"Ich habe keine Poster im Zimmer"

Von Interview: Florian Regelmann
Miriam Gössner gewann in der Kategorie Nachwuchssportlerin 2009 den Bayerischen Sportpreis
© Imago

Ob Biathlon oder Langlauf, wenn Miriam Gössner den Turbo zündet, ist sie nicht mehr aufzuhalten. Im SPOX-Interview spricht die 19-Jährige über Olympia-Träume, die Vorfreude auf Khanty-Mansiysk - und über eine böse Begegnung mit einer Slalomstange.

Cookie-Einstellungen

SPOX: Frau Gössner, in welche Schublade darf ich Sie jetzt eigentlich stecken. In die Langlauf-Schublade oder in die Biathlon-Schublade?

Miriam Gössner: (lacht) Ich sehe mich persönlich ganz klar als Biathletin. Ich habe den inneren Antrieb, Biathlon zu machen. Deshalb habe ich den ganzen Sommer hart an meiner Schießleistung gearbeitet und versucht, mich dort zu verbessern. Mein Problem ist, dass es so wahnsinnig schwer ist, in die Biathlon-Mannschaft zu kommen. Eigentlich ist das Team ja voll. Deshalb ist das Langlaufen eine Option, aber wie gesagt, ich würde gerne Biathlon machen.

SPOX: Was ist denn für Sie der faszinierende Aspekt am Biathlon?

Gössner: Der faszinierende Punkt ist die Gegensätzlichkeit. In einem Moment musst du dich völlig kaputt machen und im nächsten musst du wieder ganz ruhig sein, um diese fünf Scheiben zu treffen. Und selbst wenn bis zum letzten Schießen alles klappt, bringt es einem nichts, wenn man dann alles verballert. Auch mit einer Waffe umzugehen, finde ich total spannend. Im Prinzip musst du in zwei verschiedenen Sportarten perfekt sein - und nur wenn du beides verbinden kannst, hast du eine Chance, gut zu sein - das alles macht für mich den Reiz aus.

SPOX: Sie haben angesprochen, dass Sie sehr am Schießen gearbeitet haben. Ist es jetzt hauptsächlich eine mentale Sache?

Gössner: Mental ist es für mich eigentlich gar kein Problem, weil ich noch nie eine gute Schützin war. Ich habe meine Ergebnisse schon immer über das Laufen herausgeholt. Deshalb haut es mich nicht um, wenn es beim Schießen mal wieder nicht so funktioniert. Dennoch wäre es natürlich schöner, wenn ich zum Schießstand laufen könnte und wüsste: "Hey, ich bin eine super Schützin." Aber ich mache mir da keinen großen Kopf. Ich laufe einfach hin und gebe mein Bestes.

SPOX: Wenn Sie nur halbwegs passabel schießen, haben Sie aufgrund Ihrer Laufstärke immer eine Chance auf Top-Platzierungen. Woher kommt der Gössner-Turbo?

Gössner: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich habe von klein auf unglaublich viel Sport gemacht. Meine Eltern haben mich überall hin mitgenommen, ob auf den Berg, zum Radeln oder zum Skifahren. Das hat mir alles wahnsinnig viel Spaß gemacht. Aber woher es kommt, dass das Laufen meine Stärke ist, kann ich nicht sagen. Ich laufe halt ganz schnell (lacht).

SPOX: Schnell genug, um schon in dieser Saison ganz vorne mitzumischen?

Gössner: Nein, das glaube ich nicht. Ich merke, dass es noch ein Riesenunterschied zwischen dem Juniorinnen-Bereich und den Damen ist. Da liegen Welten dazwischen. Ich musste ganz schön schlucken, als ich gesehen habe, was die Mädels drauf haben. Das ist gigantisch.

SPOX: Aber man kann schon davon ausgehen, dass Sie bei den Olympischen Spielen in Vancouver dabei sind, oder?

Gössner: Klar wäre es schön, aber es wird verdammt schwer, sich zu qualifizieren. Ich bin erst 19 Jahre alt und habe noch viel Zeit, aber natürlich will ich so schnell wie möglich so gut wie möglich sein. Ich denke aber weniger an Olympia, als daran, dass ich mich in dieser Saison weiterentwickele. Das ist das Wichtigste - Stillstand wäre schlecht. Wenn ich überall einen Schritt nach vorne mache und für mich danach sagen kann, dass ich mir das so vorgestellt habe, dann bin ich zufrieden. Meine Ziele sind nicht so sehr an Vancouver gebunden.

SPOX: Sie hatten ja auch gar nicht vor, mal als Biathletin oder Langläuferin Karriere zu machen. Sie wollten doch Skifahrerin werden.

Gössner: Das stimmt. Ich wollte unbedingt eine große Skifahrerin werden. Das hat sich alles erst geändert, als ich mit 14 Jahren einen schlimmen Sturz hatte, bei dem ich mir die Zähne ausgeschlagen und Brüche im Gesicht zugezogen habe. Ich bin am Gudiberg gegen eine Slalomstange gefahren, das war nicht so angenehm. Ich hatte lange Probleme mit den Zähnen, bin ein halbes Jahr mit einer Zahnlücke herumgelaufen und habe erst im letzten Jahr meine Implantate bekommen. Ich hoffe, ich habe da endlich mal Ruhe.

SPOX: Und wie genau ist dann Biathlon ins Spiel gekommen?

Gössner: Das war Zufall. Ich war beim Zahnarzt und die Zahnarzthelferin ist die Frau meines jetzigen Biathlon-Trainers. Sie hat mich ermutigt, es doch mal auszuprobieren und so hat alles angefangen.

SPOX: Können Sie sich noch an Ihr erstes Biathlon-Rennen erinnern?

Gössner: An mein erstes Biathlon-Rennen im Sommer kann ich mich noch ganz genau erinnern. Ich war 14 Jahre alt, habe alles daneben geschossen, aber bin so gelaufen, dass ich trotzdem gewonnen habe. Das war cool.

SPOX: Alle Zuschauer kennen die Bilder, wenn die Athleten völlig erschöpft ins Ziel kommen. Wie fertig ist man da eigentlich?

Gössner: Es kommt darauf an, wie man im Rennen liegt. Wenn man weiß, dass man keine Chance mehr hat, strengt man sich zwar auch noch an, aber wenn man weiß, dass es um den ersten Platz oder eine Medaille geht, ist es noch mal etwas anderes. Da schaltest du alles aus und quälst dich. An die Schmerzen denkt man gar nicht. Erst im Ziel merkst du dann, wie die Beine brennen, wie du am Schnaufen bist, wie einfach alles wehtut. Aber wenn man dann wieder zu Atem kommt, ist es ein richtig schönes Gefühl. Man erholt sich ziemlich schnell wieder.

SPOX: Haben Sie ein Vorbild?

Gössner: Ja, mein großes Vorbild ist Liv Grete Poiree. Auch ihren Mann Raphael finde ich toll. Mir hat es imponiert, wie sie Familie und Karriere unter einen Hut bekommen haben. Liv Grete hat so viel erreicht und ist dabei so normal und sympathisch geblieben. Eine tolle Frau. Aber ich kann mir natürlich auch von meinen deutschen Teamkolleginnen eine Menge abschauen. Jede hat ihre Stärken - und jede gibt mir auch Tipps und muntert mich auf, wenn es mal nicht so gut läuft. Der Zusammenhalt in der Mannschaft ist phänomenal.

SPOX: Liv Grete Poiree ist Norwegerin. Sie haben auch eine besondere Beziehung zu Norwegen.

Gössner: Ja, meine Mutter ist Norwegerin. Ich bin halb Norwegerin, halb Deutsche. Ich habe beide Staatsbürgerschaften und bin auch zweisprachig aufgewachsen. Meine ganze Familie ist dort, ich habe einen sehr engen Bezug und freue mich immer besonders auf die Wettkämpfe, die in Norwegen stattfinden.

SPOX: Also lieber Oslo als Khanty-Mansiysk?

Gössner: (lacht) Ich weiß nicht. Ich war noch nie in Khanty-Mansiysk, ich freue mich drauf und bin gespannt, wie es da so ist.

SPOX: Wenn Sie mal nicht unterwegs sind, was machen Sie dann?

Gössner: Nichts Besonderes. Ich koche und backe viel, treffe mich mit meinen Freundinnen, oder ich mache eine Shopping-Tour. Ganz normale Dinge, die jedes Mädel gerne macht.

SPOX: Sie wirken total entspannt. Gefällt es Ihnen, ein wenig im Rampenlicht zu stehen?

Gössner: Sagen wir mal so: Ich finde es nicht schlimm. Wenn man im Rampenlicht steht, heißt das ja, dass man vorher gute Erfolge gehabt haben muss. Das gehört dann dazu und es macht mir auch Spaß. Ich bin aber eigentlich niemand, der groß auf Star-Gehabe steht. Ich habe auch keine Poster in meinem Zimmer (lacht). Weder von Sportlern noch von Popstars.

SPOX: Welche Schlagzeile würden Sie denn am Ende der Saison gerne über sich lesen?

Gössner: "Olympiasiegerin Miri Gössner" - das wäre natürlich ein Traum. Aber mir würde es schon reichen, wenn darüber berichtet werden kann, dass ich endlich mal die Schießleistungen, die ich im Training bringe, auch im Wettkampf umgesetzt habe. Das wäre mein Wunsch. Ich weiß nämlich, dass ich gut schießen kann.

Der Biathlon-Kalender der Damen

Artikel und Videos zum Thema