlich, ratlos und ideenlos. Die Hoffnung auf einen Sieg war verschwindend gering.

Auftritt contra Ergebnis

Warum der VfB letztlich doch gewann und das Stadion mit Schlusspfiff in ein Tollhaus verwandelte? Es ist derzeit schwer erklärbar. Wöchentlich betont Trainer Zorniger bei seinen Pressekonferenzen, dass er überzeugt davon sei, dass man mit guten Leistungen auch Punkte sammeln würde. Seine eigene Mannschaft widerlegt diese Aussage seit Beginn dieser Saison jedoch auf eine brillante Art und Weise. Spielt man den Gegner an die Wand, wie es beispielsweise gegen Schalke oder auch Köln der Fall war, verliert man. Zeigt man sich beim Champions-League-Teilnehmer aus Leverkusen auf Augenhöhe, verliert man ebenfalls.

Gegen die Aufsteiger aus Ingolstadt und Darmstadt spielt man deutlich schwächer, lässt viele Torchancen zu, gewinnt letztlich jedoch, vor allem gegen den SVD mehr als glücklich. In Stuttgart dreht man derzeit die gängigen Fußball-Formeln um, beziehungsweise beweist, warum dieser Sport so einzigartig ist. Die Statistik gewinnt eben keine Spiele.

Zähes Restprogramm

Ob man sich in dieser Art und Weise auch zum dritten Mal in Folge noch aus dem Abstiegsstrudel ziehen kann? Fraglich. Die humorbehafteten Fans beim VfB rechnen fest mit einem Sieg am kommenden Wochenende bei Bayern München. Warum? Weil man dort statistisch natürlich nur schwer besser aussehen kann, was damit bedeuten würde, dass der VfB eigentlich gewinnen müsste. Den Realisten unter den Fans zittern jedoch jetzt schon die Knie. Bei diesen Leistungen der Stuttgarter Defensivreihe in den letzten Wochen geht die Angst um, den HSV als Lieblingsgegner in München abzulösen.

Generell warten auf den VfB in der restlichen Hinrunde noch einige Teams aus dem oberen Tabellenviertel. Neben München fährt man noch nach Dortmund und empfängt den VfL Wolfsburg. Punkte sind also höchstwahrscheinlich nur noch gegen Augsburg, Bremen und Mainz zu holen.

Zum Ende der Hinrunde wird Stuttgart daher vor allem der völlig missglückte Saisonstart einholen. Bekommt man den mittlerweile schon klassischen Stotterstart zu Beginn der Rückserie nicht in den Griff, wird es in dieser Saison wieder einmal sehr schwierig, die Klasse zu halten. Ein Formaufschwung zum Ende der Saison würde diesmal wohl kaum reichen, dafür sind die Gegner zu stark.

Ungewollter Kaderumbruch

Ausgerechnet in dieser Spielzeit wäre es dabei sehr wichtig, frühzeitig Planungssicherheit zu haben. Dem VfB wird in der kommenden Saison ein weiterer Umbruch im Kader bevorstehen. In der Defensive, weil man derzeit in diesem Bereich kaum bundesligatauglich ist. Toni Sunjic ist häufig ein Unsicherheitsfaktor. Timo Baumgartl bräuchte einen erfahrenen Mann an seiner Seite. Lediglich Emiliano Insua überzeugt bisher.

Im Offensivbereich wird es einen Umbruch geben, auf den Sportvorstand Robin Dutt wohl lieber verzichten würde. Die Verträge von Martin Harnik und Daniel Didavi laufen aus. Harniks Zukunft ist noch offen. Der bei den Fans häufig umstrittene Stürmer ist über die Jahre zu einem der Gesichter im Verein geworden. Seinen Einsatz für den Club auf und neben dem Platz konnte man ihm zudem nie absprechen. Ein Punkt, der nicht auf jeden Spieler in Stuttgart zutrifft.

Bei Didavi steht der Abgang hingegen schon ziemlich sicher fest. Er wird aller Voraussicht nach zu Bayer Leverkusen wechseln. Einen Spieler von der Qualität des gebürtigen Nürtingers wird man wohl kaum ersetzen können. Der bisherige Topscorer des VfB in dieser Saison wird eine Lücke aufreißen, die nur schwer wieder zu füllen sein wird.

Leistungsträger vor dem Absprung

Zudem wird Robin Dutt wohl wieder Transfereinnahmen generieren müssen. Das ist aus Qualitätsgründen nur mit Offensivspielern möglich. Da gäbe es zum einen Filip Kostic, der derzeit noch verletzt ist. Bereits vor der Saison wollte er den schwäbischen Traditionsverein bereits nach einem Jahr mit einer starken Rückrunde wieder verlassen. Das wird sich zur Sommertransferperiode wohl kaum ändern. Auch er bringt eine kaum ersetzbare Qualität mit sich.

Hinter dem Verbleib von Daniel Ginczek steht ein weiteres Fragezeichen. Spielt er nach überstandenem Bandscheibenvorfall eine gute Rückrunde, wird möglicherweise Borussia Dortmund, Ginczeks Jugendverein, anklopfen. Ob er dann noch weiter in Stuttgart bleiben möchte? Gewisse Zweifel kann man durchaus haben.

Zwei Youngster als Hoffnungsschimmer

Jedoch hat die Mannschaft der Schwaben in den letzten Spielen auch ohne Ginczek und Kostic punkten können. Vor allem Timo Werner, der zu Beginn der Saison teilweise nicht mal im Kader stand, konnte eine Lücke mit seinen bereits drei Saisontoren füllen.

Ob jedoch der Rumäne Alexandru Maxim Didavi ersetzen kann? Dafür fehlt es ihm wohl an physischer Stärke und Geschwindigkeit, weshalb er unter Zorniger nur selten von Beginn an spielt. Möglicherweise wird Arianit Ferati diese Rolle einnehmen können. Der im September 18 Jahre alt gewordene Mittelfeldstratege gilt als hoch veranlagt und hatte in dieser Saison bereits einige Bundesligaeinsätze, konnte sich beim Spiel gegen Hoffenheim sogar als Vorlagengeber zum zwischenzeitlichen Ausgleichstreffer auszeichnen.

Fragen über Fragen

Dennoch bleiben viele Fragezeichen. Vor allem, wenn man es nicht schafft, rechtzeitig die neue Saison planen zu können. Denn nur als gesicherter Erstligaverein wird man schon früh kluge und günstige Transfers einfädeln können. Spieler zu finden, die sowohl für die erste als auch die zweite Bundesliga unterschreiben, ist ein viel komplizierteres Unterfangen und häufig auch nicht mit der gewünschten Qualität verbunden. Und auf eine ähnlich lange Suche nach einem Innenverteidiger, wie vor dieser Saison, kann man in Stuttgart getrost verzichten.

Dazu wird derzeit der Aufsichtsrat erneuert. Nachdem der bisher Vorsitzende Joachim Schmidt zurücktreten musste, ist es nun die Aufgabe von Martin Schäfer, die Anhängerschaft von einer Ausgliederung zu überzeugen. Ein Thema, das Stuttgart schon ähnlich lang begleitet wie der Abstiegskampf. Und auch hier ist keine Besserung in Sicht. Natürlich stehen diese beiden Themen auch in einem Zusammenhang. Mit sportlichem Erfolg wäre es deutlich einfacher, die Fans zu überzeugen.

Dennoch bleibt der VfB ein Rätsel. Über die sportlichen Leistungen der letzten Wochen wird man nicht wirklich schlau. Passt das System Zorniger? Wird man so die Klasse halten können? Wie werden sich die Kaderveränderungen auf den Verein auswirken? Wird man langfristig ohne Ausgliederung überhaupt noch genügend Einnahmen generieren können? Fragen über Fragen, die nur eines klarstellen: Der VfB ist derzeit nicht mehr und nicht weniger als ein Mysterium mit schleierhafter und unsicherer Zukunft. Serey Dié hingegen war zu Wochenbeginn dank des Heimsieges schon wieder ein kleines Lächeln zu entlocken.

Der VfB Stuttgart im Überblick