"Parma ist nur die Spitze des Eisbergs"

Von Interview: Andreas Königl
Ex-Präsident Tommaso Ghirardi gilt als Ursprung allen Übels in Parma
© getty

Der FC Parma steht nach 2004 vor der nächsten Pleite, ein Konkurs scheint kaum noch abwendbar. SPOX sprach mit Italien-Experte Kai Tippmann über den Einfluss der Fans, das Mäzensystem in Italien, lasche Kontrollen und Folgen für den Wettbewerb.

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SPOX: Herr Tippmann, welche positive Schlagzeile im italienischen Fußball geistert Ihnen spontan durch den Kopf?

Kai Tippmann: Aktuell gibt es im italienischen Fußball die Bewegung des 'azionariato popolare'. Das bedeutet, dass die Mitglieder im Klub ein gewisses Mitspracherecht haben, was in Deutschland bereits Standard ist. In Italien gilt nach wie vor das Mäzenmodell, wo sich ein Firmenboss nebenbei noch einen Fußballklub leistet, um dadurch mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Dass aber auch Mitglieder in Italien mehr Einfluss auf die Klubs nehmen, gibt es hier erst seit etwa fünf Jahren. Zwar ist das Ganze noch auf einem sehr kleinen Niveau, aber es bewegt sich Einiges.

SPOX: Inwiefern macht sich der Einfluss der Fans bei einem speziellen Klub bemerkbar?

Tippmann: Das Problem des 'azionariato popolare' ist, dass es häufig dann erst greift, wenn ein Klub schon bankrott ist. Im Normalfall geht ein Klub zuerst pleite, wonach er im Anschluss in einer Amateurliga wieder neugegründet wird. Die Fans sammeln dabei Geld, um sich zumindest den Namen oder das Logo des Klubs zu sichern. Im Anschluss wird der Klub dann mehr oder weniger durch die Fans neu ins Leben gerufen.

SPOX: Besteht dabei aber nicht auch die Gefahr einer Unterwanderung - gerade im Hinblick auf das Gewaltproblem in Italien?

Tippmann: Ich würde das nicht so dramatisch sehen. Im Moment haben Fans gar keine offizielle strukturelle Möglichkeit, in irgendeiner Form Einfluss auf die Geschicke des Vereins zu nehmen. Es gibt natürlich auch negative Beispiele, aber wenn die Fans mit den Spielern nach schlechten Leistungen in der Kurve mal härter ins Gericht gehen, dann sollte man das in einem Männersport aushalten. Gewaltandrohung oder Ähnliches ist dabei selbstverständlich auszuschließen.

SPOX: Parma ist aktuell pleite, kann nicht mehr am Spielbetrieb teilnehmen. Wie wird die Situation derzeit in Italien wahrgenommen?

Tippmann: Der Verein ist im Moment die Sau, die durch das Dorf getrieben wird. Parma ist ein großer Klub, der vor der letzten Pleite auch UEFA-Pokal-Geschichte geschrieben hat. Im Prinzip sind dies aber keine nachhaltigen Diskussionen, es ist auch schwer, an genaue Informationen zu kommen. Meistens wird nur über einzelne Personen diskutiert und sich die Schuld gegenseitig zugeschoben, wobei es grundsätzliche strukturelle Probleme gibt. Man darf nicht vergessen, dass im Schnitt acht bis zehn Klubs jedes Jahr den Weg in den Amateurbereich gehen und teilweise dann auch dort bleiben.

SPOX: Sie haben die Neugründung von Parma im Jahr 2004 gerade angesprochen. Wieso hat man aus der Vergangenheit nichts gelernt?

Tippmann: Die Gründe für solche Pleiten sind komplex, auch die Wirtschaftskrise spielt eine große Rolle. Aber grundsätzlich liegen die Probleme im italienischen System. Es gibt einen Mäzen und der kann mit seinem Spielzeug tun und lassen, was er mag. Die Kontrollen sind nur oberflächlich und am Ende sind alle überrascht, wieso all das passieren konnte. Die Alarmsignale gibt es seit Jahren, aber es kümmert sich niemand darum. Man hält sich die Leute warm, damit stets positiv berichtet wird. Es gibt hier drei fußballbezogene Tageszeitungen, die Medienlandschaft ist enorm - das muss alles mit Klatsch und Tratsch gefüttert werden. Wenn die Ligaoffiziellen wirklich ernsthaft durchgreifen würden, kämen höchstwahrscheinlich noch viel mehr Fälle von Vereinen ans Licht, die es so eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Parma ist da nur die Spitze des Eisbergs.

SPOX: Es entsteht der Eindruck, dass der sportliche Aspekt absolut zweitrangig ist?

Tippmann: Das ist richtig. Es gibt hier an vielen Stellen einen Reformstau - das ist sicherlich auf der einen Seite auf die Qualität des Produkts zurückzuführen, auf der anderen Seite steht aber auch die "bella figura" sehr im Mittelpunkt. Der BMW muss am Sonntag geputzt werden, damit er schön glänzt - und wenn ich dann zuhause nur Brot mit Margarine essen kann, das muss keiner wissen. Es ist für mich auch immer noch erstaunlich, wie gewisse Spiele oder einzelne Spieler gepusht werden, um zumindest den Anschein von Wettbewerbsfähigkeit darzustellen. Die Liga an sich muss gut verkauft werden und dann werden auch 40-jährige Spieler wie Francesco Totti immer noch auf Augenhöhe mit Wayne Rooney oder Cristiano Ronaldo gehoben. Man verschließt deutlich die Augen vor der Realität.

SPOX: Es heißt, dass bei der vierten selbstverschuldeten Spielabsage der sofortige Ausschluss aus der Serie A droht. Ist dieses Szenario im Fall von Parma überhaupt noch abzuwenden?

Tippmann: Tritt ein Verein viermal nicht an, wird er aus dem Vereinsregister gestrichen - er existiert dann einfach nicht mehr. Aber man wird trotz aller Probleme auch hier wieder versuchen, sein Gesicht zu wahren. Es ist gut möglich, dass man eine Lösung findet, um die Saison zumindest zu Ende zu spielen - danach ist die Pleite aber nicht zu verhindern. Ich glaube aber nicht, dass die Spieler einen Ausschluss provozieren.

SPOX: Wie sieht die Zukunft im Anschluss an solch eine Insolvenz aus?

Tippmann: Man fängt im Amateurbereich wieder an und wenn man sich finanziell einigermaßen gefangen hat, erhält man vom Verband auch eine gewisse Hilfestellung und kann einige Ligen überspringen, wie das auch schon mal bei der Fiorentina der Fall war. Es ist im Sinne der Attraktivität und Geschichte durchaus möglich, dass man bei einem Aufstieg auch schnell mal zwei Aufstiege am grünen Tisch erledigt.

SPOX: Welchen Einfluss hätte ein Konkurs von Parma auf die Liga und die bisherigen Partien?

Tippmann: Die Rechtslage ist nicht völlig klar, aber ein mögliches Szenario ist, dass die restlichen Spiele dann alle mit 3:0 für den jeweiligen Gegner gewertet werden würden. Die bereits ausgespielten Partien würden bestehen bleiben. Da dies in den oberen Ligen bislang aber in der Form noch nicht vorgekommen ist, gibt es da auch keine Referenzfälle. In den unteren Ligen ist solch ein Szenario häufiger der Fall, wobei dies natürlich nichts mit sportlicher Fairness zu tun hat.

SPOX: Bereits im Sommer wurde Parma wegen Steuerschulden die Lizenz für die Europa League entzogen - trotzdem hat der Klub mehrmals den Besitzer gewechselt. Warum gab es da keinen Kurswechsel?

Tippmann: Meiner Meinung nach ging es bei den Verkäufen nur darum, eine strafrechtliche Verfolgung von Tommaso Ghirardi abzuwenden. Rezart Taci, ein vorbestrafter albanischer Ölmagnat, hielt den Klub über eine Holding Firma, die ein Stammkapital von gerade mal 1.000 Euro aufweisen konnte, auch nur zwei Wochen und hat ihn dann weiterverkauft. Auf Fragen, wie man den Klub retten wolle, gab es nur Schweigen. Den Käufern ist es egal, was mit dem Klub passiert, schließlich hat man nichts investiert. Es ist also anzunehmen, dass man Ghirardi einfach eine kleine Gefälligkeit erwiesen hat, damit er sich nicht der strafrechtlichen Verfolgung einer Konkursverschleppung unterziehen muss. Da ist im Hintergrund vermutlich viel Geld geflossen.

SPOX: Im Winter wurden mit Antonio Nocerino, Silvestre Varela und Cristian Rodriguez drei mehr oder weniger hochdekorierte Spieler verpflichtet - wie passt das mit der Lage des Klubs zusammen?

Tippmann: Die Spieler wussten definitiv nicht über den Ernst der Lage Bescheid und wurden mit Versprechungen gelockt. Parma ist nach wie vor ein guter Name und man hat die Transfers in der Öffentlichkeit so dargestellt, als wolle man einfach dem sportlichen Abstieg entgegenwirken. Man hat so lange es irgendwie geht, einen funktionsfähigen Klub vorgegaukelt.

SPOX: Der Dominoeffekt ist am Ende des Tages nicht von der Hand zu weisen - ist der italienische Fußball unabhängig von Parma überhaupt noch zu retten?

Tippmann: Das hängt natürlich von externen Faktoren ab. Das Mäzenmodell zeigt im Prinzip, dass auch der italienische Fußball der europäischen Wirtschaftskrise ausgesetzt ist. Geht es der italienischen Wirtschaft schlecht, geht es auch dem italienischen Fußball schlecht. Nahezu jeder Klub hängt in irgendeiner Weise an einem prominenten Sponsor - verdient der gutes Geld, fällt auch mehr für den Verein ab. Trotzdem muss es wohl zu der Situation kommen, die den Handelnden keine andere Wahl mehr lässt, das System vom Kopf auf die Füße zu stellen.

SPOX: Woran gilt es dabei konkret anzusetzen?

Tippmann: Die Vereine müssen nachhaltig wirtschaften und dürfen nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen. Man braucht eigene Spielstätten und der Jugendsektor, der vor 15 Jahren noch Italiens Prunkstück war, muss wieder auf internationales Niveau gehoben werden, um zumindest beim Verkauf der Talente mehr Geld in die Kassen zu spülen. Und das glaubwürdigste Kontrollorgan für solch eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist nun mal die Mitgliederbeteiligung, wo den Bossen auf die Finger geschaut, und nicht in einem eigenen, korrupten Interesse gehandelt wird. Die Presse und die Offiziellen kehren letztendlich alle neuen Skandale unter den Tisch. Am Ende des Tages dürfte die Hälfte aller italienischen Profiklubs im Prinzip gar keine Daseinsberechtigung mehr haben.

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