In Japan sind derzeit nur rund sechs Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Kommen die Spiele trotzdem nicht doch zu früh für Japan?
Stäbler: Es ist natürlich schwierig, dass in einem solch fortschrittlichen Land nur so wenige Menschen geimpft sind. Das kann ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Aber: Die Zustimmung eines Großteils der Menschen in Japan haben die Spiele mittlerweile, auch wenn das zwischenzeitlich anders war.
Sind Sie geimpft?
Stäbler: Ja, ich bin mittlerweile geimpft. Ich hätte das zwar nicht zwingend gebraucht, weil nach meiner Corona-Infektion im vergangenen Herbst noch starke Antikörper vorhanden sind, aber ich ordne alles dem olympischen Traum unter. Ich sehe die Impfung auch als eine Art Türöffner, sie macht einiges unkomplizierter. Wenn wir vor Ort in Tokio sind, müssen wir uns beispielsweise jeden Tag einem PCR-Test unterziehen, da besteht natürlich das Risiko, dass ein solcher auch mal falsch positiv ist. Dieses Risiko minimiert die Impfung.
Frank Stäbler über seine Infektion mit dem Coronavirus
Sie sprechen Ihre Infektion an. Trotz anfangs nur schwacher Symptome hatten Sie später hart mit den Folgen des Coronavirus' zu kämpfen.
Stäbler: Es war wirklich ein Schlag ins Gesicht, als ich von meinen Ärzten erfahren habe, dass ich einen Leistungseinbruch von 20 Prozent erlitten habe. Als Leistungssportler suche ich immer nach den letzten ein, zwei Prozent und dann bekomme ich ein halbes Jahr vor Olympia so eine Nachricht - da habe ich meine Träume schon schwinden sehen. Es hat mich ein paar Tage gekostet, das zu verkraften. Letztlich ist mir das aber gut gelungen und über teilweise neue Wege bin ich nach rund drei Monaten wieder zu meiner vollen Leistungsfähigkeit
zurückgekehrt. Ohne Medikamente!
Obwohl Ihnen diese verschrieben worden waren..
Stäbler: Laut meinen Ärzten bin ich mittlerweile ausgewiesener Belastungsasthmatiker. Man sagte mir, ich könne nur mit Asthma- und Kortisonsprays wieder zu hundert Prozent gelangen. Ich habe mich aber geweigert, diese zu nehmen. Auch wenn es legal gewesen wäre, wollte ich nicht, dass es später heißt, ich sei nur Olympiasieger geworden, weil ich mir Sprays reingeballert habe. So bin ich den Weg des Risikos gegangen und habe angefangen, mit einem Atmungs-Coach zu trainieren und das Ganze auf diesem Wege in den Griff zu bekommen. Darauf bin ich stolz.
Inwieweit hat die eigene Infektion Ihren Blick auf das Virus verändert?
Stäbler: Vorher war das nicht wirklich greifbar. Wenn dieses Virus aber mich als gesunden Topathleten so aus der Bahn wirft, dann zeigt das, wie unberechenbar und individuell Corona ist. Auch wenn die Regeln manchmal blöd sind, man muss sich daran halten und sich schützen.
Frank Stäbler vor seinem Karriereende: "Mir bleibt, wer ich heute bin"
Sie wurden vor kurzem 32 Jahre alt und kämpften zuletzt immer wieder mit Schulterproblemen. Für den Traum Olympia verlängerten Sie Ihre Karriere um ein Jahr. Wie fit sind Sie?
Stäbler: Als mein Körper vor einiger Zeit an allen Ecken gegen das zusätzliche Jahr rebelliert hat, habe ich zu ihm gesagt: "Du hältst bis zum Olympiafinale am 4. August durch und ich kümmere mich danach den Rest meines Lebens gut um dich." Das ist der Deal. Ich habe die Schulter so stabilisiert, dass sie der Belastung vorerst standhält. Letztlich ist es aber so, dass die Verletzung der Schultereckgelenkssprengung sich einfach nicht mit der Sportart Ringen verträgt. Darum ist es ein harter Weg mit vielen Schmerzen. Es werden definitiv auch über die Karriere hinaus Spuren bleiben, nicht nur in der Schulter. Leistungssport ist letztlich nicht gesund für den Körper, man opfert da sehr, sehr viel. Ich habe mir aber schon früh überlegt, dass ich das in Kauf nehme, weil ich durch den Sport ein außergewöhnliches Leben führen kann.
Dazu gehören bisher zwei Olympia-Teilnahmen, 2012 debütierten Sie in London.
Stäbler: Damals war ich 21, das war eine unglaubliche Erfahrung. Mitten im größten Sportereignis der Welt habe ich im Deutschen Haus mit Prinz Albert von Monaco zu Tisch sitzen dürfen und mit Michael Phelps morgens um sechs Uhr im McDonald's Katerfrühstück gemacht. (lacht) In London war es so, dass die Stadt und damit die Clubs ganz in der Nähe des Deutschen Hauses waren. Wir haben dort vorgeglüht und sind dann in der Jogginghose weitergezogen.
Erinnern Sie sich an etwas Besonderes?
Stäbler: Ich erinnere vor allem noch an eine Geschichte mit Usain Bolt: Wer am Club-Eingang eine Akkreditierung oder Medaille vorzeigen konnte, der ist direkt zum VIP-Eingang geleitet worden. An einem Abend stand ich dadurch plötzlich in einem abgetrennten Bereich, in dem Bolt am Tag seines Olympiasieges den DJ gemacht und mit Champagner herumgespritzt hat. So haben wir miteinander gefeiert. Das waren unvergessliche Momente.
Und 2016 in Rio de Janeiro?
Stäbler: In Rio war es genau das Gegenteil. Ich hatte im Vorfeld sehr große Erwartungen, bin dann aber daran und an meiner Verletzung gescheitert. Ich habe eine Woche eigentlich nur durchgeheult, bevor ich wieder nach Hause geflogen bin. Das waren sehr traurige Spiele. Auch deswegen läuft für mich nun alles darauf hinaus, bei meinen letzten Spielen das letzte Mosaiksteinchen meiner Karriere namens Olympiamedaille zu gewinnen.
Was bleibt neben den Erfolgen, wenn Sie Ihre Karriere beendet haben?
Stäbler: Mir bleibt, wer ich heute bin. Ich habe dem Ringen so vieles zu verdanken und habe mir in zwei Jahrzehnten viele Fähigkeiten aneignen dürfen, die mir auf und neben der Matte helfen. Neben den Goldmedaillen ist es am Schönsten, die Person geworden zu sein, die für diese Erfolge notwendig gewesen ist.