WM

Enfant terrible als große Unbekannte

Von Jan Höfling
Italien zählt bei der Weltmeisterschaft in Brasilien nicht zum engsten Favoritenkreis
© getty

Vom 12. Juni bis 13. Juli 2014 findet im Land des fünfmaligen Weltmeisters Brasilien die 20. Fußball-WM statt. SPOX stellt die 32 Endrunden-Teilnehmer vor. Heute: Italien.

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Land: Italien

Einwohner: 59,9 Millionen

FIFA-Weltrangliste: 9.

WM-Teilnahmen: 17

Größter WM-Erfolg: Weltmeister (1934, 1938, 1982, 2006)

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Der Star: Andrea Pirlo spielte bei Juventus eine bärenstarke Saison und wurde Anfang des Jahres zum zweiten Mal in Folge zu Italiens Fußballer des Jahres gewählt. Während der 35-Jährige auf Vereinsebene noch lange nicht ans Aufhören denkt, wird es für die Nationalmannschaft das letzte große Turnier des Mittelfeldregisseurs sein. Pirlo, der mit zunehmendem Alter immer besser zu werden scheint, verkörpert schließlich seit über einem Jahrzehnt das Kernstück der Squadra Azzurra. Er ist das Herz der Mannschaft, der Taktgeber und Architekt des italienischen Spiels. Pirlo versteht es wie kein Zweiter, die Geschwindigkeit einer Partie zu beeinflussen und aufgrund seines enormen Spielverständnisses sowie seiner Übersicht selbst kleinste Lücken über große Distanzen sofort zu bestrafen. Hinzu kommt seine Fähigkeit, mit Standards Spiele entscheiden zu können. Dass er dennoch oft in Statistiken fehlt, liegt daran, dass er zumeist nicht der Mann für den letzten Pass ist, sondern den erfolgreichen Spielzug aus der Tiefe einleitet. Auch in Brasilien ist Italiens Mittelfeldlegende deshalb eine Gefahr für jede gegnerische Mannschaft.

Der Trainer: Cesare Prandellis Engagement als Trainer begann am absoluten Tiefpunkt, dem Debakel bei der WM 2010, als Italien in der Vorrunde sang- und klanglos ausschied. Trotz der Unruhen durch den Wettskandal vor der EM 2012 gelang es dem 56-Jährigen, seine Elf, die er bereits zu diesem Zeitpunkt nach seinen Vorstellungen verändert und deren Spielstil er modernisiert hatte, bis ins Finale zu führen. Ob 4-3-1-2, 4-5-1 oder 3-5-2, auffällig ist vor allem die Art und Weise, wie die Spieler auf dem Feld agieren. Obwohl die Eckpfeiler der Nationalmannschaft über die Jahre hinweg konstant blieben, hat es Prandelli geschafft, vom altehrwürdigen Catenaccio abzuweichen, ohne dabei die Ordnung im Spiel zu verlieren oder seine Spieler zu überfordern. Auch in Brasilien wird Prandelli, der sehr viel Wert auf moralische Grundsätze und Disziplin legt, viel Arbeit bevorstehen. Aus rivalisierenden Spielern der großen Serie-A-Klubs sowie schwierigen Charakteren wie Mario Balotelli, muss er eine Einheit formen. Der ehemalige Trainer des AC Florenz bewies jedoch bereits in der Vergangenheit, dass er mit solchen Widrigkeiten gut umgehen kann. Erleichtert wird dies zudem durch den großen Respekt, den er innerhalb der Mannschaft genießt.

Der Kapitän: Gianluigi Buffon spielt in Brasilien bereits seine fünfte (!) WM. An Erfahrung mangelt es dem inzwischen 36-jährigen viermaligen Welttorhüter deshalb definitiv nicht. Größere Sorgen bereitet vielmehr der Rücken des Routiniers, der in der Vergangenheit gerne einmal zwickte. Allerdings dürften sich die klimatischen Bedingungen in diesem Fall positiv auswirken. Auch bei Buffon dürfte es sich um das letzte große Turnier einer langen Karriere handeln. Obwohl er seinen Zenit bereits überschritten hat, wird der Rekordnationalspieler in der Mannschaft von allen Spielern respektiert und bringt Ruhe in die Abwehr der Italiener. Auch neben dem Platz ist Buffon einer der wichtigsten Ansprechpartner für die jungen Akteure und übernimmt so zusätzlich Verantwortung. Seine Leistungen sind nach einem kleinen Tief ebenfalls wieder absolut WM-tauglich. Durch sein Ausnahmekönnen wird er den einen oder anderen gegnerischen Angreifer auch im betagten Fußballeralter zur Verzweiflung treiben.

Der Spieler im Fokus: Mario Balotelli ist das Enfant terrbile der Nation. Während der WM werden deshalb sämtliche Augen Italiens und darüber hinaus auf dem exzentrischen Stürmer des AC Milan ruhen. Kaum ein anderer Akteur steht so sehr im Fokus, wie das 23-Jährige Ausnahmetalent, bei dem Genie und Wahnsinn so schrecklich nah beieinanderliegen. Der knapp 1,90 Meter große und äußerst robuste Angreifer ist das Zünglein an der Waage bei Italiens Traum vom fünften Titel. So entscheidend Pirlo als Schaltzentrale ist, so wichtig ist Balotelli als Vollstrecker. Seine Unberechenbarkeit sorgte bereits in der Vergangenheit für so manches graue Haar bei Trainern, Mitspielern und Fans - allerdings auch bei etwaigen Gegenspielern. Durch seine physischen Voraussetzungen und seine fußballerischen Fähigkeiten ist er der perfekte Stürmer für das italienische Spiel und dürfte auch mit den schwierigen Bedingungen in Brasilien gut zurechtkommen. Vor allem im Dress der Nationalmannschaft zeigte er zudem in den wichtigen Momenten, zu welchen Leistungen er im Stande ist. Schafft Trainer Prandelli es, die Kontrolle zu behalten und besinnt sich Balotelli auf sein immenses Potenzial, dann könnte der Stürmer im Turnierverlauf zum Star der WM werden.

Die Wunschelf (4-3-1-2): Buffon - Abate, Barzagli, Bonucci, Chiellini - de Rossi, Pirlo, Thiago Motta - Aquilani - Immobile, Balotelli

Die Prognose: Zwar gehört Italien nicht zu den direkten WM-Favoriten, allerdings wäre es ein großer Fehler, die Prandelli-Elf zu unterschätzen. Gerade das generalüberholte Spielsystem könnte in Brasilien zum entscheidenden Puzzleteil werden. Durch die deutlich offensivere Ausrichtung, die dadurch hinzugewonnene Flexibilität sowie die vorhandene spielerische Qualität und die immense Erfahrung, kann Italien zweifelsohne an die Erfolge vergangener Tage anknüpfen. Egal wie Prandelli letztlich spielen ließ, es schien zu funktionieren. Die disziplinierte Spielweise und die robuste, eingespielte Defensivabteilung um Daniele de Rossi, dürften zudem bei einem mit zunehmender Spieldauer eher abnehmenden Tempo ebenso von großem Vorteil sein, wie die technischen Fähigkeiten des Kaders. Die Gruppenphase wird für Italien trotz der starken Konkurrenz kein Problem darstellen. Da K.o.-Spiele zudem für Italien wie gemacht sind, wird ein mögliches Duell gegen Spanien im Viertelfinale über den Verlauf des Turniers entscheiden. Und selbst gegen den Titelverteidiger sollte man die Azzurri nicht abschreiben.

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