SPOX: Inwiefern wurde dabei Ihre Spielphilosophie mit der von Tuchel abgeglichen?
Farke: Ich musste weder ein Bewerbungsschreiben abgeben noch jemanden überzeugen. Die Borussia kam auf mich zu und wollte mich als Trainer verpflichten. Natürlich haben wir unsere Vorstellungen ausgetauscht, am Schluss auch mit Thomas und Arno. Thomas und ich sind inhaltlich sehr deckungsgleich, wir haben eine sehr ähnliche Vorstellung vom Fußball und liegen in ganz vielen Bereichen auf einer Wellenlänge. Wir haben auf Anhieb eine gute Chemie miteinander gefunden.
SPOX: Tuchel und Sie stehen für Ballbesitzfußball. Zuvor bekleideten Jürgen Klopp und David Wagner die jeweiligen Positionen und definierten sich vor allem über das Spiel gegen den Ball. Wäre es also für Sie theoretisch überhaupt möglich gewesen, beim BVB zu arbeiten, als Klopp noch Coach war?
Farke: Es geht nicht darum, die reine Spielidee von Thomas eins zu eins in die U23 zu übertragen. Da spielen sehr viele andere Dinge auch eine Rolle. Bei aller Wertschätzung für den Posten des Cheftrainers - ich bin ja selbst einer - muss über allem die Philosophie und Spielidee des Vereins stehen. Der Verein gibt die Richtung vor, unabhängig davon, wie der Trainer heißt. Er muss nur dazu passen. Aber natürlich hätte ich es wohl als schwierig empfunden, wenn es zwischen Thomas und mir kaum Gemeinsamkeiten gegeben hätte.
SPOX: Inwiefern hat sich denn Ihre Methodik unter den neuen Einflüssen beim BVB verändert?
Farke: Eigentlich gar nicht. Daher war es für mich auch wichtig zu sehen, dass Thomas und ich sehr ähnliche Vorstellungen davon haben, wie unsere Mannschaften spielen sollen. Ich bilde aber dennoch nicht für Thomas als Person aus, sondern vor allem für Borussia Dortmund.
SPOX: Wie vielseitig muss der Ausbildungsgedanke denn sein?
Farke: So vielseitig, wie es nur geht. Ich halte beispielsweise nichts davon, wenn ein Cheftrainer darauf besteht, dass der gesamte Nachwuchsbereich das von ihm präferierte System spielen muss. Trainer arbeiten heutzutage kaum noch so, dass sie unabdingbar an einer bestimmten Grundordnung festhalten - und Vereine erst Recht nicht. Andererseits halte ich es bei unserer U23 an der Schwelle zur ersten Mannschaft für wichtig, dass vieles deckungsgleich ist und die Spieler schon sehr viele Grundmuster kennengelernt haben. Wir arbeiten der Bundesligamannschaft zu, diese Aufgabe hat für uns allerhöchste Priorität.
SPOX: Wie nah sind Sie im Alltag am Profiteam und Tuchel dran?
Farke: Unsere Büros sind in zwei verschiedenen Funktionsgebäuden, die Luftlinie rund 80 Meter voneinander entfernt sind. Wir haben in der letzten Saison fast durchgehend einmal pro Woche gemeinsam trainiert, während der Länderspielpausen noch häufiger. Wir telefonieren und sehen uns regelmäßig, wir sind alle immer auf demselben Stand. Ich empfinde den Austausch als unfassbar angenehm, sehr höflich, wertschätzend und inhaltlich auf einem absoluten Top-Niveau. Es ist wirklich perfekt. Dennoch diskutieren wir nicht täglich drei Stunden lang alle Themen bis ins Detail, sondern ich habe die Möglichkeit, mein Team sehr selbständig führen und mich zu 100 Prozent auf meine Aufgabe zu konzentrieren zu können.
SPOX: Sie kannten Tuchel zuvor nicht persönlich. Wie erhellend ist der Austausch mit ihm?
Farke: Man sollte nicht denken, dass wir regelmäßig zum philosophischen Zirkel einladen und den Fußball neu erfinden. (lacht) Natürlich wird mal über neue Trainingsformen oder die Vorteile einer gewissen Grundordnung diskutiert. Auf dem Platz reicht dagegen oftmals auch ein Blick um zu wissen, was der andere von der Situation denkt. Es ist ein sehr fruchtbarer Austausch, auf den ich mich im Vorfeld gefreut habe und den ich jetzt auch extrem genieße.
SPOX: Wie oft fällt dabei der Name Pep Guardiola?
Farke: Es kommt schon immer mal wieder vor, dass man sich bei manchen Spielformen im Training an etwas orientiert, das man zuvor bei Guardiola gesehen hat. Wir schätzen beide sehr die Art und Weise, wie Pep Guardiola denkt und Fußball spielen lässt. Wir rätseln aber ganz bestimmt nicht nach dem Motto: 'Was würde Pep jetzt tun?'. Dafür hat jeder von uns auch viel zu eigenständige inhaltliche Vorstellungen über das Spiel und davon, wie eine Gruppe zu führen ist. Thomas ist in vielen inhaltlichen Dingen selbst absolut herausragend und beispielgebend.
SPOX: Sie haben nach Ihrem Einstieg ein intensives erstes Jahr hinter sich gebracht: Erst führten Sie die U23 aus dem Abstiegskampf in obere Tabellenregionen, in dieser Saison steht die Mannschaft auf Platz drei und hat nach 17 Partien noch keine Niederlage kassiert. Hat Sie irgendetwas am Arbeiten bei Borussia Dortmund überrascht?
Farke: Von den Rahmenbedingungen her eher weniger, da ich wusste, dass die bei einem Top-12-Verein in Europa herausragend gut sind. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass der Verein auf diesem hohen Niveau bei aller Professionalität und Zielorientierung auch wirklich so familiär, herzlich und menschlich geführt wird. Dass die Werte des Klubs im Alltag derart gelebt werden und Profi- sowie Nachwuchsbereich wie eine große Familie agieren, war und ist total angenehm.
SPOX: Als Trainer der zweiten Mannschaft eines Profivereins steht der Ausbildungsgedanke über dem reinen Ergebnis am Wochenende. Diese Erfahrung hatten Sie zuvor nie gemacht. Wie dachten Sie darüber im Vorfeld?
Farke: Man muss sich extrem bewusst sein, dass die inhaltliche Arbeit über allem steht. Die Aufgabe ist speziell, da man eine Planung von Juli bis Juni aufstellt und danach wieder eine neue Zeitrechnung beginnt. Man hat fast immer eine Fluktuation von 13, 14 Kaderspielern, so dass man seine Spielphilosophie und Ideen Jahr für Jahr an neues Personal vermitteln muss.
SPOX: Wie kommen Sie damit klar?
Farke: Ich muss mich immer wieder ein Stück weit neu erfinden, um meine Inhalte an die Spieler heranzutragen zu können. Hinzu kommt eine gewisse Flexibilität, wenn Spieler an die Profis abgestellt oder wir Rekonvaleszenten aufnehmen müssen. Ich bin total überzeugter Methodiker. Mir ging es nie darum, Sonntag für Sonntag nur irgendwie ein paar Punkte zusammen zu kratzen. Ich bin davon überzeugt, als Fußballlehrer pragmatisch denken und methodisch handeln zu müssen. Diese Art und Weise der Arbeit kommt in meinen Augen bei einer U23 besonders gut zum Tragen.
SPOX: Und bleibt dennoch ein Spagat.
Farke: Absolut. Flexibel arbeiten zu müssen, trotzdem aber bei meiner Arbeitsweise bleiben zu können und pragmatisch zielorientiert auf Ergebnisse aus zu sein, stellt für mich aber eine Mischung dar, die ich sehr lehrreich finde. Die Herausforderung ist es, einer fast komplett neuen Mannschaft innerhalb kürzester Zeit meine Ideen vermitteln zu müssen. Trotzdem wollen wir natürlich auch alle Spiele gewinnen und in der Tabelle so weit oben wie möglich stehen. Diese Denke ist ja nicht vollkommen verschwunden, sondern ein wesentlicher Bestandteil.
SPOX: Ihr Vertrag in Dortmund läuft zum Saisonende aus. Es wäre eine große Überraschung, sollte dem BVB nicht an einer Weiterbeschäftigung gelegen sein. Das sehen Sie auch so, oder?
Farke: Keine Wasserstandsmeldungen beim BVB, das habe ich schon gelernt. (lacht) Ich weiß, dass ich eine hohe Wertschätzung genieße und dem Verein ist ebenfalls bewusst, dass ich mich extrem wohl fühle und sehr dankbar dafür bin, hier arbeiten zu dürfen. Wir werden uns sicher zu gegebener Zeit zusammensetzen. Momentan ist der Zeitpunkt aber noch nicht gekommen.