Sidney Sam im Interview: "Plötzlich war ich Problem-Profi statt Top-Transfer"

Sidney Sam hat auf Schalke nie den Durchbruch geschafft
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SPOX: 2008 haben Sie sich für eine Leihe zum 1. FC Kaiserslautern entschieden. Welche Überlegungen haben dazu geführt?

Sam: Es begann mit dem Trainerwechsel von Stevens zu Martin Jol. Jol kam von Tottenham, hat anders trainiert, neue Spieler sind dazugekommen und die Jungen waren etwas außen vor. Ich musste wieder zu den Amateuren. Ich hatte damals einen neuen Berater, der mir aufgezeigt hat, was möglich ist. Ein Wechsel nach Holland zu Andries Jonkers Verein Willem II war ein Thema. Dann kam das Angebot aus Kaiserslautern. Und nach langem Hin und Her habe ich mich dafür entschieden. Das war schwierig, es war ja auch weit weg. Aber ich fand den FCK interessant. Großes Stadion, viele Fans und das klare Ziel Aufstieg. Das hat mich überzeugt.

SPOX: Aber die erste Saison lief schleppend.

Sam: Ich bin auf meine Spiele gekommen, aber meine Leistungen waren durchwachsen. Und Milan Sasic ist kein einfacher Trainer. Ich mag ihn persönlich sehr, aber es war anspruchsvoll, mit ihm zusammenzuarbeiten. Schließlich hat er mir mitgeteilt, dass er für die nächste Saison nicht mehr mit mir plant. Aber dann kam der Trainerwechsel und ich habe in den letzten vier Spielen vier Tore gemacht und war kurz davor, mit dem guten Gefühl der letzten Spiele wieder nach Hamburg zurückzukehren. Dann kam Stefan Kuntz auf mich zu.

SPOX: Was hat er gesagt?

Sam: Dass mich der Verein behalten möchte. Ich war verwirrt, weil ich dachte, sie wollen mich loswerden. Nach der Vorgeschichte war das eine schwierige Abwägung, aber ich habe einer weiteren Leihe zugestimmt. In der zweiten Saison lief es deutlich besser für mich und das Team. Am Ende sind wir aufgestiegen.

SPOX: Ihre Formkurve ging so steil nach oben, dass Bayer Leverkusen Sie im Sommer 2010 vom HSV verpflichtete. Um den Wechsel herum gab es Stimmen aus Hamburg, die Ihre Einstellung kritisierten.

Sam: Das habe ich auch irgendwann mal gehört...

SPOX: Hat mit Ihnen niemand offen darüber gesprochen?

Sam: Nein, ich glaube, sie hatten mich gar nicht auf dem Schirm. Ich hatte nicht das Gefühl, dass der HSV sich für meine Entwicklung interessiert hat. Leverkusen hat mir eine ganz andere Perspektive aufgezeigt. Was in Hamburg alles gesagt worden ist, habe ich gar nicht so richtig wahrgenommen. Ich musste den nächsten Schritt gehen und das war bei Bayer der Fall. Peter Hermann hatte mich davor intensiv beobachtet. Er und Michael Reschke haben sich extrem dafür eingesetzt, dass der Verein mich verpflichtet. Dann habe ich im Pokal auch noch gegen sie getroffen und wir sind mit Lautern weitergekommen.

SPOX: Hilfreich.

Sam: Klar, sowas ist wie ein Bewerbungsspiel. So hat sich der Wechsel ergeben.

SPOX: Sowieso treffen Sie gerne gegen Ex-Vereine - wie im November 2010, als Sie mit Bayer gegen Lautern das Tor des Monats erzielten.

Sam: Der Schuss ist vom Himmel gefallen, ich habe den super getroffen. Eigentlich das Tor des Jahres meiner Meinung nach. (schmunzelt) Aber Arjen Robben hat in dem Jahr gegen Manchester United auch so ein Volleytor gemacht. Das war ein Sahnestück. Aber klar, für mich war das Ding das Tor meiner Karriere.

SPOX: Sie haben in Leverkusen mit Jupp Heynckes gearbeitet. Wie haben Sie ihn als Trainer wahrgenommen?

Sam: Er hat auf alles sehr akribisch geachtet und die jungen Spieler am Boden gehalten. Er ist einfach eine Respektsperson. Wenn er spricht, hört man zu und tut, was er sagt. Aber ich habe etwas gebraucht, um mich zurechtzufinden. Erst im Herbst ist mit einem Tor der Knoten geplatzt. Und ab da lief es...

SPOX: Und zwar richtig gut. Sie waren zwischenzeitlich bester Scorer neben Arturo Vidal. Fiel es Ihnen in dieser Phase schwer, auf dem Boden zu bleiben?

Sam: Da wurde viel geschrieben, aber das stimmte nicht. Ich war immer bescheiden und demütig. Wissen Sie, warum?

SPOX: Erklären Sie.

Sam: Weil ich meine Karriere Schritt für Schritt aufbauen musste. Es war nicht so, dass ich direkt aus der A-Jugend in die Champions League gekommen bin und Millionen verdient habe. Ich musste mir alles hart erarbeiten.

SPOX: In den Jahren bei Leverkusen ging es langsam los, dass Sie immer wieder muskuläre Verletzungen hatten. Wie schwer fiel es Ihnen als Spieler, dessen Stern gerade am Aufgehen war, plötzlich häufiger zusehen zu müssen?

Sam: Es war vor allem eine große Ungewissheit. Wenn sich die muskulären Verletzungen häufen, hinterfragst du dich jeden Tag. Ich musste lernen, präventiv zu arbeiten und habe zusätzliche Einheiten im Kraftraum gemacht.

SPOX: Haben Sie auch Ihre Spielweise hinterfragt?

Sam: Das geht doch nicht. Ich kann nicht mit angezogener Handbremse spielen. Meine Spielweise hat mich da hingebracht, wo ich war.

SPOX: Im Sommer 2013 brachte diese Spielweise Sie für die USA-Reise in die deutsche Nationalmannschaft. Solche Reisen werden öffentlich kritisch gesehen. Halten Sie diese Wahrnehmung für falsch?

Sam: Absolut. Das sah man ja in diesem Sommer beim Confed Cup. Alle haben gesagt: "Da kommen jetzt nur die, die keine Rolle spielen." Aber Spieler wie Sandro Wagner, Leon Goretzka oder Lars Stindl haben diese Chance genutzt und auch danach eine wichtige Rolle gespielt. Das ist so wichtig für die Spieler, die nah dran sind, auch einmal eingeladen zu werden.

SPOX: Also waren diese vermeintlich unwichtigen Testspiele ein Höhepunkt Ihrer Karriere?

Sam: Klar, das ist die Nationalmannschaft. Wer kann denn von sich behaupten, dass er Länderspiele gemacht hat? Insofern ist es wichtig, das ernst zu nehmen.

SPOX: Für Sie selbst schürte das aber auch eine Erwartungshaltung, vielleicht bei der WM in Brasilien dabei zu sein. Wie groß war die Enttäuschung, als es nicht geklappt hat?

Sam: Es war sehr enttäuschend, weil ich eine super Hinrunde gespielt hatte. Das Problem war, dass ich in den letzten Wochen gefehlt habe. Da kann ich verstehen, dass sich der Bundestrainer im Zweifel für denjenigen entscheidet, der zuletzt im Rhythmus war. Aber für mich war es nicht einfach, denn ich war fester Bestandteil der Mannschaft. Insofern war ich mir zwar nicht sicher, aber ich habe mir Chancen auf die WM ausgerechnet.

SPOX: Verändert das, wie man ein Turnier verfolgt?

Sam: Natürlich tut es ein bisschen weh, weil man gerne dabei sein möchte, aber man schaut die Spiele trotzdem und hat auch Spaß. Das war eine tolle Mannschaft. In diesem Moment war ich stolz darauf, Teil des Teams gewesen zu sein.

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