"Was kannst du mit einer Goldmedaille anfangen? Ich hätte lieber einen schönen Trainingsanzug. Goldmedaillen liegen nur da. Vielleicht kann ich sie im Alter verkaufen, wenn ich mal Geld brauche."
Es sind nicht etwa die Worte eines frustrierten Sportlers, der die goldene Medaille in letzter Sekunde verloren hat: Nein, es sind die Worte Eric Heidens. Ein Athlet, der etwas schaffen sollte, das keinem Sportler zuvor oder danach wieder gelang: Fünf Goldmedaillen bei nur einer Teilnahme an den Olympischen Winterspielen.
1980 sollte das Jahr des Eisschnellläufers Eric Heiden werden. 15 Minuten in neun Tagen machten einen Menschen, der niemals nach Ruhm gestrebt hatte, zu einem der größten Helden der olympischen Geschichte.
Undercover im eigenen Land
Als gänzlich Unbekannter in seinem Land reiste der US-Amerikaner im Februar zu den Olympischen Spielen nach Lake Placid. Während er in Norwegen, den Niederlanden und Deutschland schon auf sich aufmerksam machen konnte, nahm man in Amerika, wo Eishockey die Schlagzeilen bestimmte, wenig Notiz von dem Jungen aus Wisconsin und seiner Sportart.
Und doch war es kein Zufall, dass Heiden in Amerika niemand kannte. Vielmehr war Heiden in jungen Jahren als Eishockeyspieler vor dem möglichen Ruhm zu den Exoten auf Kufen geflüchtet. Doch der Aufmerksamkeit konnte Heiden auch in seinem goldenen Rennanzug nicht entfliehen.
Von Kindesbeinen auf Schlittschuhen
Mit zwei Jahren stellten ihn seine Eltern erstmals auf Schlittschuhe und ließen Heiden mit einem Puck spielen. Im Alter von 14 Jahren beschloss Heiden, dem Eishockey als aktiver Sportler den Rücken zuzukehren und sich dem unbeachteten Eisschnelllauf zu widmen. Eine gute Entscheidung für den Sport.
Das Heiden überhaupt eine solche Entwicklung nehmen konnte, war angesichts der Trainingsmöglichkeiten erstaunlich. Zu der damaligen Zeit gab nur zwei Eisbahnen in den USA, auf denen trainiert werden konnte.
Die Bahn, die dem Teenie aus West Allis zu Verfügung stand, war jedoch alles andere als in einem guten Zustand. Durch die umliegenden Industriebetriebe wehte der Dreck auf die Eisbahn herüber. Dadurch war es mehr ein Training auf Zement, als auf Eis.
Heiden, der sich um so etwas nicht scherte, nahm die Bedingungen mit Humor: "Es ist von Vorteil für die Läufer, bei Olympia fühlt man sich auf dem spiegelglatten Boden wie beflügelt."
Athletischer Sportler
Auch dank des schlechten Eises entwickelte sich Heiden zu einem Athleten, der sich vor allem mit seiner körperlichen Physis von den anderen Läufern unterschied. Geradezu berühmt wurde sein Oberschenkelumfang von 74 Zentimetern.
Dennoch zog es ihn immer wieder nach Deutschland, wo er sich bei weitaus besseren Bedingungen auf Wettkämpfe vorbereitete. Eine Entscheidung, die sich rentieren sollte. Zu seinen zweiten Olympischen Spielen 1980 reiste der mittlerweile 21-Jährige als dreifacher Weltcup-Sieger.
Seinen ersten Wettbewerb liefert Heiden über die 500 Meter ab, eine Distanz in der Experten Heiden als schlagbar einschätzten. In seinem Rennen gegen den Olympiasieger von 1976, Yevgeny Kulikov liefert sich der Amerikaner das erwartet spannende Duell.
Enges Rennen von Beginn an
Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Von Beginn an liegt Heiden etwas hinter dem Russen und muss kämpfen, den Abstand nicht größer werden zu lassen. Doch dann die Überraschung. Kurz vor dem Wechsel strauchelt sein Konkurrent leicht, Heiden saugt sich im Windschatten heran und zieht auf der Innenbahn vorbei. 34 Hundertstelsekunden rettet Heiden ins Ziel und gewinnt seine erste Goldmedaille, in olympischem Rekord.
Nach seiner zweiten Goldmedaille über die 5.000 Meter gegen den norwegischen Weltrekordhalter Kai Arne Stenshjemmet richten sich mehr und mehr Augen auf den Mann im goldenen Rennanzug. Heiden, ein attraktiver Kerl mit dunklen Locken und Spitzbubengrinsen, muss sich immer öfter der Öffentlichkeit stellen. Eine Aufgabe, die dem medienscheuen Heiden nicht passt: "Ich will einfach nur Eisschnelllaufen - that's all!"
Zwar versucht seine Trainerin Dianne Holum ihn vor den Rennen von den Medien abzuschirmen und den Rummel um seine Person nicht an ihn heranzulassen, doch seine Leistungen lassen das Fliegen unter Radar nicht mehr zu.
Heiden macht's spannend
Heiden gewinnt auch die 1.000 Meter- Distanz. Über die 1.500 Meter tut er sich dann aber weit schwerer als gedacht. Während seines Rennens stolpert Heiden und hat bereits großen Rückstand auf seinen Gegner.
Selbst seine Mutter, die am Rand zusieht, erklärt Goldmedaille Nummer vier schon für unerreichbar: "Er wird es niemals schaffen. Er hat verloren." Doch Heiden straft die Zweifler Lügen, kämpft sich zurück und holt seine vierte goldene Kette. Abermals in olympischem Rekord.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist der Youngster gefeierter Held und in aller Munde: "Am Tag war er eine schöne Maschine in Gold. In der Nacht zog er seinen rot-blauen Anzug an und schritt auf den roten Teppich des Mirror Lakes. Seine Abende endeten mit dem Kopf gebückt, um eine weitere Goldmedaille anzunehmen, während die "E-ric, E-ric"-Rufe die olympischen Nächte erhellten", schrieb "Newsweek.
Miracle on Ice raubt Heiden den Schlaf
Heiden kann dem Rummel um seine Person nach wie vor nichts abgewinnen. In der Nacht vor seinem letzten, dem anstrengendsten Rennen, lässt es sich der Eishockey-Fan nicht nehmen, das Halbfinale der USA gegen die Sowjetunion anzuschauen. Das berühmte Miracle on Ice.
Im amerikanischen Team spielten einige Jungs, die Heiden noch aus seiner aktiven Zeit mit dem Puck kannte. Viel Schlaf bekam Heiden in dieser Nacht nicht, wie so viele andere US-Amerikaner, die aber gerade nicht im Fokus der olympischen Öffentlichkeit standen.
Nach dem Sieg des eigenen Teams war Heiden so aufgekratzt und glücklich, dass er kaum Ruhe in der Nacht fand und aufgrund des mangelnden Schlafs, fast seinen Wettkampf verschlafen hätte. In letzter Sekunde klopfte seinen Trainerin an der Tür und brachte ihn gerade noch pünktlich zum Aufwärmen für die 10.000 Meter aufs Eis.
Um ein Haar den Start verpasst
Die Konkurrenz musste dennoch neidlos anerkennen, dass Heiden auch nach einer durchzechten Nacht nicht zu schlagen war. "Heiden ist der größte und großartigste Läufer der jemals existiert hat. Für uns andere heißt es warten auf die nächsten olympischen Spiele", erklärte der geschlagene Norweger Frode Roenning.
Nach vier olympischen Rekorden fiel diesmal der Weltrekord: "Das war der letzte Rekord, den ich erwartet habe zu brechen", gab Heiden bescheiden zu Protokoll.
Gemeinsam mit seiner Schwester Beth, die eine Bronzemedaille gewann, holte Eric die Hälfte aller amerikanischen Medaillen bei den Spielen in Lake Placid.
Plötzlich berühmt
Die Medienlandschaft, die Fans in Amerika und der Welt hatten ihren Star gefunden und im Eisschnelllauf eine neue populäre Sportart gefunden. Doch eben jene Tatsache wurde Heiden zum Verhängnis, war er doch extra zum Rennlaufen gewechselt, um dem Berühmtsein zu entfliehen. Und er sollte es wieder tun.
Heiden erklärte kurz nach Ende der olympischen Spiele seinen Rücktritt als aktiver Eisschnellläufer. Mit 21 Jahren. "Vielleicht wäre ich dem Eisschnelllauf treu geblieben, wenn Dinge so geblieben wären, wie sie waren und ich noch unbemerkt, in einer unbekannten Sportart agieren könnte", begründete Heiden seine Entscheidung auf der Pressekonferenz. Die Öffentlichkeit war schockiert.
In seinem letzten Rennen bei der Mehrkampf-WM musste sich Heiden dem Niederländer Hilbert van Duim geschlagen geben, ehe sich von der großen Bühne verabschiedete. Es war jedoch kein Abschied aus der Welt des Sports, sondern nur sein Weg aus dem Scheinwerferlicht.
Neue sportliche Herausforderungen
Heiden suchte eine neue sportliche Herausforderung - und entschied sich für den Radsport. 1984 versuchte Heiden an den olympischen Sommerspielen teilzunehmen, scheiterte jedoch an der Qualifikation. Ein Jahr später erfolgte der Durchbruch: Der frühere Eisläufer gewann die amerikanischen Meisterschaften und reiste 1986 mit dem "7-Eleven-Team" zur Tour de France.
Stolze 18 Etappen konnte Heiden für sein Team absolvieren, ehe er wegen eines Sturzes vorzeitig vom Rad stieg. Es blieb das letzte Kapitel im aktiven Sportlerleben des Eric Heiden.
Doch auch als Mediziner ließ ihn die Faszination Olympia nicht gänzlich los. 22 Jahre nach seinem großen Erfolg reiste Heiden als Mannschaftsarzt des US-Teams nach Salt-Lake-City.