Umtiti: Die lang ersehnte Lösung

Von Jan-Luc Treumann
Samuel Umtiti hat bei der EM seine ersten Länderspiele absolviert
© getty

Samuel Umtiti ist der neue Mann beim FC Barcelona. Die Katalanen suchen seit langem einen Innenverteidiger, zahlreiche Vorgänger des französischen Jung-Nationalspielers scheiterten. Der 22-Jährige könnte die lang ersehnte Lösung sein.

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Rückblick: Es ist der letzte Spieltag der Ligue 1. Obwohl Olympique Lyon Zweiter ist, ist der Klub mit 31 Punkten Unterschied zum Giganten PSG den Abstiegsrängen näher als der Meisterschaft.

Samuel Umtiti will mehr und erinnert an andere Zeiten. Er postet ein Bild der Lyon-Fans von 2002 und schreibt dazu: "Remember #4mai2002 #TeamOL #proudofmycity". Vierzehn Jahre und zehn Tage zuvor holte OL die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte.

Lyon ist Umtitis Heimat, seine Stadt. Seit seinem zweiten Lebensjahr wohnt der Innenverteidiger dort und durchlief alle Jugendteams von Lyon. Ab Sommer wird er das Trikot des FC Barcelona tragen. Mit 25 Millionen Euro Ablöse ist er ein - für heutige Verhältnisse - günstiger Transfer.

Dies ist aber nicht von Bedeutung für seine Rolle bei Barcelona. Die Katalanen könnten nach gefühlten Ewigkeiten ein Problem gelöst haben.

Nach Puyol kommt?

Barcas Offensive wird vom Trio Messi-Suarez-Neymar dominiert. Doch in der Innenverteidigung ist Barcelona nicht derart exzellent besetzt. Das Problem besteht eigentlich schon seit 2010. Aufgrund von Verletzungen schwand die Spielzeit von Abwehrchef und Klubikone Carles Puyol zusehends, und die Suche nach einem neuen Partner für Weltklasse-Mann Gerard Pique stand auf der Agenda.

Dass Javier Mascherano sich als Innenverteidiger etablieren würde, ergab sich eher aus Mangel an Alternativen als aus strategischen Überlegungen. Jetzt ist der Argentinier, bekanntermaßen gelernter Mittelfeldspieler und ohnehin nicht der Prototyp des Abwehrrecken, auch schon 32 Jahre alt. Jeremy Mathieu und Thomas Vermaelen genügten allerhöchsten Ansprüchen nicht.

Batra? Muniesa? Chygrynskiy?

Barcelona hat in den vergangenen Jahren versucht, dieses Problem zu beheben, aber es blieb eben bei dem Versuch. Marc Bartra kam in der vergangenen Saison auf lediglich 24 Einsätze, zu wenig für die eigenen Ansprüche. Nach seinem Wechsel zum BVB sagte Bartra der Zeitung Sport: "Ich hatte gute Jahre bei Barca, aber auch schwierige. Ich werde kein schlechtes Wort über den Verein oder Trainer Luis Enrique verlieren, aber besonders die letzte Saison war hart für mich."

Batra kam aus der eigenen Talentschmiede, konnte allerdings die hohen Anforderungen nicht dauerhaft erfüllen. Andere Talente aus La Masia kamen bei Barca noch weniger zum Zug. Andreu Fontas lief 16 Mal für die Profis auf, Marc Muniesa gar nur vier Mal. Fontas schnürt seine Schuhe mittlerweile für Celta Vigo und Muniesa kickt in England bei Stoke.

Das waren längst nicht alle Kandidaten, die in der Abwehrzentrale vorspielen durften. In der Saison 2009/10 kam Dmytro Chygrynskiy für etwa 25 Millionen Euro. Nach einem Jahr und 15 Einsätzen kehrte er wieder nach Donetsk zurück.

Henrique kam eine Saison vor dem Ukrainer und wurde direkt nach Leverkusen verliehen, es folgten noch weitere Leihgeschäfte. Insgesamt vier Jahre stand Henrique bei Barcelona unter Vertrag und spielte keine einzige Minute für die Katalanen. Etwas besser lief es für Gabriel Milito. Ausbeute: 76 Spiele in vier Jahren.

Umtitis Stärken passen perfekt zu Barca

Die Liste der Innenverteidiger, die in den vergangenen Jahren bei Barcelona unter Vertrag standen, ist lang. Nun ist die Suche vielleicht abgeschlossen.

Samuel Umtiti scheint für Barcelona geradezu prädestiniert: Er ist technisch stark und verfügt über ein gutes Passspiel (in der vergangenen Ligue-1-Saison hatte er eine Passquote von 87 Prozent, bei der EM waren es sogar 95 Prozent).

Zudem kann Umtiti das Spiel sehr gut verlagern, präzise Schnittstellenpässe zwischen die gegnerischen Linien spielen und somit Angriffe gegen tief gestaffelte Teams einleiten. Obwohl er mit 1,81 Meter für einen Innenverteidiger vergleichsweise klein gewachsen ist, verfügt er über ein gutes Kopfballspiel. Er ist körperlich robust und stört seinen Gegenspieler schon früh bei der Ballannahme.

An seiner Torgefahr kann der in Kamerun geborene Innenverteidiger noch arbeiten. In 170 Spielen für Lyon erzielte Umtiti fünf Tore und legte drei weitere auf. Einen Treffer in der Europa League 2013 gegen Tottenham Hotspur wird er wohl nie vergessen. Von der linken Strafraumecke zog er volley ab, der Ball schlug rechts oben ein. "Immer wenn ich das Tottenham-Tor sehe, fühle ich etwas", sagte er. "Das war ein schönes Tor."

Aber: "Ein Tor zu schießen, ist für mich ein Bonus, weil ich ein Abwehrspieler bin. Mein Hauptziel ist es, zu verteidigen und Angriffe einzuleiten. Hinten zu bleiben, ist kein Problem für mich, weil ich gern gut verteidige."

Mit Glück zur EM

Umtiti wird sich früher oder später an der Seite von Gerard Pique wiederfinden. Die Frage ist, wie schnell er sich umgewöhnen wird. Lyon kennt der Franzose von Grund auf, Barcelona wird eine völlig neue Erfahrung für ihn sein. Das Umfeld ist größer und die Erwartungen an ihn sind höher.

Bei seiner Vorstellung sagte Umtiti: "Ich habe ein paar Tränen vergossen. Seit meiner Kindheit träumte ich davon. Ich kann es nicht erwarten, mit meinen neuen Teamkollegen zu spielen".

Einfach wird die Aufgabe nicht. Er muss eine neue Sprache lernen und sich an eine Liga gewöhnen, die mehr von ihm fordern wird als die heimische Ligue 1.

Doch mit unerwarteten und neuen Situationen hat Umtiti bereits im Sommer Bekanntschaft gemacht. Ohne eine einzige Länderspielminute absolviert zu haben, rutschte er in den französischen EM-Kader von Nationaltrainer Didier Deschamps.

Müller ohne Chance

Umtitis Stunde schlug gegen Island. Rami hatte sich im Achtelfinale gegen Irland seine zweite Gelbe Karte geholt. Mit Eliaquim Mangala von Manchester City stand der logische Ersatzmann bereit, doch Dechamps entschied anders und schmiss Umtiti ins kalte EM-Wasser.

Dort fand sich der 22-Jährige auf Anhieb zurecht. Im Viertelfinale gegen Island (5:2) war er bei beiden Gegentoren schuldlos, spielte ansonsten tadellos und erstaunlich unaufgeregt. Der Lohn: Er stand auch im Halbfinale gegen Deutschland auf dem Platz, obwohl der zuvor gesetzte Rami wieder spielberechtigt war.

Im Halbfinale sah die deutsche Offensive gegen ihn kein Land, besonders Thomas Müller nicht. Die Sportschau schrieb: "Wie ein Gummiball ist Müller immer wieder an der 'Wand' Umtiti abgeprallt."

"Wand" ist für Samuel Umtits EM eine durchaus passende Beschreibung. Im Schnitt klärte Umtiti bei der EM siebenmal pro Spiel - zum Vergleich: Jerome Boateng hatte einen Wert von 3,2 geklärten Bällen pro Spiel.

Umtiti ist ehrgeizig

Nach dem Spiel sagte sein Teamkollege Andre-Pierre Gignac über den Neuling: "Er ist ein richtig guter Mann und jetzt schon so weit, dass er in jedem großen Team dieser Welt spielen kann."

Wie das EM-Finale endete, ist bekannt, doch Umtiti hat schon Titel gewonnen. Mit Lyon holte er 2012 den französischen Pokal und mit Frankreichs U 20 den Weltmeistertitel 2013.

Umtiti gilt als zurückhaltender, ausgeglichener Typ. Er selbst bezeichnet sich als ehrgeizig, der privat viel Zeit mit der Analyse unzähliger Fußballspiele verbringt. Training von Zuhause aus, nennt er das.

Vor Barca hat er keine Angst: "Ich weiß, dass großartige Spieler auf meiner Position spielen. Das wusste ich bereits vor meiner Unterschrift, ich habe hohe Ziele. Ich will spielen."

Umtiti könnte die lang ersehnte Lösung für Barcas Problemzone sein. Die Katalanen würden wohl nichts lieber tun, als ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

Samuel Umtiti im Steckbrief

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