Würde man eine Karte vom absoluten Niemandsland zeichnen, die Grafschaft Gloucestershire, das hat der Guardian einmal schön geschrieben, läge genau in der Mitte. Genauer gesagt läge da ein Städtchen mit dem Namen Nailsworth.
Bekannt geworden - obwohl das schon zu hoch gegriffen ist - als Woll- und Bierbrauerdorf wurde Nailsworth 1867 ans Bahnnetz angeschlossen, blieb aber Zeit seiner Gründung vor allem eines: ein Dorf. Von der Sunday Times wurde der Nailsworth in die Liste der 101 lebenswertesten Orte Großbritanniens aufgenommen; die Restaurants seien "fancy" und parken könne man überall kostenlos, heißt es in dem Artikel. Immerhin.
Eine Meile außerhalb von Nailsworth, auf einem kleinen Hügel, da ist ein Fußballverein zuhause. Die Forest Green Rovers blicken auf eine Historie zurück, wie man sie bei einem Klub aus einem Ort mit 5794 Einwohnern erwarten würde: Amateurfußball, kicken in Kraut- und Rüben-Ligen, Namenswechsel, Geldprobleme.
Aber vor sieben Jahren wurde alles anders.
Dale Vinc und das Windrad auf dem Dach
Die Vereinigten Staaten von Amerika, Mitte der 1990er. Dale Vince hatte mit 15 Jahren die Schule abgebrochen. Wie der Ausbruch aus dem Gefängnis sei das gewesen, wird er später erzählen. Der Engländer tingelte durch die Welt, lebte ein Hippie-Leben; der Legende nach unterwegs in einem zum Wohnmobil umgebauten Armeefahrzeug von einer Müllhalde, betrieben mit einem selbstgebauten Windrad auf dem Dach.
Als Vince auf seinen Reisen das erste Mal einen Windpark sah, hatte er eine Idee. Der Tüftler widmete sich fortan erneuerbaren Energien. Mitte der 1990er ging sein erstes Windrad ans Netz, kurz darauf gründete er seine Firma Ecotricity. Aus dem New-Age-Hippie wurde ein "Ökokrieger", wie ihn der englische Boulevard gerne nennt, heute 56 Jahre alt und mit einem geschätzten Vermögen jenseits der 100 Millionen Pfund.
Seinen Überzeugungen konnte das viele Geld aber nichts anhaben. Ganz im Gegenteil.
Die Forest Green Rovers werden vegan
Zurück im Zentrum des Niemandslandes. Dort kämpften die Forest Green Rovers 2010 um ihre Existenz. Der Klub war nicht zum ersten Mal an der Kippe zum Bankrott, und so wandte sich der Klub auf dem Hügel schließlich Hilfe suchend an Vince. Und der rettete den Klub nicht nur mit seinem Geld, sondern hatte auch wieder so eine Idee. Als neuer Klubbesitzer verschwendete er keine Sekunde, den Verein umzukrempeln.
Berühmt wurden die Rovers als erster veganer Fußballklub der Welt. Vince verbannte umgehend rotes Fleisch von den Speiseplänen, seit mittlerweile drei Jahren lebt man im Klub komplett ohne tierische Erzeugnisse. Auch die Fans im Stadion The New Lawn (zu Deutsch: der neue Rasen) bekommen veganes Bier, veganen Cider und veganen Q-Pie aus Quorn serviert.
Der schaffte es bei den British Pie Awards sogar unter die ersten drei Plätze. "Gutes Essen beim Fußballschauen und gutes Essen ohne tote Tiere drin - viele Leute assoziieren diese beiden Sachen einfach nicht", sagt Vince. Quorn, klärt Wikipedia den Nichtwissenden auf, ist ein "proteinreiches, industriell hergestelltes Nahrungsmittel aus dem fermentierten Myzel eines spezifischen filamentösen Schlauchpilzes".
Solar-Rasenmäher und Bakterien für den Platz
Der Hype um den veganen Klub bringt kuriose Auswüchse mit sich, so berichten Lokalmedien immer wieder von Spielern, die in zivil als Karnivoren auffallen. Die Fast-Food-Kette Greggs soll ein beliebter Anlaufpunkt sein, wie ein anonymer Mitarbeiter vergangenes Jahr bei Gloucestershire Live petzte. Verpixelte Beweisfotos gab's obendrauf. Eine große Story im kleinen Nailsworth.
Ärger droht den kulinarischen Seitenspringern aber nicht. "Wir spionieren den Spielern außerhalb des Klubs natürlich nicht hinterher", sagt Vince. Die vegane Vorschrift gilt nur im Verein. "Aber wie wir hören, ändern einige Spieler auch privat ihre Essgewohnheiten. Und die Fans genauso."
Im Klub selbst, dessen Farben von Vince von weiß und schwarz in grün und schwarz geändert wurden, wird der alternative Weg dagegen konsequent gegangen. Spieler und Mitarbeiter fahren Elektroautos und der Rasenmäher wird mit Solarenergie betrieben. Auf den Rasen kommen keine Pestizide, keine Fungizide, ja gleich gar keine Zide jedweder Art, sondern lieber Seegras und spezielle Bakterien, die das Wachstum anregen sollen. Das Wasser für das Feld wird - natürlich - recycled, das Flutlicht läuft - natürlich - mit Ökostrom.
Und die Lampen, die das Rasenwachstum fördern sollen, waren ein Geschenk der Polizei. Die, sagt man im Klub, würden es aber nicht gerne hören, wenn man darüber spricht. Schließlich wurden die Leuchten von einer illegalen Cannabisplantage beschlagnahmt.
"Wir leben auf einem Hügel im Niemandsland"
Und im Sommer gelang den Rovers 128 Jahre nach der Gründung, nach zermürbenden 19 Jahren National League, der Aufstieg in die League Two, Englands vierte Liga. Nailsworth ist jetzt das kleinste Dorf der Insel, das eine Fußball-Profimannschaft beherbergt. "Die Leute lästern immer, dass wir so wenige Fans hätten", sagt Teammanager Mark Cooper. "Aber man muss eben daran denken, dass wir auf einem Hügel im Niemandsland leben."
Und überhaupt: Als eine der legendärsten Anekdoten des Aufstiegs blieb ein Fan, der nach dem gewonnenen Playoff-Spiel gegen die Tranmere Rovers ins Mikrofon eines TV-Reporters brüllte: "Lasst mich euch was sagen, Cheltenham, Newport, Swindon. Forest Green ist jetzt in der Football League, und ihr alle werdet nächste Saison Hummus essen!" Der Spruch steht bereits auf T-Shirts und im Stadion verewigt werden.
Einem Stadion, das - sollte sich der Klub im Profibereich halten, ja bestenfalls sogar weiter aufsteigen - auch bald einem neuen weichen soll. Einem, das revolutionär sein soll. "Komplett aus Holz gebaut", sagt Vince über sein neustes Projekt. Das Stadion wird 5000 Zuschauer fassen und das Herzstück eines Sport- und Energieparks werden, insgesamt 100 Millionen Pfund teuer und an der nahen Autobahnausfahrt der M5 gelegen.
Die Visionen scheinen in Nailsworth nicht aufzuhalten zu sein. Außer vielleicht von der Fußballmannschaft der Rovers. "Die obere Tabellenhälfte ist das Ziel diese Saison, vielleicht die vordersten Sieben, wenn wir Glück haben", gab Klubboss Vince vor dem Saisonstart zu Protokoll. "Schlussendlich wollen wir aber in die zweite Liga."
Aktuell stehen die Forest Green Rovers nach elf Spieltagen mit nur einem Sieg am Tabellenende. Doch die Liga ist 24 Teams groß, hat nur zwei Abstiegsplätze - und zur Not wird Dale Vince schon etwas einfallen.
Wenn nicht, dann bleiben sie eben auf ihrem Hügel.