Nach dem Bekanntwerden eines möglichen neuen Dopingskandals im Biathlon wenige Tage vor den Olympischen Spielen im eigenen Land herrschte in Russland helle Aufregung.
Der nationale Verband in Moskau (RBU) berief am Mittwoch eilig eine Dringlichkeitssitzung seines Anti-Doping-Komitees ein, um über die Vorwürfe zu beraten.
Und Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. "Was für eine Werbung für Biathlon zehn Tage vor Sotschi! Schande über sie!", twitterte der Gesamtweltcup-Führende Martin Fourcade aus Frankreich.
Der Weltverband IBU sperrte am Dienstagabend keine zwei Wochen vor den ersten Rennen in Sotschi drei Sportler aus Russland und Litauen wegen positiver A-Proben provisorisch für alle offiziellen Wettbewerbe unter seiner Regie.
Unbekannte Substanzen in vier Proben
Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) wurde umgehend über den Dopingverdacht informiert. Wie die IBU mitteilte, wurden in insgesamt vier Proben der drei Biathleten unbekannte Substanzen gefunden. Sie sollen aus Trainingstests in der Wettkampfpause im Dezember stammen.
Um die Privatsphäre zu schützen, wurden die Namen der Betroffenen nicht genannt. Es soll sich aber um zwei russische Athletinnen und einen litauischen Athleten handeln. Auf SID-Anfrage teilte die IBU am Mittwoch mit, dass es vorerst keine weiteren Äußerungen zu dem Fall geben wird.
Zu einem regulären Dopingfall wird die Angelegenheit erst, wenn die B-Probe den Verdacht bestätigt oder auf die Öffnung der B-Probe verzichtet wird. Die Sportler sollen in jedem Fall offiziell angehört werden.
"Ich kann die Namen nicht nennen. Wir werden sie nur veröffentlichen, wenn die B-Probe auch positiv ist", sagte IBU-Vizepräsident Ivor Lehotan dem russischen Fachportal R-Sport. Russlands Sportminister Witali Mutko fügte hinzu: "Ich weiß nicht, welche unserer Biathleten betroffen sein könnten."
Pichler: "Sicher, dass mein Team sauber ist"
Der deutsche Trainer Wolfgang Pichler, der einen Teil der russischen Frauenmannschaft trainiert, meinte: "Ich bin mir sicher, dass alle Athletinnen meines Teams sauber sind." Sechs Athletinnen hat Pichler in seiner Mannschaft: Olga Saizewa, Olga Wiluchina, Irina Starych, Jekaterina Schumilowa, Jana Romanowa und Jekaterina Glasjeina.
Gerade die Russen mit dem deutschen Frauentrainer und Anti-Doping-Kämpfer Wolfgang Pichler nehmen den Fall sehr ernst und kündigten umgehende Untersuchungen an. Am letzten großen Biathlon-Dopingskandal waren sie maßgeblich beteiligt.
Im Dezember 2008 wurden Albina Achatowa, Jekaterina Jurjewa und Dimitri Jaroschenko des Epo-Missbrauchs überführt. Im Vorfeld der WM 2009 in Pyeongchang war das Trio anschließend gesperrt worden. Seit 2006 wurden insgesamt vier Top-Athleten aus Russland überführt und gesperrt.
Für den renommierten Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke kommt ein möglicher neuer Dopingskandal im Biathlon wenig überraschend. "Ausdauer-Disziplinen wie Langlauf oder auch Biathlon sind Paradedisziplin für die Einnahme von Epo", sagte der Wissenschaftler aus Heidelberg dem "SID": "Ich halte das System der Sowjetunion und das ihrer Nachfolge-Staaten für korrupt. Erst nach den Spielen 2012 in London wurde durch Nachproben bekannt, dass 30 russische Sportler acht Jahre zuvor bei Olympia in Athen gedopt waren."
Ein litauischer Athlet betroffen
Arunas Daugirdas, Präsident des litauischen Verbandes, bestätigte den Medien seines Landes zumindest, dass "nur" einer seiner Sportler von den Vorwürfen betroffen sei. "Wir halten uns an die Anti-Doping-Regeln, und ich glaube daran, dass unsere Athleten ehrlich sind und hart arbeiten, um unser Land zu vertreten", sagte Daugirdas.
Bevor man ein Urteil fälle, wolle man die Öffnung der B-Probe abwarten. Ohnehin wird in jedem Fall erst danach über eine Sperre entschieden.
Bei dem betroffenen Sportler handelt es sich nach Aussagen des Verbandschefs nicht um einen Olympia-Teilnehmer. Diana Rasimoviciute und Tom Kaukenas werden die einzigen litauischen Skijäger in Sotschi sein und sind von den Anschuldigungen angeblich nicht betroffen.
Die Dopingproblematik kommt für die Biathleten kurz vor dem Highlight der vergangenen Jahre zur absoluten Unzeit. Auch deswegen regte sich der 25 Jahre alte Fourcade öffentlich auf. "Der Kampf gegen Doping darf niemals enden!", schrieb der fünfmalige Weltmeister, der in Sotschi nach seiner ersten olympischen Goldmedaille greift.