Problem: Die gesamte Tennisszene hasst die Reform.
Reporter-Legende Herbert Gogel, der die Partie zusammen mit Experte Benjamin Ebrahimzadeh auf DAZN kommentiert, und SPOX-Chefreporter Florian Regelmann haben sich zum Davis-Cup-Gespräch getroffen.
Herbert, lass uns zunächst über unsere schönsten Davis-Cup-Erinnerungen sprechen.
Herbert Gogel: Ich bin ja ein bisschen älter und da fällt mir natürlich gleich das Drama von Hartford 1987 ein. Boris Becker vs. John McEnroe. 4:6, 15:13, 8:10, 6:2, 6:2.
Moment mal, das ist auf jeden Fall auch eine meiner prägendsten Erinnerungen. Ich war knapp 7 Jahre alt und habe es im Schlafzimmer der Eltern gesehen. Es ging ewig.
Gogel: Es ging wirklich ewig. Über sechs Stunden. Was für ein unglaubliches Ding. Das war ja damals ein Playoff-Match, um in der Weltgruppe zu bleiben. Ein Jahr später kam dann natürlich der Triumph in Schweden, als Charly Steeb mit seinem wahnsinnigen Sieg gegen Mats Wilander zum Helden von Göteborg wurde. Genauso unvergessen sind für mich aber Michael Stich und seine neun vergebenen Matchbälle gegen Andrei Chesnokov 1995.
Neun. Verdammte neun Matchbälle. Und am Ende hieß es in Moskau: 4:6, 6:1, 6:1, 3:6, 12:14.
Gogel: Ich habe Michael Jahre später gefragt, wie das passieren konnte. Es war ihm unerklärlich. Aber Chesnokov hat auch keinen Ball mehr verschlagen. Ich war damals auf dem Weg zum Turnier in Basel und habe das Drama im Radio verfolgt. Ein Kollege hat immer bei Einstand kommentiert, einer bei Vorteil Stich, ich habe gedacht, ich sterbe. Lustigerweise hat Mikhail Youzhny, der damals Ballkind war, Chesnokovs Schuhe geklaut, die dieser vor der Kabine stehen gelassen hatte, die hat er heute noch bei sich zuhause als Souvenir. Aber es gab auch ohne deutsche Beteiligung viele überragende Matches.
Heftige Kritik von Lleyton Hewitt
Das wollte ich gerade sagen. Zu meinen liebsten Erinnerungen gehören noch der Triumph der Schweiz mit Roger Federer und Stan Wawrinka in Frankreich, als der Maestro mit dem Sieg gegen Richard Gasquet alles klarmachte. Und der Sieg der Briten um Andy Murray war auch großes Kino. Das Halbfinale gegen Australien in Glasgow, das Doppel der Murray-Brüder gegen Lleyton Hewitt und Sam Groth, das war Weltklasse. Das war Gänsehaut ohne Ende.
Gogel: Und genau deshalb ist es auch so eine Tragödie, was momentan passiert. Während der Australian Open gab es diese Video mit der Boyband bestehend aus McEnroe, Becker, Wilander, Corretja und Leconte, die Knocking on Heavens Door etwas umgetextet performt und den Davis Cup offiziell beerdigt haben. Wir müssen ehrlich sein: Den Davis Cup, den wir alle geliebt haben, gibt es nicht mehr. Was wir jetzt erleben, hat damit nichts zu tun und ist eine komplett andere Veranstaltung.
Wenn wir jemanden finden wollen, der sich positiv äußert, wird das nahezu unmöglich sein. Hewitt hat in dieser Woche erst wieder Gerard Pique heftig kritisiert. Motto: Der Fußballer hat halt einfach keine Ahnung vom Tennis. Und natürlich hat er nicht unrecht.
Gogel: Yannick Noah hat sich ja ähnlich kritisch geäußert. Ohne es zu verteufeln ist es einfach nicht mehr das gleiche. Wenn ich daran denke, welche Atmosphäre in Lille geherrscht hat, als die Franzosen im Finale gegen die Schweiz zum ersten Mal ins Fußballstadion gegangen sind. Oder die Spanier in der Stierkampfarena.
Oder Auswärtsspiele in Brasilien wie 1992 in der Hölle von Rio, als Becker über die Bälle geschimpft hat und während des gesamten Matches die Trommeln und Trompeten zu hören waren. Das will ich sehen!
Gogel: Das haben ja auch die Spieler genossen, wenn alle gegen einen waren. Daran kann man ja auch wachsen. Das fällt alles jetzt weg. Jetzt sehen wir vielleicht ein Finale zwischen Belgien und Österreich. Das interessiert in Madrid keine Sau.
Österreich mit kniffliger Aufgabe gegen Chile
Und dass nur noch Best-of-3 gespielt wird, mag aufgrund der geringeren Belastung etwas für sich haben, aber auch das ist eben nicht Davis Cup.
Gogel: Das stimmt. Das Drama der entscheidenden Matches, die über fünf Sätze gehen können, das ist alles Geschichte. Dazu kommt ja noch, dass der ATP Cup für die Spieler deutlich reizvoller werden wird. Weil Punkte vergeben werden und weil der Termin vor den Aussie Open vor allem ja perfekt ist. Aber das Davis-Cup-Finale Ende November in Madrid zu spielen? Alle Spieler, die nicht in London dabei sind, sind da ja schon längst im Urlaub und müssten sich noch einmal extra für diese Woche vorbereiten. Die sagen natürlich: "Habt ihr sie noch alle?"
So haben wir die skurrile Situation, dass Alexander Zverev jetzt gegen Ungarn spielen wird, aber schon sehr klar gesagt hat, dass er zu hundert Prozent gegen das System ist und für das Finalturnier auf keinen Fall zur Verfügung stehen wird.
Gogel: Es weiß generell niemand so recht, wer da mit welcher Mannschaft antreten wird. Österreich hat mit Alex Peya und Oliver Marach zwei Weltklasse-Doppelspieler, Domi Thiem kann immer zwei Einzel gewinnen. Plötzlich gewinnt Österreich den Davis Cup, weil sonst keiner mitspielt. (lacht) So weit weg ist das nicht.
Absolut. Wobei Österreich jetzt ohne Thiem gegen Chile (Fr., 15 Uhr LIVE auf DAZN) ein großes Problem bekommen könnte. Nicolas Jarry und Christian Garin ist kein schlechtes Duo, mal schauen, wie sich der junge Jurij Rodionov schlägt, aber ich tippe auf Chile...
Gogel: Da müssen sie sich zusammenreißen, das stimmt. Beim deutschen Duell gegen Ungarn muss man ja aber sagen, dass wir mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Ungarn ohne Topspieler Fucsovics
Mit Marton Fucsovics fehlt den Ungarn ihr Topspieler, der auf Rang 47 der Weltrangliste steht und das Duell hätte interessant machen können. Aber so spielen sie mit Zsombor Piros und Peter Nagy. Okay, Piros hat 2017 immerhin den Junioren-Wettbewerb der Australian Open gewonnen. Aber Nagy hat aktuell nicht mal ein ATP-Ranking. Niemand kennt die Jungs wirklich.
Gogel: Ich weiß gar nicht, warum Fucsovics nicht spielt. Das wird eine ganz schnelle Nummer werden und ohne Satzverlust über die Bühne gehen, ratzfatz. Alles andere würde mich sehr überraschen.
Immerhin ist die Halle voraussichtlich ausverkauft.
Gogel: Die Leute wollen Sascha Zverev sehen. Wenn Zverev in Deutschland spielt, ist es immer ein Spektakel. Auch wenn der Junge polarisiert. Er hat wahnsinnige Voraussetzungen, aber er hat denke ich immer noch das Problem, sich in manchen Situationen am Riemen zu reißen. Er flippt mir auch zu schnell aus und haut dann den Schläger so kaputt wie in Melbourne.
Dafür habe ich allerdings persönlich sehr viel Verstädnis. Das muss manchmal sein.
Gogel: Aber er verliert dann komplett den Faden. Er kann jeden schlagen, aber auch fürchterlich untergehen. Von der Stabilität eines Novak Djokovic trennen ihn Welten. Wie der einen Rafa Nadal im Finale aus dem Stadion getrieben hat, war beeindruckend. Die Zusammenarbeit mit Ivan Lendl muss jetzt Wirkung zeigen. Er muss ihm sagen: Pass auf, Junge, die ATP-Finals zu gewinnen ist eine Sache, aber für einen Grand Slam musst du sieben Matches gewinnen, Best of five, das ist noch mal eine andere Hausnummer.
Davis Cup: So funktioniert der neue Modus
Neben Zverev wird Philipp Kohlschreiber im Einzel auflaufen. Wie lange spielt Kohli eigentlich noch?
Gogel: Ich kenne Kohli noch als kleinen Jungen, als er damals für Iphitos Bundesliga gespielt hat. Ich glaube, er kommt jetzt in ein Alter, in dem er sich überlegen wird, wie lange er sich die Strapazen noch antut. Vielleicht wird er es langsam etwas ausklingen lassen. Auch weil er nicht die Möglichkeiten und die Leichtigkeit eines Federer hat, mit 37 oder 38 noch so gut zu spielen. Kohli ist ein feiner Kerl, der viel erreicht hat. Denken wir doch zum Beispiel an seinen Sieg gegen Djokovic bei den French Open.
6:4, 6:4, 6:4. Bäm.
Gogel: Wir wissen ja, welche genialen Schläge Kohli drauf hat. Und da hat er einfach alles getroffen.
Im Doppel haben wir mit Jan-Lennard Struff und Tim Pütz ein formidables Duo gefunden. Die werden den Finaleinzug dann am Samstag perfekt machen. Wie läuft das dann mit dem Finale? Wie ist der Modus, Herbert?
Gogel: Den Modus kannst du auch niemandem erklären. Wir fangen also jetzt an mit 24 Mannschaften, 12 gehen durch ins Finale. Dazu kommen die vier Halbfinalisten des Vorjahrs, Kroatien, Frankreich, Spanien und die USA - und zwei Wildcards, Argentinien und Großbritannien. Aus den 18 Nationen werden dann fürs Finalturnier sechs Dreiergruppen gebildet, die Gruppensieger und die besten zwei Zweiten kommen ins Viertelfinale. Dann geht es im K.o.-Modus weiter, es werden immer nur zwei Einzel und ein Doppel gespielt. Aber wie da genau das System ist fürs Viertelfinale, wie gesetzt oder ausgelost wird, keine Ahnung. Früher hat sich der Davis Cup selbst erklärt. 16 Mannschaften und los geht's.
Davis Cup, ATP Cup, der vom Entertainment-Faktor absolut überzeugende Laver Cup, hinter dem auch noch Federer steht. Wer soll da noch durchblicken?
Gogel: Und an den frei gewordenen Terminen im April und September soll es jetzt wohl irgendwelche Mixed-Wettbewerbe geben.
Echt? Klingt geil.
Gogel: Es ist einfach ein fürchterliches Durcheinander.