Christian Prokop über die Medienkritik während der EM
SPOX: Seit Sie Bundestrainer sind, stehen Sie logischerweise viel mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Täuscht der Eindruck, dass Sie eigentlich nicht gerne im Mittelpunkt stehen und deshalb die Medienarbeit eher so etwas wie ein notwendiges Übel für Sie ist?
Prokop: Der Eindruck täuscht. Es geht um einen guten Mix. Sie wissen selbst, wie es bei großen Turnieren abläuft. Es gibt nach einer Partie die Mixed Zone, die Pressekonferenz und am einzigen spielfreien Tag wieder eine Pressekonferenz. In der Zwischenzeit hat man aber vor allem die Aufgabe, das vergangene Spiel auszuwerten, die nächste Partie vorzubereiten und das Training zu leiten. Da können Sie sich vorstellen, dass man nicht immer so viel Geduld hat und nicht auch noch auf die zehnte Frage charmant antworten möchte. Grundsätzlich nehme ich aber Medientermine in Maßen gerne wahr.
SPOX: Während und nach der EM gingen die Medien nicht gerade zimperlich mit Ihnen um. Es wurden teilweise Geschichten an die Öffentlichkeit getragen, die nach allem, was man heute weiß, so nie vorgefallen sind. Haben Sie sich ungerecht behandelt gefühlt?
Prokop: Es wurde viel schwarz oder weiß gesehen und es wurde viel spekuliert. Diese Spekulationen haben sich immer weiter verstärkt, teilweise ohne richtig recherchiert worden zu sein. Die Art und Weise, wie wir letztlich ausgeschieden sind - nämlich mit vielen Bällen ins leere Tor gegen Spanien - hat natürlich für noch negativere Stimmung gesorgt. Ich habe aber daraus meine Lehren gezogen.
SPOX: Welche konkret?
Prokop: Das Handy wird mich während der WM kaum begleiten. Ich werde soziale Netzwerke oder diverse Newsletter in dieser Zeit ignorieren. Das kostet Zeit und Energie. Ich will nicht, dass ich durch Ablenkung den Fokus auf meine Mannschaft verliere beziehungsweise verringere. Ich werde mich von den Mitarbeitern beim DHB über die wichtigsten Dinge informieren lassen. Ansonsten werde ich im WM-Tunnel sein.
Christian Prokop holt sich Tipps von Heiner Brand
SPOX: Womit man besonders bei einer Heim-WM ohnehin mehr als genug zu tun hat. Heiner Brand erzählte kürzlich, wie bei ihm im Vorfeld der WM 2007 immer mehr der Druck die Vorfreude verdrängt hat. Wie ergeht es Ihnen gut einen Monat vor Beginn der Weltmeisterschaft?
Prokop: Ich befinde mich in der Phase der immer weiterwachsenden Vorfreude. Wir setzen uns derzeit mit so vielen Dingen auseinander. Sei es die Kadernominierung, die Beurteilung der Leistungen der Spieler in der Bundesliga, die WM-Gegner, das Quartier oder die Lehrgangsplanung. Das macht unheimlich viel Spaß. Aber uns ist natürlich völlig klar: Mit Beginn des Turniers wird die Vorfreude in Verbindung mit einer hohen Erwartungshaltung eine positive Anspannung auslösen. Spieler und Trainer sind allerdings dafür geschult, damit umzugehen.
SPOX: Nutzen Sie in irgendeiner Form die Erfahrungswerte der Weltmeister von 2007?
Prokop: Ja. Es gibt einen relativ regelmäßigen Austausch mit Heiner Brand. Es gab Telefonate und Treffen, die sehr interessant waren. Ich schätze ihn sehr, nicht nur aufgrund seiner Leistungen und fachlichen Kompetenz, sondern auch wegen seiner respektvollen, bodenständigen Art. Er lässt sich selbst in dieser schnelllebigen Zeit nicht zu Parolen hinreißen. Ich lege viel Wert auf seine Meinung.
SPOX: Stimmt es eigentlich, dass Sie sich als Vorbereitung jedes einzelne Bundesliga-Spiel anschauen?
Prokop: Es sind sicherlich sehr viele, inklusive Champions League und EHF-Cup. Ich bin dabei immer auf der Suche nach neuen taktischen Möglichkeiten, sehe aber auch, welche altbewährten Dinge funktionieren. Außerdem geht es für mich als Bundestrainer darum, die aktuelle Leistung der Nationalspieler und eventueller Alternativen genau einschätzen zu können. Das kann ich nicht, wenn ich mir lediglich den THW Kiel anschaue. Ich will ebenso wissen, wie sich die Dinge beispielsweise in Friesenheim entwickeln.
Christian Prokop über seine Gedanken zur Kadernominierung
SPOX: Lassen Sie uns über den WM-Kader sprechen. Sie müssen am 10. Dezember ein vorläufiges 28er Aufgebot benennen, das Sie vor der WM auf 16 Mann kürzen müssen.
Prokop: Ich beschäftige mich seit Monaten intensiv mit der Kaderzusammenstellung. Den 28er Kader zu benennen, wird nicht die große Schwierigkeit. Sich aber vorzustellen, den Kader auf 16 Mann verkleinern zu müssen, ist schon eine ganz andere Aufgabe. Besonders wenn man bedenkt, wie gut wir im deutschen Handball in der Breite aufgestellt sind. Dabei wird es logischerweise für den einen oder anderen Spieler eine bittere Enttäuschung geben, es wird teilweise um Nuancen gehen. Das ist gerade bei einer Heim-WM hart. Genau deshalb ist es übrigens meine verdammte Pflicht, mir möglichst alle Spiele anzusehen. Ich muss gewissenhaft nach Form, Leistungsfähigkeit, Charakterstärke, Teamfähigkeit und Emotionalität auswählen.
SPOX: Sie gehen auf der Spielmacherposition einen ungewöhnlichen Weg. Bei der WM wird mit Martin Strobel ein Mann die Geschicke der Nationalmannschaft lenken, der in der 2. Liga in Balingen spielt. Was hat Sie dazu bewogen?
Prokop: Martin ist ein Ruhepol, hat eine hohe Akzeptanz innerhalb der Mannschaft, macht kaum Fehler und ist charakterlich einwandfrei. Er verfügt über eine hohe Spielintelligenz, ist selbst in Stresssituationen bei ausgeglichenem Spielstand in den letzten Minuten in der Lage, taktische Vorgaben umzusetzen. Ich bin mir bei ihm sicher, dass er uns verstärkt. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, dass er unsere Topklasse-Kreisläufer einsetzen kann. Bei der EM in Kroatien hatten wir pro Spiel zwei Abschlüsse vom Kreis, das war unterirdisch. Martin alleine wird es aber natürlich nicht richten können. Wir brauchen zudem die kreativen Momente beispielsweise eines Fabian Wiede oder Tim Suton.
SPOX: In den vergangenen Wochen gab es verschiedene Meldungen zu den WM-Chancen von Mimi Kraus. Klären Sie uns bitte auf.
Prokop: Die Tür ist für keinen Spieler zu. Trotzdem muss man ehrlich sagen, dass Mimis Chancen, bei der WM dabei zu sein, gering sind. Er ist ein Spieler, der den Unterschied machen kann und in den letzten Wochen eine starke Form hatte. Aber ich sehe Spieler wie Steffen Fäth, Fabian Böhm, Philipp Weber oder Paul Drux was das Gesamtpaket und die Konstanz in der Nationalmannschaft betrifft etwas weiter vorne.
SPOX: Wie schwer wiegt der verletzungsbedingte Ausfall von Julius Kühn?
Prokop: Das war ein Schock, es tut mir am meisten für Julius selbst leid. Er ist ein Spieler für die einfachen Tore, jenseits der neun Meter und deshalb nicht Eins-zu-Eins zu ersetzen. Durch seine Torgefährlichkeit ist der Gegner zum Rausrücken gezwungen, wodurch sich Räume ergeben. Aber wir haben dahinter beispielsweise mit Fäth und Böhm Kanoniere, die in seine Fußstapfen treten und uns einfache Tore bescheren können.
Prokop zur Art und Weise, wie das DHB-Team spielen soll
SPOX: Wie sehen Ihre wichtigsten Vorstellungen aus, wenn es darum geht, wie das DHB-Team bei der WM spielen soll?
Prokop: Wir müssen es aus taktischer Sicht schaffen, uns auf die unterschiedlichen Gegner immer wieder neu einzustellen, also ihre Schwächen auszunutzen. Gleichzeitig gilt es, einen guten Mittelweg zu finden, damit wir uns an unseren Stärken orientieren. Unsere Chance, weit zu kommen, existiert dann, wenn unser Abwehr-Torhüter-Gegenstoß-System funktioniert. Das ist das Hauptthema. Wir dürfen uns im Angriff kaum Fehler erlauben und wollen verstärkt über den Kreis agieren.
Der Vorrunden-Spielplan des DHB-Teams bei der WM 2019
Datum | Gegner |
Do., 10. Januar, 18.15 Uhr | Korea |
Sa., 12. Januar, 18.15 Uhr | Brasilien |
Mo., 14. Januar, 18 Uhr | Russland |
Di., 15. Januar, 20.30 Uhr | Frankreich |
Do., 17. Januar, 18 Uhr | Serbien |
SPOX: Wie wichtig wird es für die Mannschaft sein, die Fans mitzunehmen?
Prokop: Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Um in einen Flow zu kommen und die Fans zu begeistern, wird es auch um folgende Dinge gehen: Wie emotional spielen wir in den einzelnen Mannschaftsteilen? Wie feiern wir nach Toren? Wie schmeißen wir uns nach Bällen bei Misserfolg? Wie oft klatschen wir untereinander ab? Es geht darum, eine totale Gemeinschaft zu bilden, um auf einer Welle der Euphorie zu reiten. Es geht um Identifikation.
SPOX: Gibt es in dieser Hinsicht ein Vorbild?
Prokop: Ja, zum Beispiel die Eishockey-Nationalmannschaft bei Olympia. Die haben füreinander gefightet, die Leute konnten sich damit identifizieren und plötzlich saßen morgens um fünf Uhr Millionen von Menschen vor dem Fernseher.
SPOX: Welche konkreten Ziele setzt sich das DHB-Team?
Prokop: Zunächst einmal geht es wie gesagt um die Art und Weise, wie wir spielen. Nämlich möglichst konstant am Optimum und vor allem als Team mit vollem Einsatz. Dann kommt dazu, dass man einfach auch ein Quäntchen Glück braucht, um ein Halbfinale zu erreichen. Aber das ist das Ziel. Mit der Unterstützung des Publikums sind wir dazu in der Lage.
SPOX: Eine WM vorzubereiten, ist also für einen Bundestrainer ein enormer Aufwand. Was tun Sie, um den Kopf freizubekommen?
Prokop: Es ist in der Tat wichtig, sich nicht zu sehr in Dinge hineinzusteigern, die mit Handball zu tun haben. Darauf habe ich in letzter Zeit sehr bewusst geachtet. Ich gehe zwei bis drei Mal die Woche ins Fitnessstudio, entspanne in der Sauna und gehe joggen.
SPOX: Welche Rolle spielt bei der Ablenkung die Familie?
Prokop: Eine große Rolle. Mit zwei kleinen Kindern wird man glücklicherweise auch ein Stück weit dazu gezwungen, sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Wir haben viel Spaß zusammen.