Mit der schwarzen Wollmütze sah Paul Biedermann aus, als wolle er in den tiefsten Winter hinaus. Dabei ging es nach dem Training in der WM-Schwimmhalle in die Hitze von Shanghai. "Hier zieht's halt manchmal. Da muss man aufpassen, dass man sich nicht erkältet", sagte der Doppel-Weltmeister. In letzter Minute soll bloß nichts mehr passieren, denn am Sonntag beginnt für den deutschen Schwimm-Star in China Teil eins der WM-Mission.
Über 400 m Freistil will der 24-Jährige seinen ersten Titel verteidigen - eine Aufgabe, bei der er sich von Beginn an keinen Fehler erlauben kann. "Es gibt kein Taktieren", sagte Biedermann mit Blick auf den Vorlauf am Morgen, "da muss ich schon die Zeit von den Deutschen schwimmen, um ins Finale zu kommen." Bei der DM in Berlin hatte er in 3:47,44 Minuten die WM-Norm eigentlich verpasst - als derzeit Zehnter der Welt.
Steffen startet in der Staffel
Seine Lebensgefährtin Britta Steffen hat dagegen noch ein paar Tage Zeit, bis sie im WM-Stadion "Krone" nach Einzel-Medaillen greift. Zunächst hat die 4x100-m-Freistilstaffel Vorrang, die möglichst den Silber-Erfolg von Rom 2009 wiederholen will. Ob die Doppel-Olympiasiegerin schon im Vorlauf ins Becken steigt, ist noch offen.
Die Chancen auf Edelmetall wollte sie nicht beziffern. "Das ist schwer zu sagen, man weiß nie, wie die anderen drauf sind", sagte die 27-Jährige, die in Shanghai ihre Titel über 50 und 100 m Schmetterling verteidigt.
Zwei Tage vor dem ersten Start beschäftigte die Berlinerin vor allem der Fall Cesar Cielo. "Krass" nannte sie die Entscheidung des internationalen Sportgerichtshofes CAS, den brasilianischen Olympiasieger trotz Dopingbefunds starten zu lassen, und fragte: "Wozu macht man dann überhaupt noch Dopingtests?"
Steffen: "Das macht alles kaputt"
Dass die Richter es bei einer Verwarnung beließen, konnte Steffen nicht verstehen: "So kann jeder machen, was er will. Das ist traurig und bitter. Es macht alles kaputt und unglaubwürdig." Sprint-Weltrekordler Cielo hatte erklärt, das Diuretikum Furosemid unwissentlich mit einer Koffein-Kapsel eingenommen zu haben. Der Brasilianer klettert am Sonntag ebenfalls zum ersten Mal auf den WM-Startblock. Über 50 m Schmetterling ist der 24-Jährige als Weltjahresbester Topfavorit auf Gold.
So klar sind die Rollen in Biedermanns erstem Rennen nicht verteilt. Europameister Yannick Agnel, der ihm in Budapest im vergangenen Jahr Gold vor der Nase wegschnappte, ist möglicherweise nicht einmal der härteste Konkurrent. Olympiasieger Park Tae Hwan kommt entgegen, dass wieder ohne Wunderanzüge geschwommen wird. Die große Unbekannte ist Chinas Senkrechtstarter Sun Yang, der von 200 bis 1500 m alle Weltranglisten anführt.
Biedermann will sich ohne Anzug beweisen
Das Gerücht, der 19-Jährige sei im Training 3:40 geschwommen, kommentierte Biedermanns Trainer Frank Embacher gelassen: "Selbst wenn, im Wettkampf muss er sich zeigen." Von seinem Schützling erwartet er vor allem einen hellwachen Vorlauf. "Da muss er schon richtig Gas geben", sagte Embacher, "3:46 muss er schwimmen, das wird eine harte Sache."
In Shanghai steht Biedermann ohnehin unter besonderer Beobachtung. Der Hallenser muss zeigen, dass sein sensationeller Doppel-Triumph von Rom nicht nur ein Produkt seines High-Tech-Anzugs war. "Ich möchte mich gerne beweisen und meine beiden Weltmeistertitel verteidigen", sagte er und fügte an: "Ich bin nicht blöd, ich weiß, wie schwer das wird."
Wie stark Biedermann als "Nacktschnecke" über 400 m ist, wird auch US-Star Michael Phelps interessieren. Der Rekord-Olympiasieger, der rechtzeitig vor der WM nach eigener Aussage die Lust am Schwimmen wiedergefunden hat, hat über 200 m noch eine Rechnung mit dem Deutschen offen. Der raubte ihm in Rom Gold und Weltrekord.
