Skisprung-Legende Martin Schmitt im Interview: "Der Sport kann und muss schon deutlichere Signale senden"

Von Ulli Ludwig
Martin Schmitt hat als Skispringer die olympische Goldmedaille geholt und zweimal den Gesamtweltcup gewonnen.
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Martin Schmitt hat als Skispringer die olympische Goldmedaille geholt und zweimal den Gesamtweltcup gewonnen. Nun steht er als Skisprung-Experte für Eurosport vor der Kamera. Im exklusiven Interview mit SPOX verrät Schmitt seine Favoriten für den anstehenden Olympia-Winter und erklärt den Druck vor einer Vierschanzentournee.

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Außerdem äußert er sich zur Vergabe der Winterspiele 2022 nach Peking, bewertet das Vorgehen des Internationalen Olympischen Komitees und nimmt Experten und Journalisten in die Pflicht.

Herr Schmitt, am Freitag beginnt die neue Skisprung-Saison und Sie stehen erneut als Experte am Seitenrand. Welche Perspektive gefällt Ihnen besser?

Martin Schmitt: Wenn man die Wahl hat, dann war die Sportler-Zeit schon schöner. (lacht) Mir gefällt beides super. Aber natürlich hat eine sportliche Karriere etwas Besonderes. Es gibt auch Momente, wo Skispringen nicht nur Vergnügen ist, dennoch erinnere ich mich gerne daran zurück.

Heißt das im Umkehrschluss, dass es beim Expertendasein keine negativen Seiten gibt?

Schmitt: (lacht) So ist es nicht. Überall gibt es mal unangenehme Momente, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden mit meiner Aufgabe. Da gibt's also nichts, was ich auszusetzen hätte.

Schauen wir auf die neue Saison. Auf welchen Springer freuen Sie sich am meisten?

Schmitt: Da habe ich schon ein bisschen die deutsche Brille auf, weil ich sie alle gut kenne und verfolge. Karl Geiger ist sehr gut in Form, Markus Eisenbichler hat für die kommende Saison hohes Potenzial. Stefan Leyhe kommt zurück nach der Verletzung und Andi Wellinger findet langsam wieder seine Form. Constantin Schmid pirscht sich mit kleinen Schritten auch immer näher an die Weltspitze heran. Da haben wir also einige vielversprechende Springer.

Schmitt: "Man muss zu Saisonbeginn schon auf Tuchfühlung sein"

Bundestrainer Stefan Horngacher sagte zuletzt, dass Karl Geiger gereift sei. Er trainiere besser und habe ein stabiles Familienleben. Welche Rolle spielen Nebengeräusche beim Skispringen?

Schmitt: Skispringen ist schon ein sehr sensibler Sport. Da können sich Störfaktoren schnell mal auf deine Leistung auswirken. Das soll aber jetzt nicht heißen, dass die Familie ein Störfaktor ist. (lacht) Karl ist im Familienleben einfach super angekommen. Bei ihm hatte man immer schon das Gefühl, er sei ein Ruhepol. Er hat sich über mehrere Jahre in die Weltspitze gekämpft, arbeitet sehr, sehr akribisch und die sportlichen Erfolge haben ihm viel Selbstvertrauen gegeben. Wenn dann auch außerhalb vom Sport alles so gut passt wie bei ihm, kann das nur von Vorteil sein. Es ist fürs Skispringen schon sehr wichtig, dass man sich insgesamt wohlfühlt und gut und schnell regenerieren kann.

Vor allem, wenn man weiß, dass man auf den Punkt fit sein muss.

Schmitt: Genau - und im Skispringen ist es wichtig, dass man einen guten Start in die Saison findet. Wenn man am Anfang einen Rückstand hat, ist es anschließend ziemlich schwer, dranzubleiben. Man muss zu Saisonbeginn schon auf Tuchfühlung sein - und das ist beim Karl auf jeden Fall gewährleistet.

Auf die Springer wartet eine extrem intensive Saison. Könnte man auch versuchen, genau zu Olympia fit zu werden?

Schmitt: Jeder versucht natürlich, bei Olympia in Bestform zu sein. Meistens gelingt das im Skispringen aber aus einer starken Weltcupsaison heraus. Man kann einzelne Wettkämpfe auslassen, um nochmal Akzente zu setzen im körperlichen oder technischen Bereich. Bundestrainer Stefan Horngacher hat eher die Philosophie, im Rhythmus zu bleiben. Im vergangenen Jahr hat er in Kauf genommen, dass zwei, drei Weltcupwochenenden vielleicht nicht optimal laufen, aber die Jungs waren dafür zur Weltmeisterschaft in Topform - der Plan ist also voll aufgegangen. Ich glaube, ähnlich werden es die Deutschen auch in diesem Jahr gestalten. Zwei Wochen vor Olympia werden wahrscheinlich aber dennoch nicht so viele zum Springen nach Japan fliegen, da sie sonst noch einmal zurück nach Deutschland müssten, um kurz darauf schon wieder nach Peking zu fliegen.

Karl Geiger (vorn) und Bundestrainer Stefan Horngacher.
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Karl Geiger (vorn) und Bundestrainer Stefan Horngacher.

Vierschanzentournee? "Du darfst den Glauben nie verlieren"

Seit Jahren warten die Fans auf einen deutschen Vierschanzentourneesieger. Wie sehr nervt Sie diese Frage?

Schmitt: Wichtig zu wissen ist, dass man es nicht erzwingen kann. Ich habe mir damals auch an der Vierschanzentournee die Zähne ausgebissen. Als Springer kannst du dich nur so gut wie möglich vorbereiten und den Glauben darfst du nie verlieren, auch wenn es Rückschläge gibt. Man hat es bei den Österreichern gesehen: Sie mussten nach 2000 bis 2009 auf den nächsten Tourneesieg warten, obwohl das Team in der Zeit sehr stark war, mehrere Springer das Potential und die Form hatten. Danach war der Bann gebrochen und es gab eine österreichische Siegesserie. Wenn es einmal funktioniert hat, dann wird es in den Folgejahren nicht mehr so schwer.

Hat Sie das damals als Springer unter Druck gesetzt?

Schmitt: Die Erwartungshaltung der Fans unterscheidet sich nicht so sehr von der eigenen, man will es ja selbst auch. Die Vierschanzentournee ist eben kein Wettkampf wie jeder andere. Wenn man die Form hat und es funktioniert nicht, ärgert einen das. Das macht es aber nicht besser, weil der eigene Druck dann von Jahr zu Jahr höher wird. Man muss versuchen, an jedem Tag am Optimum skizuspringen. Während der Tournee dann ständig zu rechnen, ob es noch reicht oder nicht, bringt meistens nicht viel.

Martin Schmitt: "Das starke Gefühl, dass kommerzielle Interessen überwiegen"

Olympia ist ebenfalls kein normaler Wettkampf. Im Vorfeld der Winterspiele in Peking 2022 gibt es wiederholt Kritik aufgrund der Menschenrechtsverhältnisse vor Ort und der hohen Investitionen. Wie stehen Sie dazu?

Schmitt: Mir wäre es auch lieber, wenn wir Winterspiele in München hätten, im Alpenraum oder einer traditionelleren Wintersportregion. Natürlich kann sich das IOC nicht nur für die westliche Welt öffnen. Den olympischen Gedanken in die ganze Welt zu tragen, ist ja grundsätzlich positiv, die Umsetzung ist aber sicher verbesserungswürdig. China hat größtenteils eine andere Weltanschauung, ein anderes politisches System. Bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar 2022 verhält es sich ja ähnlich. Der Sport kann und muss schon deutlichere Signale senden, vor allem bei Themen wie Menschenrechtsverletzungen - aktuell ist ja die Geschichte um die vermisste Tennisspielerin Peng Shuai ein Thema. Das sind krasse Sachen. Da kann man als Sportorganisation, die sich Fairplay und salopp gesagt die heile Welt auf die Fahne schreibt, nicht komplett wegschauen. Ich habe schon das starke Gefühl, dass kommerzielle Interessen überwiegen und alles andere zweitrangig ist. Da kann man noch so schöne Marketingkampagnen starten, die sind am Ende nichts wert.

Was könnte man als einzelner Sportler tun?

Schmitt: Jeder Sportler hat natürlich eine Stimme, auch wenn man in China vielleicht etwas vorsichtiger ist. Aber für den Sportler ist das eine sehr schwierige Situation, sich weit aus dem Fenster zu lehnen und Dinge zu kompensieren, die von den Weltverbänden schon nicht richtig gehändelt werden. Das kostet ja alles Kraft und lenkt ab. Wenn man Kritik übt, bleibt es ja nicht bei diesem einen Statement, man wird ständig mit der Thematik konfrontiert. Bei Karl Geiger beispielsweise ist die Form da, um sich seinen Traum vom Olympiasieg zu erfüllen. Aber niemand kann sagen, ob er in vier Jahren nochmal diese Möglichkeit bekommt. Und wie bereits erwähnt: Wenn man der Beste sein will, muss man mögliche Störfaktoren ausblenden und sich auf das Wesentliche fokussieren können.

Olympia ist ein großer Traum vieler Sportler. Stellt man dann Kritik an den Umständen hinten an, wenn man weiß, dass man als Sportler schon so viel Kraft und Opfer in diesen Traum investiert hat?

Schmitt: Natürlich hat das einen Einfluss, der Sportler lebt ja für den und auch vom Sport. Man weiß, wie viel man investiert hat, aber auch, was man noch zu tun hat, um am Tag X seine Topleistung abrufen zu können. Auch wenn die sportliche Form stabil scheint, ist das ein fragiles System, gerade in einer so mentalen Sportart wie dem Skispringen. Es ist keiner so gut, dass er in so einer Situation mit voller Kraft an verschiedenen Fronten kämpfen kann. Daher wird die Kritik, vor allem vor Ort auch eher leise ausfallen. Es ist eher unsere Aufgabe als Experten oder Journalisten, die Dinge einzuordnen und darüber zu berichten. Weniger die des Sportlers. Grundsätzlich sind die Sportverbände auch mehr gefordert. Man muss nur mal auf deren Homepages schauen: Wenn der eigene Anspruch erfüllt werden würde, wäre man einen großen Schritt weiter. Daher werden FIFA und IOC auch zurecht kritisiert.

Skispringen: Der Olympia-Winter im Überblick

Männer:
20.-21.11.Nischnij Tagil (RUS)
27.-28.11.Ruka (FIN)
04.-5.12.Wisla (POL)
11.-12.02.Klingenthal (GER)
18.-19.12.Engelberg (SUI)
29.12.-06.01.Vierschanzentournee
08.-09.01.Bischofshofen (AUT)
15.-16.01.Zakopane (POL)
21.-23.01.Sapporo (JPN)
28.-30.01.Willingen (GER)
04.-20.02.Olympia in Peking (CHI)
26.-27.02.Lahti (FIN)
03.03.Lillehammer (NOR)
04.-06.03.Oslo (NOR)
11.-13.03.Skiflug-WM in Vikersund
19.-20.03.Oberstdorf (GER)
25.-27.03.Planica (SLO)
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