Erlösung nach 28 Jahren: Ägyptens Hoffnungen ruhen auf Salah
Auf dem Tahrir-Platz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gab es kein Halten mehr. Hundertausende Menschen strömten auf die Straßen, rot-weiß-schwarze Flaggen und ein überdimensionales Feuerwerk tauchten die Nacht in die Nationalfarben. Wieder einmal wurde auf dem "Platz der Befreiung" ein Kapitel ägyptischer Geschichte zelebriert.
1954 einte sich hier das Volk, nachdem zuvor die Monarchie gestürzt wurde. 2011 trieb es die Menschen auf den Tahrir-Platz, um gegen Machthaber Husni Mubarak zu demonstrieren. Diesmal waren die Menschen zusammengekommen, um ihrem "König" Mo Salah I. zu huldigen.
Nationalheld Mohamed Salah, den sie liebevoll den "ägyptischen Messi" nennen, hatte die Pharaonen in der fünften Minute der Nachspielzeit zur WM geschossen. 90.000 (!) Zuschauer verfolgten die Partie in der WM-Qualifikation gegen den Kongo im Nationalstadion Borg El Arab.
Außer ihrem "Messi" hat das Land keine Stars. Ägypten fährt als krasser Außenseiter ins flächenmäßig größte Land der Welt. Das Abschneiden bei der Endrunde in Russland spielt ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Die Teilnahme soll die schrecklichen Tragödien der letzten Jahre vergessen machen.
Bei einer der schlimmsten Katastrophen der Fußball-Geschichte waren im Februar 2012 nach dem Duell zwischen Al-Masri und Al-Ahly Kairo in Port Said Anhänger der Gastgeber auf den Platz gestürmt. Sie hatten Steine und Flaschen geworfen und die Ränge mit Feuerwerkskörpern beschossen. Es entstand eine Massenpanik. 74 Menschen kamen ums Leben.
Todesstrafen wurden verhängt, die Liga ausgesetzt. Dennoch folgte nur drei Jahre später die nächste Tragödie: Bei gewalttätigen Ausschreitungen bei einem Erstliga-Spiel zwischen Zamalek Kairo und dem Lokalrivalen ENPPI Club starben 19 Menschen.
Die Auswirkungen der schrecklichen Ereignisse spürt das Land noch heute. Nach wie vor werden einige Ligaspiele aus Sicherheitsgründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen. Die WM in Russland soll daher für Ägypten zur friedlichen Rehabilitationskur werden.
Dort will dann auch Torhüter Essam El-Hadary dabei sein, dessen WM-Traum im biblischen Fußballalter von 45 Jahren in Erfüllung gehen könnte. Anfang 2017 fuhr er als dritter Torhüter mit zum Afrika-Cup. Dann verletzten sich die Schlussmänner Nummer eins und zwei, und mit Rückkehrer El-Hadary zwischen den Pfosten zogen die Ägypter ins Finale ein. Seither ist El-Hadary, der derzeit bei Al-Taawoun in Saudi-Arabien kickt, die Nummer eins.
Sollte er zum Einsatz kommen, und davon ist auszugehen, löst er den Kolumbianer Faryd Mondragon als ältesten Spieler der WM-Geschichte ab. Der Ex-Kölner war bei der WM 2014 "nur" 43 Jahre und drei Tage alt.
England als Mitfavorit? "Packt nicht zu viele Unterhosen ein!"
Die berüchtigte Yellow Press gibt sich nach über fünf Jahrzehnten voll Pleiten, Pech und Pannen keinen Illusionen mehr hin. Die englischen Fans, schreibt die Sun, sollten vor ihrer Abreise nach Russland lieber "nicht zu viele Unterhosen" einpacken.
Der einzige WM-Titel liegt bald 52 Jahre zurück, in einem WM-Halbfinale spielte man zuletzt 1990. Gary Lineker stand damals beim unglücklichen Aus gegen die deutsche Elf auf dem Platz, jetzt hofft die Stürmerlegende auf ein Ende der langen Leidenszeit. England dürfe sich auf eine "neue goldene Generation" freuen, sagt der TV-Experte. Jedoch: Noch ist diese wohl zu jung.
Fußball-England hat 2017 international sein bestes Jahr seit 1966 erlebt: Die U17 und U20 wurden Weltmeister - das war den Young Lions zuvor nie gelungen. Die U19 gewann die EM, die U21 scheiterte dort erst im Elfmeterschießen an der DFB-Auswahl. Der Nachwuchs, scherzte der ehemalige Nationalspieler Peter Crouch ob all dieser ungewöhnlichen Erfolge, habe "keine Achtung vor der Tradition".
Allein: Russland kommt für die meisten Talente zu früh, auf der Insel hoffen sie daher auf Katar 2022. Harry Kane, nach dem Abschied von Rekordtorschütze Wayne Rooney Sturmführer, wäre dann 29 und wie einige andere im besten Profialter. Auf Sicht, meint Chelseas Teammanager Antonio Conte, werde die englische Nationalmannschaft nur "sehr schwer zu schlagen" sein.
Und in Russland? "Wir dürfen vorsichtig optimistisch ins Jahr 2018 blicken...", schreibt der Guardian, aber: "... auch wenn nächsten Sommer dann doch wieder alles zusammenbrechen könnte."
Teammanager Gareth Southgate blickt mit "großem Glauben" in Richtung WM. Die torlosen Unentschieden gegen Deutschland und Brasilien im November in Wembley, bei denen er insgesamt sechs Debütanten brachte, hätten die Bindung zwischen Mannschaft und den so oft enttäuschten Fans wieder gestärkt, sagt er. Und sportlich? Schwerer als gegen diese Top-Nationen werde es "auch in Russland nicht".
Die Selecao aber, gibt Southgate zu, sei seinen Three Lions in mancherlei Hinsicht "noch Lichtjahre voraus". Auch die Sun stänkert, England bräuchte "den Google-Übersetzer", um den Fußball von Neymar und Co. zu verstehen.