Schon als Jürgen Klopp seinen Rücktritt als Trainer des FC Liverpool zum Ende der Saison bekanntgab, wussten die Fans von Sporting Lissabon im Grunde, was auf sie zukommen würde: unaufhörliche Spekulationen über die Zukunft ihres eigenen Trainers Rúben Amorim.
So ist das nun einmal: Jedes Mal, wenn ein Spitzenjob in der Premier League frei wird, wird Amorims Name genannt. Der 38-Jährige wurde bereits mit Manchester United, Tottenham Hotspur und dem FC Chelsea in Verbindung gebracht und in einigen Fällen sogar umworben. Es war also absolut unvermeidlich, dass er als potenzieller Klopp-Nachfolger gehandelt wurde.
Das Ärgerliche für die Sporting-Anhänger ist, dass sich die Spekulationen nur noch verstärkt haben, seit Xabi Alonso klargemacht hat, dass er ein weiteres Jahr bei Bayern Leverkusen bleiben will. Der Spanier galt als Liverpools Topkandidat, ist aber inzwischen von der Liste gestrichen worden.
Amorim steht aber tatsächlich immer noch auf der Liste, und obwohl er wahrscheinlich mit Brighton-Chef Roberto De Zerbi, an dem auch der FC Bayern München interessiert ist, um den Posten konkurrieren muss, könnte sich das Interesse an den Diensten des Portugiesen diesmal tatsächlich in einem Wechsel niederschlagen.
Die Sporting-Fans sind nun ernsthaft besorgt, den Trainer zu verlieren, den sie ursprünglich nicht wollten!
Rúben Amorim: Der Julian Nagelsmann von Sporting
Amorim erregte erstmals die Aufmerksamkeit der europäischen Spitzenklubs, als er 2021 mit gerade mal 36 Jahren die 19-jährige Durststrecke von Sporting in der Primeira Liga beendete. Angesichts der Dominanz von Benfica und Porto in der portugiesischen ersten Liga war dies eine erstaunliche Leistung.
Es schien, als hätte Sporting seinen eigenen Julian Nagelsmann gefunden. Klubpräsident Frederico Varandas hätte mit sich selbst nicht zufriedener sein können, denn viele Experten und Fans hatten die Entscheidung, Amorim zu verpflichten, zuvor maximal in Frage gestellt.
Zum einen hatte er den größten Teil seiner Spielerkarriere, in der er 14-mal für Portugal auflief, bei Sportings verhasstem Lissabonner Rivalen Benfica verbracht. Zweitens war Amorim bei Amtsantritt unglaublich unerfahren. Zuvor hatte er nur in der drittklassigen Casa Pier gearbeitet, wo er nach einer Suspendierung wegen mangelnder Trainerqualifikation zurücktrat, und später in Braga, zunächst in der Reserve und dann in der A-Mannschaft des Vereins.
Drittens, und das ist das Wichtigste, musste Sporting 10 Millionen Euro Ablöse auf den Tisch legen, um sich seine Dienste zu sichern. Damit war er damals nach André Villas-Boas und Brendan Rodgers der drittteuerste Trainer der Welt nach Ablösesummen. (Nagelsmann und Graham Potter sind inzwischen an die Spitze dieser Liste gerückt und haben Amorim auf den fünften Platz verwiesen).
Rúben Amorim: Sportings klügster Transfer
Die Ablösesumme verärgerte die Fans, die in ihr damals den jüngsten Beweis für die vermeintliche Verschwendungssucht von Sporting sahen. Schließlich war Amorim nach der Entlassung von Ricardo Sá Pinto im Dezember 2019 erst seit 13 Spielen für Bragas erste Mannschaft verantwortlich gewesen. Allerdings hatte er zehn davon gewonnen, darunter das Finale des Ligapokals gegen Porto und den ersten Auswärtssieg von Braga gegen Benfica seit 65 Jahren.
Bei Sporting fand man, dass das Leistungsnachweis genug sei, um den ehemaligen Mittelfeldspieler für teuer Geld zu verpflichten - und sie hatten Recht, denn der Ex-Benfica-Star, der zum Trainer wurde, erwies sich als sehr gut angelegtes Investment.
Amorims Start war dabei nicht mal besonders vielversprechend, denn Sporting konnte keines seiner letzten drei Spiele in der vom Coronavirus betroffenen Saison 2019/2020 gewinnen und verlor den dritten Platz in der Primeira Liga ausgerechnet an Braga. Doch als Sporting im Januar 2021 Amorims Ex-Klub schlug, war der Verein bereits auf dem Weg zum Titel.
Porto und Benfica hatten im Sommer 2020 große Summen ausgegeben; Sporting hingegen war aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten gezwungen gewesen, auf Nachwuchsspieler wie Nuno Mendes und Gonçalo Inácio zu setzen, sowie auf einige kluge Neuverpflichtungen, darunter Pedro Gonçalves (6,5 Mio. EUR) sowie João Mário und Pedro Porro, die beide auf Leihbasis von Inter bzw. Manchester City kamen.
Die frühe und peinliche 1:4-Niederlage gegen den österreichischen Klub LASK in der Playoff-Runde der Europa League ließ nichts Gutes erahnen, doch die Arbeit, die Amorim in seiner ersten Saisonvorbereitung im Estadio José Alvalade leistete, begann schon bald Früchte zu tragen.
Sporting im ersten Jahr unter Amorim: So gut wie unschlagbar
Sporting konterte auf dem Weg zum Titel effektiv und verließ sich dabei auf eine herausragende Defensivabteilung, angeführt von Kapitän Sebastian Coates (ehemals Liverpool) und geschützt durch den brillanten Mittelfeldspieler João Palhinha, der vor dieser Saison die Holding Six der Begierde vom FC Bayern München werden sollte, der den Gegnern das Leben schwer machte, bevor er sie mit schnellen vertikalen Übergängen überrumpelte. Dazu kamen die Treffer von Goncalves, der in 37 Spielen in allen Wettbewerben 23 Tore erzielte.
Die Außenverteidiger Mendes und Porro, der im Finale des Ligapokals gegen Braga den Siegtreffer erzielte, sorgten für die Breite in Amorims 3-4-3-Formation, spielten aber auch eine zentrale Rolle in der Abwehr, die nur 20 Gegentore zuließ.
Das System von Sporting funktionierte so gut, dass die Mannschaft beinahe die gesamte Saison ungeschlagen geblieben wäre und erst im vorletzten Spiel gegen Benfica, vier Tage nach dem Titelgewinn, zum ersten Mal verlor.
Trotz Verkauf der Stars wurde Sporting immer stärker
In der folgenden Saison wurde Sporting Zweiter in der Champions-League-Gruppe vor Borussia Dortmund, und obwohl man im Achtelfinale eine 1:5-Niederlage gegen Manchester City hinnehmen musste, lobte Pep Guardiola Amorim ("einer der besten Trainer, die es derzeit gibt").
Indem Amorim und Sporting Tottenham Hotspur in der Gruppenphase der Champions League 2022/2023 vier Punkte abnahmen und Arsenal in der Europa League ausschalteten, stärkte der Coach seinen Ruf auf der Insel. All diese beeindruckenden europäischen Ergebnisse wurden erzielt, während Sporting seine vielversprechendsten Spieler, von Mendes bis Nunes, kontinuierlich verkaufte. Trotz der Abwanderung von Talenten hat sich die Mannschaft von Amorim weiterentwickelt. Sie kassiert zwar nicht mehr weniger Gegentore als Benfica und Porto, aber sie schießt viel mehr Tore.
Der Schlüssel zum Erfolg war jedoch der Erwerb von Viktor Gyökeres im vergangenen Sommer, dem ehemaligen Stürmer von Coventry City, der mit seinen 36 Toren in 39 Wettbewerben mittlerweile europaweit für Aufsehen sorgt. Der Schwede ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt des Angriffs, aber er driftet regelmäßig in die Breite und wechselt die Positionen mit den Flügelspielern Marcus Edwards und Francisco Trincão in einer sehr beweglichen Sturmreihe.
Rúben Amorim: "Es wird nie einen anderen José Mourinho geben"
In diesem Zusammenhang kann man sich vorstellen, dass Amorim sehr gerne mit Spielern wie Darwin Núñez, Mohamed Salah, Cody Gakpo, Luis Diaz und Diogo Jota zusammenarbeiten würde - und andersherum. Es heißt sogar, dass Liverpools Analysten von Amorim und seiner Arbeit in Lissabon sehr angetan sind.
Er hat seine taktische Vielseitigkeit vor allem gegen stärkere Mannschaften unter Beweis gestellt, er ist es gewohnt, mit einem geringeren Budget zu arbeiten als die Konkurrenten und er ist dafür bekannt, dass er eine enge Bindung zu seinen Spielern aufbaut, die er gerne als "die Besten der Welt" bezeichnet.
Das ist amüsant, wenn man bedenkt, dass er ein so bescheidener, bodenständiger Mensch ist, der sich nur ungern in den Vordergrund stellt. So witzelte er nach dem Ausscheiden in der Champions League gegen City, dass seine Mannschaft zwar das "Talent und die Qualität habe, um auf diesem Niveau zu spielen, aber vielleicht fehlt ihr einfach der Trainer!"
Natürlich könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein. Arsenal-Boss Mikel Arteta ist nur einer von vielen Trainern, der "die unglaubliche Arbeit" anerkennt, die Amorim in den letzten Jahren bei Sporting geleistet hat.
Amorim gibt offen zu, dass José Mourinho für ihn in seinen prägenden Jahren als Trainer ein "Bezugspunkt" war, aber er schämt sich für die ständigen Vergleiche mit seinem Landsmann ("Es wird nie einen anderen José geben!"), und es wäre fairerweise falsch, ihn als die Wiedergeburt von "The Special One" zu bezeichnen.
Rúben Amorim: Der Anti-Mourinho
Zum einen ist sein Spielstil viel attraktiver und offensiver, zum anderen ist er ein völlig anderer Charakter, vor allem was den Umgang mit der Presse angeht. In diesem Sinne ist er der Anti-Mourinho. Diejenigen, die Amorim verfolgt haben, haben nur Gutes über ihn zu sagen. Und viele seiner ehemaligen Schützlinge zweifeln nicht daran, dass er eher früher als später eine der europäischen Spitzenmannschaften trainieren wird.
"Er kennt das Spiel in- und auswendig und hat eine enge Beziehung zu den Spielern", sagte Fulham-Ass Palhinha zu O Jogo. "So wie er sich entwickelt, wird er nicht mehr lange in Portugal bleiben."
Sporting liegt derzeit mit einem Punkt Vorsprung vor Benfica an der Spitze der Primeira Liga. Gewinnt seine Mannschaft erneut den Titel, scheint Amorims Abschied unausweichlich, Portugal könnte ihm zu klein werden. Wird sein nächstes Ziel Liverpool sein? Spielstil und Charakter würden passen.
Die ehemals skeptischen Fans des Vereins sehen das ganz genauso. Genau wie Klopp in Anfield hat Amorim in der José Alvalade die Zweifler längst in Gläubige verwandelt.
Portugal: Die Tabellenspitze der Primeira Liga
Rang | Team | Spiele | Tordifferenz | Punkte |
1 | Sporting | 26 | 77:26 | 68 |
2 | Benfica | 27 | 61:21 | 67 |
3 | FC Porto | 27 | 50:19 | 58 |
4 | Braga | 27 | 60:37 | 56 |
5 | Guimarães | 27 | 42:27 | 53 |