Keinen einzigen Spieler verpflichteten die Tottenham Hotspur im zurückliegenden Sommer, erstmals seit Einführung des Sommer-Transferfensters in der Premier League wagte das ein Verein. Eine außergewöhnliche Geschichte inmitten einer geldgetriebenen Liga, ihr Wahrheitsgehalt darf aber zumindest angezweifelt werden.
Denn da läuft zur Zeit ein Spieler im Tottenham-Trikot herum, der auf seinem Rücken die Nummer 27 und den Namen "Lucas" trägt. War der wirklich schon da in der vergangenen Saison? Gerüchten zufolge wechselte er jedenfalls bereits im Januar für rund 28 Millionen Euro zu Tottenham und spielte in der Rückrunde 208 Premier-League-Minuten. In nachhaltiger Erinnerung jedenfalls blieb keine davon.
"Für das Team war es eine sehr gute Saison und für mich waren es fünf Monate der Anpassung", sagt Moura rückblickend. Wirklich angekommen ist er nämlich erst im August. Und seitdem? 596 Premier-League-Minuten. Zweikämpfe, Ballgewinne, Dribblings. Drei Tore. Premier-League-Spieler des Monats August. "Was für ein Monat. Ich bin so glücklich, so glücklich", sagte Moura.
Die Krönung dieses Monats erfolgte am 27. August, als Tottenham mit 3:0 bei Manchester United gewann und Moura einen Doppelpack erzielte. "Nach dem Spiel war er sehr emotional, er hat sogar geheult", verriet Trainer Mauricio Pochettino. Freudentränen. "Ich kann gar nicht erklären wie ich mich fühle", sagte Moura.
Lucas Mouras Pendel-Zeit bei PSG
Moura hatte nämlich eine schwierige Zeit hinter sich. 20-jährig wechselte er einst für 40 Millionen Euro von seinem Jugendverein FC Sao Paulo zu Paris Saint-Germain. Dort pendelte er zunächst zwischen Bank und Startelf, wirklich durchsetzen konnte er sich nicht. Im Sommer 2017 verpflichtete PSG dann für viel Geld Neymar und Kylian Mbappe, fortan pendelte Moura eher zwischen Bank und Tribüne.
Verstanden hat das nicht jeder, etwa sein Kollege Neymar. "Er ist ein starker Spieler, der kaum zum Einsatz kam. Ich denke, das ist sehr unfair", sagte er. 2011 hatten Moura und Neymar mit der brasilianischen U20-Nationalmannschaft die Südamerikameisterschaft gewonnen, sie waren die beiden gefährlichsten Torjäger ihrer Mannschaft. Bei PSG durften sie das nicht sein. "Es war hart, die schlimmsten sieben Monate meines Lebens", sagt Moura über die Hinrunde der vergangenen Saison. Dann flüchtete er zu Tottenham.
Lucas Moura: Mal auf dem Flügel, mal zweite Spitze
Nach der Anpassungs-Rückrunde widmete sich ihm Trainer Pochettino in der Sommervorbereitung intensiv. Ein Coach, der sich was traut. Einer, der Spieler besser macht und auf ungewohnten Positionen einsetzt. Bei Freundschaftsspielen teste Pochettino den gelernten Rechtsaußen teilweise als zweite Spitze. Tests, die sich lohnten.
Moura überzeugte und stand am 1. Spieltag statt Heung-Min Son, der kurz darauf mit der südkoreanischen Nationalmannschaft zu den Asienspielen reiste, in der Startelf. Verdrängen ließ er sich nicht mehr, seitdem begann er in jedem Premier-League-Spiel. Mal auf dem Flügel, mal als zweite Spitze neben Harry Kane.
Wenn Kane in Manndeckung genommen wird, weicht Moura auf die Seite aus oder lässt sich zurückfallen - um dann mit Tempo und Dynamik heranzurauschen. Nur 1,72 Meter ist er groß, aber trotzdem durchsetzungsstark. Im Vorfeld von Kanes Treffer zum zwischenzeitlichen 1:0 am Wochenende gegen Huddersfield Town etwa marschierte Moura energisch durch die gegnerische Hälfte. Er stürzte, stand wieder auf, spielte ab. Wenig später fiel das 1:0. Mehr Terrier als all seine Gegenspieler, die sich Terrier nennen.
Die Premier-League-Spieler mit den meisten Zweikämpfen
Spieler | Verein | Zweikämpfe |
Troy Deeney | FC Watford | 144 |
Steve Mounie | Huddersfield Town | 118 |
Glenn Murray | Brighton & Hove Albion | 118 |
Joshua King | AFC Bournemouth | 115 |
Lucas Moura | Tottenham Hotspur | 113 |
Felipe Anderson | West Ham United | 108 |
Paul Pogba | Manchester United | 105 |
Mohamed Diame | Newcastle United | 103 |
Sam Vokes | FC Burnley | 100 |
Wilfried Ndidi | Leicester City | 99 |
Lucas Moura: Beschleunigen, dribbeln und Chancen kreieren
Moura zieht stets das Risiko der Sicherheit vor. Immer vertikal und lieber mal einen Fehlpass in Kauf nehmen. Er traut sich in Eins-gegen-eins-Situationen, sowohl defensiv als auch offensiv. 113 Zweikämpfe bestritt er in dieser Saison bereits, die fünftmeisten aller Premier-League-Spieler. In 27 Dribblings ging er, die meisten aller Tottenham-Spieler. Und das stets mit Tempo: sein Highspeed von 34,1 km/h zählt zu den Höchstwerten. "Im Eins-gegen-eins ist er sehr schwer zu stoppen", lobte sein ehemaliger PSG-Mitspieler Marco Verratti.
"Beschleunigen, dribbeln und Chancen kreieren sind die DNA meines Spiels", sagte Moura mal über Moura. Bei Tottenham brauchte er etwas Zeit zum Beschleunigen. Mittlerweile ist er aber auf der Überholspur. So sehr, dass ihm sogar die Augen tränen.