Real Madrid: Unterschätzter Stratege! Wie Carlo Ancelotti den Heldenfußball abschaffte

Von Justin Kraft
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Real Madrid scheint vor dem Duell mit dem FC Bayern München in der Champions League wieder das Maß aller Dinge zu sein. Auch weil es Carlo Ancelotti gelang, den Heldenfußball der Königlichen abzuschaffen – und er damit abermals bewies, dass er ein unterschätzter Stratege ist.

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"Man darf niemals glauben, dass die Taktik, die man heute erfolgreich einsetzt, auch morgen noch erfolgreich sein wird." Ein Zitat, das man vielleicht Pep Guardiola zuschreiben könnte.

Tatsächlich aber stammt es von einem Trainer, der 2022 bei einer Meisterfeier viral ging, weil er mit einer Zigarre im Mund mit seinen Spielern posierte. Einer, der nach dem Champions-League-Sieg 2022 mit ihnen auf dem Platz anfing zu tanzen und herumzuspringen, als wäre er ihr Kumpel. Und einer, dem eher unterkomplexe Methoden nachgesagt werden. Die Rede ist von Carlo Ancelotti.

In der Schublade der großen Taktiker taucht dieser selten auf. Dafür wird ihm ein einmaliger zwischenmenschlicher Umgang attestiert, der sich zwischen väterlicher Strenge, Fürsorge und eben auch mal Augenhöhe und Kumpelei bewegt. Zweifellos ist das, will man es sehr verkürzt darstellen, der Kern seines Erfolgs: Menschenführung.

Im Sommer 2016 veröffentlichte der 64-Jährige ein Buch. "Quiet Leadership - Wie man Menschen und Spiele gewinnt" - treffender hätte der Titel kaum sein können. Spieler, die auch nur ein schlechtes Wort über ihn verlieren, sind selten.

Aus diesem Buch stammt aber auch das obige Zitat. In vielen Passagen des Werks wird deutlich, dass Ancelotti nicht nur deshalb Spiele gewinnt, weil er Menschen für sich gewinnt, sondern auch weil er an der Taktiktafel etwas drauf hat.

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Real Madrid unter Carlo Ancelotti: Das Ende des Heldenfußballs?

Womöglich ist das Schubladendenken bei ihm auch einfach der Tatsache geschuldet, dass Menschen ihn gern als Gegenpol zu Trainern wie Guardiola betrachten. Doch nicht nur seine herausragende Vergangenheit zeigt, wie gut Ancelotti im taktischen Bereich ist.

Der Weg, den Real Madrid unter ihm seit 2021 gegangen ist, ist bemerkenswert. Zunächst übernahm er das, was über Jahre funktioniert hat, gewann damit unter anderem die Champions League: ein 4-3-3 mit Karim Benzema als klarem Zielspieler sowie einem starken Zentrum - angeführt von Toni Kroos und Luka Modric.

Ancelotti konnte sich auf den in den Jahren davor erfolgreichen Heldenfußball verlassen, weil die Voraussetzungen dafür perfekt waren: Real Madrid hatte auf Schlüsselpositionen die besten Spieler - oder die besten Helden der Welt. Der Kader war aufeinander eingestellt. Es brauchte keine taktischen Veränderungen, sondern einen Trainer, der die Helden in die richtige Richtung lenkt. Einen Nick Fury für die Avengers der Königlichen.

Doch im Laufe der Zeit waren noch weitere Qualitäten gefordert. Noch während Real Madrid mit altbewährten Methoden Titel gewann, fand eine Weiterentwicklung statt. Spieler wie Eduardo Camavinga, Aurélien Tchouaméni und Jude Bellingham wurden über die Jahre fürs Mittelfeld verpflichtet. Ehemals tragende Säulen wie Karim Benzema, Sergio Ramos und Marcelo verließen den Klub.

Spieler, die noch vor der Anstellung Ancelottis verpflichtet worden waren, rückten stärker in den Mittelpunkt: Vinícius Júnior, Rodrygo und Federico Valverde beispielsweise. Der Umbruch, der einst so gefürchtet wurde, verlief schleichend, aber erfolgreich.

Ein wichtiger Faktor dafür war, dass Ancelotti diesen jungen Spielern rechtzeitig die Möglichkeit gab, sich aus dem Schatten der Großen ins Rampenlicht zu spielen - und er das gleichzeitig allen vermitteln konnte. Spätestens in dieser Saison hat Real Madrid den reinen Heldenfußball ad acta gelegt. Gemeinsam mit den noch vorhandenen königlichen Avengers werden gerade neue Helden ausgebildet, die vom Trainer etwas mehr Anleitung und Struktur benötigen als die Superstars, die bereits alles in ihrer Karriere erlebt haben.

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Carlo Ancelotti: So krempelt er Real Madrid um

Und so wie Ancelotti der richtige Trainer dafür war, das Bestehende noch ein Stück weit zu verwalten, so war er der richtige Mann für den Umbruch und die Entwicklung hin zu etwas Neuem. "Tatsächlich kann Stillstand Rückschritt bedeuten", erklärt Ancelotti in seinem Buch. Diesen hat er in Madrid vermieden.

Im vergangenen Sommer hat man mit Benzema den Schlüsselspieler der Offensive abgegeben, Luka Modric kommt bisher nur auf 1.944 Minuten (Platz 13 im Kader), auch die Verletzung des 31-Jährigen David Alaba musste Ancelotti auffangen. Seine Antwort: Weg vom zuvor in Stein gemeißelten 4-3-3 - zumindest teilweise.

Auf dem Papier liefen die Königlichen meist in einem 4-4-2 mit Raute auf, in der Praxis gestaltet sich das etwas variabler. Der Fokus liegt klar darauf, das zentrale Mittelfeld zu kontrollieren. Was Modric und Kroos einst nahezu im Alleingang gelang, schultern nun vier Spieler: Gegen Manchester City waren es Kroos, Camavinga, Valverde und Bellingham.

Kroos ist der Puls- und Taktgeber auf der halblinken Seite, im Zentrum agiert mit Camavinga zumeist ein zweikampfstarker Spieler, der aber auch technisch sehr gut ist. Halbrechts hat Valverde ein ähnliches Ziel wie Kroos: Verbindungen in die Offensive knüpfen. Das gelingt ihm aber hauptsächlich durch Dribblings und Tiefenläufe statt durch sein Passspiel.

Bellingham ist der Schlüsselspieler in Reals neuem System. "In einer Art Zehner-, Neuner-, Achter-, Sechser-Rolle in Personalunion", witzelte Thomas Tuchel auf der Pressekonferenz am Montag über den kommenden Gegner. Einerseits ist Bellingham mit seiner Pressingresistenz und Kombinationsstärke das Bindeglied zwischen den drei Mittelfeldspielern und den beiden anderen Angreifern Rodrygo und Vinícius Júnior.

Wenn Kroos also entscheidend dafür ist, einen Angriff ins Laufen zu bekommen, dann ist Bellingham das zentrale Puzzlestück, um Angriffe zu vollenden. Auf der anderen Seite zieht er durch seine Bewegungen oftmals Räume in der gegnerischen Abwehrkette auf, weil er sich zwischen Neuner- und Zehnerposition bewegt. Das wiederum ermöglicht es Rodrygo und Vinícius Júnior, auch gegen tiefstehende Gegner mit Tempo hinter die Abwehrkette zu kommen. Mit Bellingham als falschem Neuner oder falschem Zehner entstehen dann auch wieder 4-3-3-Strukturen in Reals Spiel. Die Variabilität des Engländers hilft enorm dabei, das Spiel zu kontrollieren und kaum ausrechenbar zu sein.

Trotz einiger Veränderungen in der Startelf hat es Ancelotti in den vergangenen Jahren geschafft, den Kern dessen, was Real Madrid ausmacht, zu behalten. Die Aufgabe gegen die Königlichen bestehe darin, meinte Tuchel, "genügend Leute in die Offensive mitzubringen, um ihnen wehzutun, aber sich gleichzeitig nicht zu entblößen". Gerade weil das Team die Balance aus Offensive und Defensive nahezu perfekt beherrscht. Einen Umbruch derart souverän und abgeklärt zu meistern wie Ancelotti, verdient höchste Anerkennung.

Nach Capello folgte eine Durststrecke von sechs Jahren, ehe mit Ex-Profi Carlo Ancelotti (Trainer von 2001 bis 2009) der Erfolg zurückkehrte. 2002/03 gewann Milan den italienischen Pokal und zum sechsten Mal die Champions League.
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Carlo Ancelotti: Spielt Real Madrid mit der Milan-Raute?

Die neue Grundordnung passt zu den einzelnen Stärken der Spieler. Bereits Anfang der 2000er ließ Ancelotti bei der AC Milan ein System mit Mittelfeldraute spielen. In der Champions League brachte ihm diese Formation 2003 den ersten Königsklassen-Titel als Trainer.

Mit Filippo Inzaghi und Andriy Shevchenko hatte der Italiener zwei Weltklassestürmer im Kader. Dahinter gab es mit Rui Costa als Zehner und Andrea Pirlo auf der Sechs zwei klare Taktgeber und Spielmacher, die vom zweikampfstarken Gennaro Gattuso und dem dynamischen Clarence Seedorf unterstützt wurden.

Real Madrid hat nun zwei weniger physisch veranlagte Stürmer als Milan damals. Doch die neue taktische Ausrichtung hilft ihnen enorm dabei, die entsprechenden Räume zu finden und nicht hektisch mit Flanken agieren zu müssen.

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Carlo Ancelotti: Der unterschätzte Stratege

Hektik gibt es im Wortschatz von Ancelotti ohnehin nicht. Die Ruhe und Gelassenheit, die er ausstrahlt, überträgt sich auf seine Spieler. Als er 2014 mit Real Madrid den FC Bayern München im Halbfinale ausschaltete, sei zuvor jeder bei den Königlichen "in Sorge wegen des Ballbesitzfußballs" gewesen, den Pep Guardiola dort spielen ließ, erklärt Ancelotti in seinem Buch.

Der Italiener machte den Ballbesitz des Gegners zur Stärke des eigenen Teams. Kontrolle ohne Ball. Es ist das Erfolgsrezept von Real Madrid in der Champions League. Das hat sich auch in dieser Saison nicht verändert. Madrid verlor insgesamt erst zwei Partien. Im Schnitt holen sie 2,53 Punkte pro Spiel.

Wer glaubt, ein Trainer könne das alles nur mit einer guten Beziehung zu den Spielern erreichen, irrt sich. "Ich glaube nicht, dass Carlo Ancelotti sagt 'Jungs, findet mal eure Positionen'", erklärte Tuchel richtigerweise: "Das ist sehr flexibel, sehr ausgereift, total automatisiert und natürlich auch die Handschrift von Carlo Ancelotti."

Doch der Bayern-Trainer sagte noch etwas über seinen Kollegen: "Es ist ja immer die große Gefahr bei Schubladen, dass man die aufmacht und jemanden reinsteckt und dann vergisst, die nochmal aufzumachen und sein Bild zu verändern." Die Menschenführung ist ganz sicher hochrelevant für den Erfolg von Carlo Ancelotti. Doch bei Real Madrid beweist er abermals, was für ein großartiger Stratege und Taktiker er ist.

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